Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Reinhard Mey spielt für 110 Mark am Abend

 

Die Veranstalterin mit den wachen braunen Augen empfängt im Dachgeschoss ihres Hauses. Neben den Tisch parkt sie eine Flasche Apfelsaftschorle und eine Schachtel Marlboro, mehr braucht es manchmal nicht zum Glücklichsein. Ein Haus weiter befand sich einst das Lab-Büro. Heidi Schmid erzählt vom ersten Laboratorium in Karlsruhe, das sie von 1964 bis 1967 betrieben hatte. Von Uli Braunschweiger, der bereits 30 Jazz-Clubs gegründet hatte, eher er den Veranstaltungssaal der Gaststätte „Linde“ im Stuttgarter Osten, in dem früher Musikvereine geprobt hatten, zum „Jazz-Workshop 2, Daddy’s Inn“, dem Lab-Vorläufer machte. Sie erzählt von Nachbarn, denen der Jazz zu laut war, und vom Jazzer Braunschweiger, der Randis und Heidis Liedermacher für geeigneter hielt und so den Stab übergab, um aus dem Jazzschuppen das Laboratorium werden zu lassen.

Heidi Schmid plaudert weiter, über Festivals, die zu politischen Sit-ins wurden, zeigt zeitgeschichtliche Dokumente wie eine Anfrage an Reinhard Mey vom 23. Juni 1967. Randi Schmid bot Mey schriftlich an, ihn für eine Gage über 110 Mark pro Abend auf eine kleine Tournee buchen zu wollen. Mey, damals in „1 Berlin 28“ zu Hause, antwortete zwei Wochen später: „Lieber Herr Schmid! 10.-16. September für die Tournee klappt bestens. In Eile, aber herzlich, Ihr Reinhard Mey.“

Heidi Schmid steckt voller solcher Schnurren, ihre Sätze beginnen mit „Hach, da könnte ich x aufzählen“ oder „Ach Gott, das sind ja tausend Geschichten“. So erinnert sie sich an einen prominenten Eröffnungsgast im Schlampazius: „Da ist Loriot aufgetreten und hat aus seinen satirischen Werken gelesen.“ Bei einer anderen Veranstaltung habe es so heftig geschneit, dass die Besucher auf Skiern vom Wagenburgtunnel abwärts gekommen seien.

Das Laboratorium als Ort der Experimente

Ein Mensch darf im Fall Laboratorium auf keinen Fall fehlen: Heidi Schmid, die das Lab einst mit ihrem Mann Randolf „Randi“ am 27. September 1972 ins Leben gerufen hat. Randi weilt seit zwölf Jahren nicht mehr unter den irdischen Konzertveranstaltern. Der Besuch bei seiner Witwe in Ostfildern sollte auf dem Lehrplan jeder Schule stehen, denn Heidi Schmid ist ein 70 Jahre altes Lexikon der Stuttgarter Populärkultur auf zwei Beinen.

Kippen und Apfelsaftschorle als Verpflegung

Reinhard Mey spielt für 110 Mark am Abend

Die Veranstalterin mit den wachen braunen Augen empfängt im Dachgeschoss ihres Hauses. Neben den Tisch parkt sie eine Flasche Apfelsaftschorle und eine Schachtel Marlboro, mehr braucht es manchmal nicht zum Glücklichsein. Ein Haus weiter befand sich einst das Lab-Büro. Heidi Schmid erzählt vom ersten Laboratorium in Karlsruhe, das sie von 1964 bis 1967 betrieben hatte. Von Uli Braunschweiger, der bereits 30 Jazz-Clubs gegründet hatte, eher er den Veranstaltungssaal der Gaststätte „Linde“ im Stuttgarter Osten, in dem früher Musikvereine geprobt hatten, zum „Jazz-Workshop 2, Daddy’s Inn“, dem Lab-Vorläufer machte. Sie erzählt von Nachbarn, denen der Jazz zu laut war, und vom Jazzer Braunschweiger, der Randis und Heidis Liedermacher für geeigneter hielt und so den Stab übergab, um aus dem Jazzschuppen das Laboratorium werden zu lassen.

Heidi Schmid plaudert weiter, über Festivals, die zu politischen Sit-ins wurden, zeigt zeitgeschichtliche Dokumente wie eine Anfrage an Reinhard Mey vom 23. Juni 1967. Randi Schmid bot Mey schriftlich an, ihn für eine Gage über 110 Mark pro Abend auf eine kleine Tournee buchen zu wollen. Mey, damals in „1 Berlin 28“ zu Hause, antwortete zwei Wochen später: „Lieber Herr Schmid! 10.-16. September für die Tournee klappt bestens. In Eile, aber herzlich, Ihr Reinhard Mey.“

Heidi Schmid steckt voller solcher Schnurren, ihre Sätze beginnen mit „Hach, da könnte ich x aufzählen“ oder „Ach Gott, das sind ja tausend Geschichten“. So erinnert sie sich an einen prominenten Eröffnungsgast im Schlampazius: „Da ist Loriot aufgetreten und hat aus seinen satirischen Werken gelesen.“ Bei einer anderen Veranstaltung habe es so heftig geschneit, dass die Besucher auf Skiern vom Wagenburgtunnel abwärts gekommen seien.

Das Laboratorium als Ort der Experimente

Der Name Laboratorium war von Anfang an Programm: Hier versuchten sich die politisierten 68er mit Experimenten. In diesem Labor war Platz für Musik, für Diskussionen, für Boxen, Hausaufgabenbetreuung, Solidaritätsveranstaltungen, Filmvorführungen, aber auch für das sozialistische Café von Peter Grohmann. Noch so ein Kulturschwergewicht dieser Stadt, das seine ersten Schritte im Lab wagte und mit seinen knapp 70 Jahren mittlerweile fast so alt ist wie Heidi Schmid. Furchtbare Floskel, aber wahr: der Mutter des Lab merkt man ihr Alter nicht an. Schmids Geschichten der Anfangsjahre Stuttgarter Gegenkultur hören gar nicht auf zu sprudeln. Man hätte ein Blockseminar belegen sollen.

Vom Hundertsten ins Tausendste gerät man auch in einem Gespräch mit Rolf Graser. Graser steht stellvertretend für den nächsten Entwicklungsschritt, den das Lab genommen hat. Der 58-Jährige ist eine der umtriebigsten Figuren der Stuttgarter Kulturlandschaft. Er ist Vorsitzender des Lab-Vereins, der 1981 gegründet wurde, unter anderem, um endlich auch Fördergelder von der Stadt beziehen zu können. Das Lab erhält mittlerweile jährlich 84 000 Euro. Graser ist ferner Geschäftsführer des Forums der Kulturen und organisiert als solcher das Festival der Kulturen. Das Gespräch mit ihm findet im Forum-Büro statt. Hinter Graser hängt Gott in Gestalt von Leonard Cohen an der Wand.

„Der Laden hat Atmosphäre“

Mit Graser geht das muntere Anekdoten-Raushauen in die nächste Runde. Graser wohnte einst gegenüber vom Laboratorium, wurde zum Stammgast und mischte bald in der Programmgestaltung mit. Im Gespräch erinnert er an die legendäre Kneipe Schlauch, die das soziokulturelle Bermudadreieck Schlampazius und Lab einst komplettierte. Von Bedeutung für den Lauf der Weltgeschichte ebenfalls nicht unwichtig: Die Kleine Tierschau fand im Lab zu ihrem Namen. Graser zählt weiter auf, was unter seiner Ägide alles an Neuerungen dazukam – vom Lab-Festival bei den Berger Sprudlern bis hin zu Auftritten von La Brass Banda oder Fanfare Ciocarlia. „Beide Bands hatten ihre ersten Konzerte in Baden-Württemberg bei uns“, sagt Graser und beschwört das, was das Lab seiner Meinung nach besonders macht: „Der Laden hat Atmosphäre.“

Diese Beobachtung wiederholt Anette Battenberg mehrmals. Mit ihr beschließt man den chronologischen Abriss der Lab-Geschichte am besten. Passend zum 40-Jahr-Jubiläum der alternativen Musikspielstätte feiert sie als erste hauptamtliche Geschäftsstellenleiterin des Lab zehnjähriges Dienstjubiläum. Wie Graser entdeckte Anette Battenberg das Lab zuerst als Gast für sich. Für den Job in der alternativen Spielstätte kündigte sie ihre Stelle in einem Kulturamt in der Region, verzichtete dabei auf viel Geld. Diesen Schritt kann man auch als Metapher sehen für das Erfolgsgeheimnis des Lab mit seinen heute über 100 Veranstaltungen im Jahr. Graser spricht in dem Zusammenhang „vom landesweit höchsten Ehrenamtlichen-Anteil pro Quadratmeter.“ Battenberg verweist auf die Formel „Herzblut, zivile Eintrittspreise und ein treues Stammpublikum. Wir haben viele Leute, die seit Jahrzehnten einmal die Woche kommen.“

Zurück zum Anfang dieser Geschichte. Die Ärzte zogen nach ihrem Boxenstopp im Schlampazius noch weiter in die Innenstadt, schauten sich die Bars rund um den Hans-im-Glück-Brunnen an und landeten schließlich im Club Schräglage, um sich dort einer konzentrierten Nachhilfestunde im Genre Hip-Hop zu widmen. Bei ihrem Konzert am Folgetag erklärten sie 13 000 Zuschauern, was sie in der Nacht zuvor in Stuttgart alles erlebt hatten – von Schlampazius bis Schräglage. „Wir haben gestern das alte und das neue Stuttgart kennengelernt“, philosophierte Farin Urlaub, das Publikum quittierte die Aussage mit freundlicher Zustimmung. Mit dem Laboratorium lässt sich diese Woche ein wichtiger alter Teil Stuttgarts feiern. Wobei alt in Bezug auf das Lab gar nicht zutrifft. Mit dem 40. Geburtstag ist die Experimentierbühne ja erst im Schwabenalter angekommen. Die Gefahr, dass dieser unvernünftig gute Ort jetzt vernünftig werden könnte, besteht dabei zum Glück nicht.