Vor 20 Jahren wurde die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart gegründet. Eine Zwischenbilanz zum Jubiläum.

Stuttgart - Ein Gespräch mit dem obersten Wirtschaftsförderer der Region Stuttgart führt man am besten dort, wo man die Wirtschaft im wörtlichsten aller Sinne fördert: in einer Gaststätte, genau gesagt bei einem Frühstück im Café Planie am  Charlottenplatz. Walter Rogg, 58, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart (WRS), löffelt Eier im Glas und grübelt. Wie er anderen Menschen seinen Beruf erklärt? „Das ist schwer in einen Satz zu fassen“, sagt er.

 

Rogg leitet die WRS seit ihrer Gründung im Oktober 1995. Dass es ihm schwerfällt, eine einfache Definition der Arbeit eines Wirtschaftsförderers zu finden, mag daran liegen, dass ein Großteil davon nicht von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird. „Wenn wir unsere Arbeit richtig gut machen, bekommt man von Wirtschaftsförderung nichts mit.“

Der Mann mit den raspelkurzen grauen Haaren und der randlosen Brille weiß, wovon er spricht. Nach dem Fall der Mauer zog es den gelernten Journalisten nach Dresden, wo er die Wirtschaftsförderung Sachsen mit aufgebaut hat. „Dort ging es darum, Unternehmen anzusiedeln, und zwar um jeden Preis“, sagt Rogg. Doch in der wirtschaftsstärksten Region Baden-Württembergs ist das anders. „So etwas wie Amazon in Pforzheim wollen wir hier gar nicht“, sagt Rogg beinahe trotzig. Große Flächen für Industriebetriebe sind zumindest im Stuttgarter Kessel ohnehin Mangelware.

Mobilität ist das zentrale Thema

Während Rogg drinnen darüber spricht, dass in den kommenden 15 Jahren bis zu 100 000 Menschen zusätzlich in die Region ziehen werden, rollen draußen die Autos dicht an dicht auf der B 14. Der Verkehr ist in dieser prosperierenden Gegend eines der großen Probleme. Und deshalb auch ein Thema für die WRS. Jeder Einzelne will möglichst bequem von A nach B kommen.

Die Automobilbranche, nach wie vor einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren in der Region, steht vor Veränderungen – durch Entwicklungen wie Elektromobilität, Vernetzung und autonomes Fahren. Große Herausforderungen zwar, aber nicht zu vergleichen mit den Problemen in der Gründungszeit der WRS: 1995 herrschte Krisenstimmung in der Automobilbranche, damals wurden in der Region zahlreiche Stellen abgebaut. „Auch deswegen wurde die WRS ins Leben gerufen“, sagt Rogg.

Der Start vor 20 Jahren war holprig. „Die umliegenden Landkreise und die Stadt Stuttgart wollten die regionale Wirtschaftsförderung gar nicht“, erinnert sich Rogg. Die Angst vor Fremdbestimmung war groß. „Heute ist das anders, das Misstrauen gibt es nicht mehr.“ Die Wirtschaftsförderer der Kreise sind mittlerweile sogar bei der WRS angestellt.

Die Konkurrenz sitzt im Silicon Valley

An der Friedrichstraße hat die WRS ihre Büros in einem schmucklosen grauen Hochhaus. Schwäbisches Understatement. Im fünften Stock arbeitet Christoph Gelzer, zuständig unter anderem für Connected Cars. Von seinem Fenster aus blickt man auf den 70er Jahre Bau des Verbands Region Stuttgart, welcher der Hauptgesellschafter der WRS ist. „Die großen Automobilkonzerne müssen sich öffnen, sie brauchen die Ideen der vielen kleinen IT-Firmen“, sagt Gelzer. Um das zu unterstützen, will er ein Expertennetzwerk aufbauen. Viermal im Jahr sollen sich Vertreter aus der Automobil- und der Informatik-Branche austauschen, es beginnt im Oktober. Die Konkurrenz, Google und andere New-Economy-Unternehmen, sitzt bei diesem Thema im Silicon Valley. „Der Austausch soll verhindern, dass Wertschöpfung aus der Region abfließt.“

An solchen Veranstaltungen der WRS nimmt auch Harald Mandel, 49, teil. „Das ist eine gute Möglichkeit, sich in der Region zu vernetzen“, sagt der Prodekan der Fakultät Technik der Dualen Hochschule in Stuttgart. Die Zusammenarbeit mit der WRS ergab sich aber eher zufällig. Ein ehemaliger Student wollte seine Studienarbeit über das Konzept einer Solarstromtankstelle auch in der Realität umsetzen. „Da die Hochschule dafür keine Mittel zur Verfügung hatte, hat er dann einfach einen Antrag bei der WRS gestellt “, erzählt Mandel. Mittlerweile hat die Hochschule im Rahmen des Projekts „Modellregion für nachhaltige Mobilität“ nicht nur finanzielle Hilfen für die Solarstromtankstelle erhalten, sondern unter anderem auch für ein Elektroauto, das für Forschungs- und Lehrzwecke genutzt werden soll. „Ohne die WRS wäre das für uns aussichtslos gewesen.“

Expertennetzwerke oder die Wissenschaftsförderung sind für die breite Öffentlichkeit nicht sichtbar. Andere Projekte, die von der WRS und ihren insgesamt rund 60 Mitarbeitern unterstützt werden, hingegen schon: die Pedelecs zum Ausleihen an den Bahnhöfen in Vaihingen/Enz und Fellbach etwa oder einheitliche Bezahlmöglichkeiten an Ladestationen für Elektrofahrzeuge. Viele kleine Schritte sind nötig, um die Verkehrssituation in Stuttgart und der Region zu verbessern. Dabei ist Querdenken durchaus erwünscht.

Eine Seilbahn für Stuttgart

Der hohe Raum ist abgedunkelt, die Tischreihen wirken wie in einem Klassenzimmer, vorne wirft ein Beamer ein Bild an die Wand: eine stilisierte Stadt, auf den ersten Blick könnte es Stuttgart sein. Doch die Stadt, die Raimund Klausegger zeigt, existiert nicht. Es gibt Gehwege, Straßen und Schienen – aber auch Seile, die in der Luft hängen, daran Gondeln. Erinnert an Skiurlaub, nur ohne Alpen. Klausegger arbeitet in einer Wiener Designagentur für Stadt- und Mobilitätsplanung. Auf einem von der WRS organisierten Kongress im Haus der Architekten spricht er über Seilbahnen als urbane Fortbewegungsmittel.

„Zukünftige Mobilität besteht eben aus vielen verschiedenen Facetten“, sagt Hjalmar Hiemann. Der agile, hochgewachsene Endvierziger leitet bei der WRS den Geschäftsbereich Informationstechnologie. Auf dem Kongress, an dem rund 70 Vertreter von Kommunen, Unternehmen und Hochschulen teilnehmen, geht er einer der wesentlichen Aufgaben eines Wirtschaftsförderers nach: Kontakte aufzubauen und zu pflegen. „Aus solchen Netzwerken entstehen immer wieder Partnerschaften, oft aber erst nach Jahren“, sagt Hiemann.

Veit Haug Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

WRS-Büro an der Friedrichstraße, zehnter Stock. An der Wand hängt ein VfB-Wappen, darauf steht „Niemals 2. Liga“. Das könnte auch für die Wirtschaftsregion Stuttgart gelten. Wobei deren Abstieg deutlich unwahrscheinlicher ist als der des Stuttgarter Bundesligisten. Veit Haug, 48, Leiter des WRS-Geschäftsbereichs Kreativwirtschaft, hält an der Fan-Ecke vor seinem Büro an und stutzt. Ein Witzbold hat ein Post-it hingeklebt: „Dann eben direkt in die 3. Liga.“ Haug reißt den Zettel weg und grinst gequält. In Sachen VfB Stuttgart versteht er eigentlich keinen Spaß.

Wichtige Fragen

Veit Haugs Abteilung hat im Gebäude an der Friedrichstraße die beste Aussicht. Bonatz-Bau, Sky-Beach, Fernsehturm. „Stuttgart ist nicht Berlin, und das ist auch gut so.“ Der studierte Medieninformatiker schwärmt von der soliden industriellen Basis, die Kreativen in der Region mehr Möglichkeiten gebe als andernorts. Auch im Bereich Mobilität, den man nicht unbedingt mit Kreativwirtschaft in Verbindung bringen würde. „Wie müssen Fahrzeuge und Dienstleistungen künftig aussehen, damit sie attraktiv sind?“, fragt Haug. Die Antwort weiß er nicht, aber er versucht, Unternehmen und Kreative zusammenzubringen, die es herausfinden sollen. So wie beim Kongress im Haus der Architekten, den er und seine Mitarbeiter organisiert haben.

Dass Mobilität ein kreatives Thema ist, hat Haug auch anderweitig schon festgestellt. Vor einigen Jahren hat die WRS zusammen mit dem Popbüro einen Sounddesign-Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem Fahrgeräusche für die (zu) leisen Elektroautos gesucht wurden. 26 Klanggestalter aus ganz Deutschland haben sich daran beteiligt. Solche Wettbewerbe tragen zum Image der Region bei. „Wir müssen transportieren, dass es hier auch hip ist und Spaß macht“, sagt Rogg. Denn trotz der starken Wirtschaft steht die Region im Wettbewerb mit anderen Metropolgebieten und Bundesländern, wenn es um Arbeitskräfte und Firmenansiedlungen geht.

Netzwerke aufbauen, das Image pflegen und im besten Fall Unternehmen in die Region holen. So ganz einfach lässt sich der Erfolg oder Misserfolg der Wirtschaftsförderer nicht messen. Rogg rechnet vor: Seit 1995 sind etwa 80 Millionen Euro Steuergelder in die WRS geflossen, in derselben Zeit haben seine Mitarbeiter rund 180 Millionen Euro Förderung in die Region Stuttgart geholt. Hinzu kommen eigene Erträge durch den Verkauf von Software wie beispielsweise ein Gewerbeflächenportal an andere Wirtschaftsförderungen. Der WRS-Chef schaut zufrieden, als er seine Berechnungen beendet hat.

Der größte Flop der WRS

Doch nicht immer führt die Arbeit der Wirtschaftsförderer zum Erfolg. Anfang der 2000er wollte die WRS mit mehreren Partnern eine Art regionales Ebay aufbauen. Mit standardisierten E-Shops konnten die Online-Händler allerdings nicht überzeugt werden. „Das ist jämmerlich gefloppt. Wir haben Millionen Euro kaputt gemacht“, sagt Rogg. Man habe den Wunsch nach Individualisierung nicht genügend berücksichtigt, so das selbstkritische Fazit.

Einer der größten Erfolge ist aus Sicht von Walter Rogg die Ansiedlung des Entwicklungszentrums von Bosch in Renningen, das am Mittwoch feierlich eingeweiht wurde. Sogar die Kanzlerin kam zu Besuch. Um das Gelände im Ortsteil Malmsheim, ehemals Übungsplatz des Kommando Spezialkräfte (KSK), hatte es lange heftige Interessenkonflikte zwischen der Bundeswehr und dem Stuttgarter Technologiekonzern gegeben. Einen kleinen Anteil am Erfolg hat wohl auch die WRS. „Ich bin damals viel zwischen der Schillerhöhe und Bonn hin- und hergependelt und habe vermittelt“, sagt Rogg.

Gefeiert wird das 20-jährige Bestehen der WRS unprätentiös. „Wir besuchen ein Flüchtlingsheim im Remstal, danach gehen wir in eine Kneipe“, sagt Rogg. Die Region sei ein international vernetzter Standort, der Menschen aus aller Welt willkommen heiße. So steht es im Leitbild der Region Stuttgart, das die WRS 2012 angestoßen und an dem mehr als 200 Menschen aus verschiedenen sozialen Gruppen mitgearbeitet haben. „Danach wollen wir auch handeln.“ Dann fällt dem WRS-Chef doch noch eine Definition für die Tätigkeit eines Wirtschaftsförderers ein. „Eigentlich ist es Kommunikationsförderung“, sagt Walter Rogg. „Wir fördern Kommunikation zum richtigen Thema, zum richtigen Zeitpunkt, mit den richtigen Leuten.“