Der Name Judas ist noch immer ein Schimpfwort. Das Monologstück Judas lässt den Verräter, der Christus den Römern ausgeliefert hat, selbst zu Wort kommen. Nun ist das Stück reihum in Stuttgarter Kirchen zu Gast.

Stuttgart - Welche Bedeutung hat der Verrat für jeden einzelnen von uns? Wie viel Verräter steckt in uns allen? Weshalb steht der Name Judas Iskariot bis heute für Verrat schlechthin? Wer war der Mann, der Jesus den Tod brachte, und warum tat er es? Es sind bis heute für das Christentum große Fragen, die Axel Preuß, der Intendant der Schauspielbühnen Stuttgart, in einen Kirchenraum bringt: Er inszeniert den Monolog „Judas“ der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans in der Hospitalkirche.

 

In einer predigtartigen Performance stellt sich darin der Verräter Judas, auf den Punkt gespielt von Jörg Pauly, seinem Publikum. Erhaben provozierend stolziert er im schwarzen Anzug und Hemd, es fehlt nur der Piuskragen, dem gekreuzigten Jesus entgegen. Immer wieder spricht er zu ihm, unterwirft sich, fleht, wendet sich doch wieder stolz, fast besserwisserisch ab, bleibt dennoch in der Hoffnung auf Erlösung. Allein, er wird sie nicht erhalten.

Wer nimmt Schuld auf sich?

Mal versucht dieser ganz moderne Judas, ein diabolischer Gaukler zu sein, indem er eine schwarze Clownsnase aufsetzt und im Plauderton Witze über sich und Jesus erzählt. Mal erscheint er sehr zerbrechlich, beinahe weinerlich flehend, fragend – unschuldig: Was wäre gewesen, hätte er den Verrat für 30 Silberstücke nicht begangen? Wären wir heute, was wir sind? Gibt es jemanden, der jemals ohne Reue war? Möchte einer hier vielleicht an seiner statt die Schuld auf sich nehmen? Ihm seinen Namen geben? Keiner? Stille. Anhaltender Atem. „Das habe ich mir schon gedacht“, sagt er.

Eindringlich blickt Pauly als Judas die Männer und Frauen im Kirchenraum an, will deren Blick unbedingt halten, sie vielleicht auch zum Wegsehen zwingen, bevor er zwischenzeitlich wieder in den Wahnsinn verfällt. Niemand hatte ihm damals geholfen, keiner den Jünger davon abgehalten, seinen Herrn zu verraten. Tatsächlich stellt sich unter den Theatergästen ein spürbares Gefühl der Ergriffenheit ein.

Neue Bedeutung

Die Weiten des kirchlichen Raums sorgen für eine dem Anlass angemessene Akustik und bereichern das Spiel durchaus, das ursprünglich fürs Theater konzipiert wurde und in Stuttgart in der Reihe „Stadt als Bühne“ als so genanntes Theater-on-demand für verschiedene Veranstaltungsorte zur Verfügung steht.

Das Stück kommt zu einer Zeit in Stuttgart an, in der sich die Kirche den alten Fragen von Schuld und Unschuld neu stellen muss und das Bußetun wieder an Bedeutung gewinnt. „Ich bin Judas, der Verräter“, lauter der Empfang in der Hospitalkirche, „Ich bin Judas – der Mensch“.