Deutschlands größte Zeitung wird 60 Jahre alt. Die ARD-Sendung „Bild. Macht. Kritik.“ beschäftigt sich kritisch mit der Geschichte der Boulevardzeitung.

Berlin - Vier Buchstaben, die die Republik bewegen: „Bild“. Eine Zeitung mit „brutalem Machtanspruch“ (Claudia Roth)? Ein „Leitorgan, das die Politik sehr stark mitprägt“ (Edmund Stoiber)? Oder ein Blatt, das „inzwischen auf der Verliererseite“ ist (Günter Wallraff)? Jedenfalls eines, das am 23. Juni sechzig Jahre alt wird und sich selbst für so bedeutend hält, dass es an diesem Tag jeden Haushalt in Deutschland mit einer Gratisausgabe beglücken will.

 

Die Kritik an der führenden Boulevardzeitung ist beinahe ebenso alt. Vor gut einem Jahr probierte es der „Spiegel“ mit einem Frontalangriff: „Die Brandstifter“ titelte das Wochenmagazin und behauptete, „Bild“ übernehme in Deutschland die Rolle einer rechtspopulistischen Partei. Wenig später, in der Affäre um den Bundespräsidenten Christian Wulff, schien das alles vergessen. „Bild“ ging den Medien voran und stand zwischenzeitlich als Opfer eines Einschüchterungsversuchs von ganz oben da. Denn Wulff hatte dem Chefredakteur Kai Diekmann telefonisch gedroht (und sich später entschuldigt). Auch in der Dokumentation „Bild. Macht. Politik.“, die der WDR heute im Ersten platziert, heißt es anerkennend: „Es waren ,Bild‘-Recherchen, die letztlich zum Sturz des deutschen Staatsoberhaupts führten.“

Die Autoren Christiane Meier und Sascha Adamek bleiben angenehm sachlich und im Tonfall entspannt. Ihre kritische Fallsammlung beschränkt sich fast ausschließlich auf den politischen Raum, hat aber Lücken, etwa die Rolle von „Bild“ in der Thilo-Sarrazin-Debatte. Die Erfolgsbilanz des Blattes ist durchaus durchwachsen. Der smarte „Bild“-Liebling Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist kein Bundeskanzler und Horst Seehofer (CSU) trotz einer von der Zeitung enthüllten Affäre doch noch Ministerpräsident Bayerns geworden. Beide nehmen keine Stellung, dafür feiern Claudia Roth (Die Grünen) und Gregor Gysi (Linke) ihre Siege nach unwahren „Bild“-Geschichten. „Bild“ habe „nur so viel Macht, wie Politiker ihr einräumen“, kommentiert das Autorenduo.

Auch Kai Diekmann wurde interviewt

Frischeren Stoff bieten die „Pleite-Griechen“-Kampagne, die Recherchemethoden nach dem Busunglück der Kinder aus dem belgischen Lommel und die Fehde von Hans-Olaf Henkel mit Diekmann. Der ehemalige Industrielobbyist und „Bild“-Kolumnist Henkel findet es in Ordnung, wenn „Bild“ Minister stütze und stürze, sofern das verantwortungsvoll geschehe. Aber „wenn die Zeitung in die Hände eines Mannes gerät, der meint, er würde über Wasser gehen können“, dann werde es gefährlich. Die Gefahr ist Henkel aber offenbar erst bewusst geworden, nachdem er selbst zum Schlagzeilenopfer wurde.

Kai Diekmann ließ sich ebenfalls interviewen und kokettiert mit seinem Image als böser Medienbube. Bizarr wird es, als er auf seinen Prozess gegen die „taz“ angesprochen wird, die ihm in einer Satire eine Penisverlängerungsoperation andichtete. Er versucht es mit Selbstironie, die in Altherrenhumor kippt. „Meine Frau“, sagt er, „gibt den wichtigen Hinweis: Und jeder Zentimeter ist wahr.“ Leider blickt Diekmann dabei etwas verkniffen.

ARD,22.45