Der Jubilar blickt auf ein bewegtes Leben zurück und feiert mit seiner Familie.

Leonberg - Es ist ein ganz besonderer Geburtstag, denn Willi Zett am Mittwoch feiert: der gebürtige Westpreuße wird 100 Jahre alt. „Ja“, sagt der Senior und schmunzelt, „das ist ein langer Weg gewesen.“ Er sitzt auf der gemütliche Couch im Wohnzimmer, die wachen Augen strahlen, und er beginnt zu erzählen.

 

„Es ist ja kein vernünftiges Leben gewesen“, erinnert er sich an die ersten Jahre. Geboren und aufgewachsen ist er in dem kleinen westpreußischen Ort Reichfelde im Kreis Marienburg, das später Ostpreußen angeschlossen wurde. Die Eltern arbeiteten in der Landwirtschaft, und Willi war das jüngste von 16 Kindern. „Manche meiner Nichten und Neffen waren älter als ich“, er lacht. Nach der Schule wollte er eine Ausbildung bei der Reichsbahn beginnen. „Doch das hat nicht geklappt“, denn 1937, mit 17 Jahren, wurde er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. „Und gleich 1939 zur Wehrmacht.“

Glück im Unglück

Willi Zett hat den ganzen Zweiten Weltkrieg als Soldat erlebt, dreimal wurde er verwundet. „Ich habe trotzdem Glück gehabt. In der Genesungszeit war ich wenigstens weg von der Front“, meint er nachdenklich. Doch militärisch eingesetzt wurde er in dieser Zeit trotzdem. Er war Militärausbilder in Riga, Ausbilder in der Heeresluftschutzschule und gehörte zum Schluss dem Sprengkommando Elbbrücke an. Wenige Stunden nach der Sprengung war der Krieg vorbei. „So ein Wahnsinn“, sagt er heute.

In der Nähe von Leipzig geriet Willi Zett in Kriegsgefangenschaft, 1946 kam er frei. „Ich dachte, was machst du jetzt? Nach Hause kannst du nicht, einen Beruf hast du nicht.“ Weil er Stuttgart aus Kriegstagen kannte und an die Sportschule in Degerloch gute Erinnerungen hatte, kam er in die Baden-Württembergische Landeshauptstadt und bewarb sich wieder bei der Reichsbahn. Die Absage kam prompt, den Text kann er bis heute auswendig zitieren: „Sie sind gebürtig aus dem Osten. Ihre gebürtige Verlässlichkeit ist nicht zu überprüfen.“ Willi Zett schüttelt den Kopf, das schmerzt bis heute. Doch er biss sich durch und fand in der Esslinger US-Kaserne Arbeit, bis er endlich eine Ausbildung absolvieren konnte: Mit viel Einsatz und einer Menge freiwilliger Lehrgänge wurde er Polizeibeamter.

Gerda, seine große Liebe

Auch mit der Liebe hat es geklappt: 1947 heiratete er seine Frau Gerda, die Schwester eines seiner Skatfreunde, die wie er aus Ostpreußen stammte. Mehr als 60 Jahre waren die beiden verheiratet. Das Paar baute sich in Esslingen ein Leben auf, zog Tochter Corinna groß, erwarb eine Eigentumswohnung und einen riesigen Garten, den beide mit viel Liebe und Sachverstand bewirtschafteten. „Esslingen ist zwar nicht meine Heimat. Aber mein zweites Zuhause, das ist es ganz sicher geworden“, erklärt das Geburtstagskind mit seiner leichten ostpreußischen Färbung in der Stimme, „und wenn man mich fragte, ob ich ein Flüchtling sei, habe ich geantwortet: ‚Nein, Entwicklungshelfer.‘“ Spitzbübisch lacht der alte Herr in sich hinein, der Humor hat ihn in seinen 100 Lebensjahren nicht verlassen.

Mit 52 Jahren musste Willi Zett aus gesundheitlichen Gründen den Polizeidienst quittieren. Doch für das Nichtstun war der umtriebige Mann nicht geschaffen, er suchte sich neue Tätigkeiten. Er war Fahrer für Krankentransporte und den Rettungsdienst beim DRK, Kellermeister bei der Sektkellerei Kessler, war Mädchen für alles in einem metallverarbeitenden Betrieb und schließlich Pförtner bei der Esslinger Zeitung. Bis heute bekommt er die Zeitung, zu deren damaligem Verleger er einen besonders guten Draht hatte. Mit 77 Jahren zog er sich in den Ruhestand zurück und widmete sich verstärkt der Gartenarbeit.

„Man wird abgeschrieben“

Nach dem Tod seiner Frau löste der Senior seine Bleibe in Esslingen auf und zog ins betreute Wohnen nach Leonberg. Hier fühlt er sich wohl, wenn auch seine Schwerhörigkeit den Kontakt zu den Nachbarn erschwert. „Wenn viele Geräusche um mich sind, dann verstehe ich trotz meiner Hörgeräte nichts mehr“, bedauert er, Gespräche sind dann schwierig. Zu schaffen macht ihm auch der Umgang der Gesellschaft mit alten Menschen, so, wie er es etwa mit 91 Jahren bei der Suche nach einem Platz für betreutes Wohnen erlebt hat: „Ein fast aussichtsloses Unterfangen.“ Auch die kompromisslose Zuordnung in die Demenzstation in der Kurzzeitpflege, wo er kürzlich wegen eines Sturzes einige Zeit verbringen musste, hat ihm zugesetzt. „Ab einem bestimmten Alter ist man abgeschrieben“, resümiert er nüchtern. Dabei geht es dem humorvollen Senior recht gut, der Geist ist wach wie eh und je. Mit Schwiegersohn Wolfgang und den Enkelkinder ist er stets in Kontakt, und mit ihnen und den Urenkeln wird er heute auch seinen Jahrhundertgeburtstag feiern.