Die auf Schleifmittel spezialisierte Schmidener Firma Wehaus besteht seit 100 Jahren, ist Normalverbrauchern aber kaum ein Begriff. Das liegt an der nur in Fachkreisen bekannten Produktpalette – und am Geschäftsmodell des Familienbetriebs.

Fellbach - Ein gewisses Risiko birgt die Gründung eines Unternehmens auch in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs – besonders, wenn sie in einer Stadt erfolgt, in der im selben Jahr zwei spartakistische Putschversuche etliche Todesopfer gefordert haben. Man darf Otto Wehaus deshalb eine gehörige Portion Mut bescheinigen, dass er am 10. Oktober 1919 seine Werkzeughandlung neben der Cannstatter König-Karl-Brücke eröffnete. Unruhig waren nicht nur die Zeiten, der damals 44-jährige Wehaus gab für den Traum vom eigenen Geschäft auch eine Festanstellung auf, obwohl er eine dreiköpfige Familie zu versorgen hatte.

 

Seine kleine Firma jedenfalls hatte Erfolg, in diesem Jahr durfte das Unternehmen sein 100-jähriges Bestehen feiern

Zum Glück verlief die wirtschaftliche Entwicklung im Württemberg der 1920er Jahre deutlich besser als im Rest von Deutschland. Die Landeshauptstadt Stuttgart entwickelte sich zu einem wirtschaftlich wie kulturell aufstrebenden Zentrum. Ob Otto Wehaus die positive Veränderung vorausgesehen hat, bleibt dahingestellt. Seine kleine Firma jedenfalls hatte Erfolg, in diesem Jahr durfte das Unternehmen sein 100-jähriges Bestehen feiern. Mit der Urenkelin Karin Heigl ist inzwischen die vierte Generation in der Firma aktiv. Die diplomierte Betriebswirtin arbeitet seit 30 Jahren in dem Familienunternehmen mit und fungiert seit zwei Jahrzehnten als geschäftsführende Gesellschafterin. Die Chefrolle teilt sich die 56-Jährige mit Steffen Ernle – als Mutter zweier Töchter wollte sie sich die Geschäftsführung nicht alleine auf die Schultern laden.

Im Vordergrund steht bei der Firma Wehaus das Maschinenschleifen

Ein Vorteil des Führungsduos ist, dass ihr 52-jähriger Kollege als ehemaliger Einkäufer bei einem Wehaus-Kunden über eine umfangreiche Erfahrung in der Branche verfügt. Spezialisiert ist die seit 1974 in Schmiden angesiedelte Wehaus GmbH auf Schleifmittel und die passenden Werkzeuge, also beispielsweise Winkelschleifer. „Schleifmittel sind Naturprodukte, mit denen etwas abgetragen werden kann“, erklärt Karin Heigl. Auf einem Trägermaterial als Untergrund wird mit einem Bindemittel das eigentliche Schleifmittel aufgebracht. Mit Korund, Quarz oder gar Industriediamanten entstehen Schleifscheiben und Schleifpapiere. Ein zweites technisches Prinzip ist, Werkstücke oder auch Schmucksteine gemeinsam mit einem Schleifmittel in eine Trommel zu packen – die Rotation nimmt Ecken und Kanten.

Im Vordergrund steht bei der Firma Wehaus das Maschinenschleifen. Die Produktpalette umfasst tausende von Artikeln. „Knapp ein Drittel haben wir auf Lager“, sagt Steffen Ernle.

Ein Ladengeschäft für Privatkunden gab es in der 100-jährigen Firmengeschichte übrigens nie

Mit seinen sieben Beschäftigten erwirtschaftet das Unternehmen etwa eine Million Euro Jahresumsatz durch den Verkauf. Hinzu kommen Provisionserlöse aus der Übernahme der Handelsvertretung führender Hersteller. Ein Ladengeschäft für Privatkunden gab es in der 100-jährigen Firmengeschichte übrigens nie. „Wir waren immer im Business-to-Business-Bereich tätig“, sagt Karin Heigl, die im Firmengebäude wohnt. Die Kundschaft besteht aus Wiederverkäufern und größeren Endanwendern und sitzt in ganz Süddeutschland mit dem Schwerpunkt Baden-Württemberg. „Wir liefern jedes Maß, auch wenn es noch so krumm und abstrus erscheint“, sagt die Opern-Enthusiastin. Sogar die Besitzer sehr alter Schleifgeräte können über Wehaus noch Ersatz erhalten – manche Produkte wie etwa Schleifbänder werden in Schmiden auch auf Maß geliefert. Im Lager gibt Steffen Ernle einen Überblick über die Funktions- und Formenvielfalt von Schleifmitteln. Trennscheiben für den Winkelschleifer liegen neben Schleifbändern und Schruppscheiben. Optisch heraus stechen Fächer-Schleifscheiben und bunte Vlies-Faltwalzen, die zur praktisch ansatzlosen Bearbeitung von Edelstahl-Oberflächen benutzt werden. Junge Menschen werden bei Wehaus seit Jahren zu Fachkräften für Lagerlogistik ausgebildet. Und unterstützt wird von dem Unternehmen die Jugendarbeit der Stuttgarter Kickers – Steffen Ernle gilt als Edelfan des fußballerisch in die Oberliga abgerutschten Sportvereins.