Vom kleinen Männerturnverein zur großen Sportvereinigung mit mehr als 3000 Mitgliedern: Ihr Vorsitzender Hans-Jürgen Will sieht den Verein gut aufgestellt, um auch die kommenden Herausforderungen zu meistern. Davon gibt es einige.

Rems-Murr: Chris Lederer (cl)

Die drei Herren auf dem alten Foto sehen aus, als könnten ein paar Leibesübungen nicht schaden. Ob Metzgermeister Gottlob Schmalzried, Zinngießer Friedrich Kallenberg und Kaufmann August Binz mit Klimmzügen und Liegestützen erfolgreich waren, das lässt sich freilich nicht genau sagen. Fest steht: Die drei Winnender schafften es, den im Feuereifer der Revolution 1848 gegründeten und wenig später aufgrund von Not und Nachwuchsmangel eingeschlafenen Männerturnverein wieder aus dem Dornröschenschlaf zu holen: 1860 erlebte die „Turngemeinde Winnenden“ dank ihnen quasi ihre zweite Taufe.

 

Oberbürgermeister Holzwarth: „Die SV ist immer mit der Zeit gegangen“

Ohne sie gäbe es heute keine Sportvereinigung Winnenden, ist sich deren aktueller Vorsitzender Hans-Jürgen Will sicher. Wenngleich die Beweggründe fürs Turnen andere waren als heutzutage: „Der Turnverein wurde gegründet von politisierten jungen Männern als Teil der allgemeinen deutschen Turnerbewegung, ganz im Überschwang der Revolution von 1848“, sagt Will.

Krisen, Umstürze und zwei Weltkriege beeinflussten das Leben der Menschen in Winnenden seit dieser Gründung, fasst es Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth in der Festschrift zum Jubiläum zusammen. „Trotz allem ist es der SV Winnenden gelungen, als Verein bestehen zu bleiben, wenn sich auch der Name einige Male geändert hat. Und so kann die SV auf eine lange Tradition zurückblicken und stolz darauf sein, über viele Generationen hinweg Menschen zusammengeführt und die Grundlagen für gemeinsame Aktivitäten geschaffen zu haben“, so der OB. „Gelungen ist ihr das nur, weil sie immer mit der Zeit gegangen ist. Sie hat ihre Angebote den Wünschen der Menschen angepasst und auch Zusammenschlüsse mit anderen Vereinen nicht gescheut.“

Damen sind erst seit 1908 mit dabei

Noch immer stellt die Turnabteilung, rund 700 Mitglieder stark, das Herzstück der Sportvereinigung dar, wenngleich das Wettkampfturnen nach dem Zweiten Weltkrieg eingestellt wurde. Lange Zeit waren es nur die Männer, die turnten. Erst im Jahr 1908 wurde die erste Damenriege gegründet. Nun sind es vorwiegend die Frauen, die das Geschehen in der noch immer größten Abteilung der SV Winnenden bestimmen. Allerdings habe sich die Turnabteilung vom klassischen Turnen, das einst Gymnastik, Turnspiele, Tanzen und Singen beinhaltete, zu einer attraktiven Abteilung mit vielfältigen Sport- und Freizeitangeboten für alle Altersklassen entwickelt.

Aus dem kleinen Männerturnverein hat sich über die Zeit eine Gemeinschaft mit mehr als 3000 Mitgliedern in 16 Abteilungen entwickelt. Unter den Turnern fanden sich Handballer, später gesellten sich Fußballer, Tischtennisspieler und Wintersport-Fans dazu. Es folgten 1968 Judo und Karate, die seit 1985 ihr Dojo zum Trainieren haben. Auch Volleyball gehört seit 1968, Leichtathletik seit 1974 fest zum Verein. Sogar vermeintlich exotische Sportarten sind unter dem Dach der Vereinigung zuhause: Seit 1976 hat sich die SV zu einer Hochburg des Rollsports entwickelt.

Mit dazu beigetragen hat sicher die eigene Halle. Zudem besitzt die Sportvereinigung drei vereinseigene Tennisplätze im Freien. Badminton wird seit 1985 angeboten. Das Thema Gesundheitssport spielt bei der SV seit den 1980ern eine wichtige Rolle; die Herzsport-Abteilung wurde 1994 gegründet. In den 2010er Jahren kamen Angebote im Rehasport und die Seniorengruppe namens Spätlese dazu. Inline-Ski und Inline-Skaterhockey gehören seit Anfang der 2000er Jahre zum Verein und haben wie die meisten anderen Abteilungen eine treue Gefolgschaft. Jüngster Spross im Schoße des Vereins sind die Rennrad- und Mountainbikefahrer. Letztere hatten sich Mitte der 90er Jahre zunächst vom Verein gelöst und sind seit 2023 wieder Teil der Sportvereinigung.

Betriebssport: Kooperation mit neun Firmen

Geht es nach Hans-Jürgen Will, dann würde es bei der SV auch wieder eine Basketball-Abteilung geben. „Das haben wir zweimal versucht, es hat aber leider nicht geklappt“, sagt er. „Ich würde es auch noch ein drittes Mal probieren.“ Auch bedauert er noch immer, dass die Triathlon-Athleten nicht bei der Sportvereinigung, sondern anderswo ihre sportliche Heimat gefunden haben. „Da muss man rückblickend sagen: Den Trend hat man nicht erkannt.“ Guter Dinge ist Will, was das Schaffen einer anderen, neuen Abteilung angeht: „Nebenan wird das Wunnebad erweitert und ein Lehrschwimmbecken gebaut, wir denken darüber nach, eine Schwimmabteilung zu gründen.“

Gut entwickelt hätten sich seit den 1960er und 1970er Jahren zunehmend die Kooperationen mit örtlichen Firmen. Aktuell gebe es Betriebssportangebote bei neun Kooperationsfirmen. Früher hätten die Mitarbeiter der Firmen ausschließlich vereinseigene Anlagen genutzt, jetzt würden die Sporttrainer der SV auch in die Betriebe gehen, um Bewegungs- und Gesundheitsangebote umzusetzen, etwa Rückenschulen direkt am Arbeitsplatz. „Eine Win-Win-Situation zwischen SV und Wirtschaft“, sagt Will.

Der Sportpark ist das Herzstück

Medaillen und Titel gibt es im Verein quer durch fast alle Abteilungen. Ein Gewinn sei aber auch die Gründung der Kindersportschule Kiss im Jahr 2014. „Ein Mega-Erfolg“, sagt der Vorsitzende. Etwa 300 Kinder werden dort von Sportlehrerinnen und Sportlehrern in verschiedenen Bereichen unterrichtet. Die Nachfrage sei so hoch, dass es Wartelisten gibt.

Der Unterricht der Kinder und Jugendlichen findet meist in der „Schaltzentrale und dem Herzstück des Vereins“ statt, dem 2017 eröffneten Sportpark Winnenden. Das Sport- und Vereinszentrum an der Albertviller Straße 58 mit großem Fitnessbereich, Kursräumen, riesiger Bewegungslandschaft auf drei Ebenen zum Springen, Klettern und Toben sowie der Geschäftsstelle des Vereins hat 4,5 Millionen Euro gekostet. Gut investiertes Geld, meint Will. Davon zeugten nicht zuletzt 1200 zahlende Nutzer im Fitnessbereich. Und die Bewegungslandschaft sei so gefragt, dass es zu wochenlangen Buchungsstaus komme. „Wir stehen finanziell stabil da“, sagt er. Ein Sorgenkind hingegen sei das alte Vereinsheim aus dem Jahr 1927. Seit bereits fünf Jahren sei die Gaststätte stillgelegt und werde vom Verein nicht mehr genutzt. „Für das Gebäude suchen wir nach einer weiteren Verwendung.“

Es gibt eine hohe Fluktuation bei den Mitgliedern

Was die Mitgliederzahlen angeht, schaut Will positiv in die Zukunft: Der Rückgang während der Coronazeit von rund zehn Prozent werde dieses Jahr wieder eingeholt, ist er überzeugt. „Winnenden wächst, und unser Ziel ist es, als Verein mitzuwachsen. Dafür müssen wir moderner, schneller und digitaler werden. Aber da sehe ich uns auf einem guten Weg.“ Hoch sei die Fluktuation bei den Mitgliedern generell. „Pro Jahr gibt es zwischen 500 Aus- und Eintritte.“ Die Lebenswirklichkeit der jüngeren Generation spiele sich auf dem Smartphone ab, da gebe es noch einigen Nachholbedarf, so müssten Anmeldungen per Handy möglich sein. Auch was die Generation 50-Plus angehe, könne man noch weitere Potenziale ausschöpfen.

Bewusst ist sich der 57-Jährige allerdings auch, dass alles nur gemeinsam und mit der Hilfe und Tatkraft der gut 150 engagierten ehrenamtlichen Mitarbeiter funktionieren kann: „Ohne unsere Ehrenamtlichen fliegt hier kein Ball, dreht sich kein Rad“, sagt der Vorsitzende. „Wir legen im Hauptverein die Strukturen, aber die guten Seelen in den Abteilungen richten es. Ohne sie geht nichts.“

Anlässlich des Jubiläums finden zahlreiche Veranstaltungen statt. Zum Beispiel Sporttage mit Winnender Schulen vom 19. bis 21. Juli und im Anschluss ein großes Sportwochenende mit Aktionen vom 21. bis 23. Juli.