Bei der Verfolgung von Juden im Nationalsozialismus haben die Finanzämter in Baden und Württemberg eine aktive Rolle gespielt. Das zeigt eine wissenschaftliche Untersuchung, die das Stuttgarter Finanzministerium in Auftrag gegeben hatte.

Stuttgart - Die Finanzverwaltung während der NS-Zeit galt über Jahrzehnte als wenig ideologische, unbestechliche und an der Sache orientierte Behörde. Dieses Bild lässt sich allerdings nicht länger halten. „Beamte diskriminierten Juden gezielt bei den Steuern und plünderten sie aus“, sagte der Historiker Christoph Raichle am Freitag bei der Vorstellung seiner Studie „Die Finanzverwaltung in Baden und Württemberg im Nationalsozialismus“ in Stuttgart. Nach 1945 verhinderten sie teilweise, dass Überlebende ihr Eigentum zurückbekamen.

 

Die von Raichle ausgewerteten Einzelfälle machen deutlich, wie professionell und effizient Finanzbeamte in den beiden Ländern daran mitwirkten, beispielsweise die 1938 vom Reich geforderte „Judenvermögensabgabe“ in Höhe von einer Milliarde Reichsmark einzutreiben – am Ende kamen sogar 1,1 Milliarden zusammen. Juden wurden teilweise der Steuerhinterziehung beschuldigt, vor ihrer Auswanderung oder Deportation mussten sie den allergrößten Teil ihres Vermögens abliefern. „Auch Beamte, die nicht zu den fanatischen Parteiaktivisten zählten, machten sich so zu Werkzeugen einer Gewaltherrschaft, die ohne die Mitarbeit dieser vielen Verwaltungsexperten nie eine solche mörderische Effizienz entfaltet hätte“, sagte Raichle.

Partei wichtiger als Leistung

Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, wurden die Personalabteilungen in den Finanzbehörden schrittweise nazifiziert. Die Parteiarbeit habe Vorrang vor dem Leistungsprinzip, erklärte etwa der Karlsruher Finanzpräsident Hans Dehning, der davon ebenso profitierte wie etwa der NSDAP-Kreisleiter von Rottweil, Wilhelm Acker, der nach seiner Ausbildung zum Finanzinspektor eine Blitzkarriere machte. Oder Reichsbankrat Ernst Niemann, der mit willkürlichen Verhaftungen und Hausdurchsuchungen Schrecken im Land verbreitete. Wer dagegen politisch nicht genehm oder nicht anpassungsbereit war, wurde nicht mehr befördert, politisch ermahnt und überwacht.

Es gab aber auch Initiativen von unten: In Mannheim führten zwei Finanzämter 1935 ein Überwachungssystem ein, das später auch andernorts angewandt wurde. Sie leiteten die Daten von 600 Juden, die „steuerlich von Interesse waren“, an Zoll, Polizei und Gestapo weiter, um eine totale Kontrolle zu ermöglichen. 1938 wurde eine Meldepflicht für jüdische Vermögen eingeführt. Juden mussten ratenweise insgesamt 20 Prozent, später 25 Prozent ihres Gesamtvermögens abgeben – in Geld. Häufig blieb ihnen nur die Zwangsversteigerung von Immobilien und Wertsachen. In den Finanzämtern Heilbronn und Künzelsau seien die Vorgaben hart umgesetzt worden, in Mergentheim eher milde, fand Raichle heraus.

Viele Steuerunterlagen vernichtet

Für seine Arbeit wertete Raichle Akten aus unterschiedlichen Ämtern aus. Ein Großteil der Steuerunterlagen sei allerdings bei Luftangriffen zerstört worden, andere Dokumente seien vernichtet worden, um Spuren zu verwischen, sagte Wolfram Pyta, der das Projekt begleitet hat. Der Leiter der Abteilung Neue Geschichte in Stuttgart ist auch an der wissenschaftlichen Untersuchung der Landesministerien während der NS-Zeit beteiligt.

Das Finanzministerium ist bisher das einzige Ministerium, das zugleich auch die Arbeit der nachgeordneten Behörden erforschen ließ – dafür stellte es 210 000 Euro bereit. Für Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne), die ebenfalls Historikerin ist, ist die Untersuchung, die noch ihr Vorgänger Nils Schmid (SPD) in Auftrag gegeben hat, ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung „über das furchtbarste, dunkelste Kapitel unserer Geschichte“ – und zur Mahnung. „Es ist notwendig, die Mechanismen und die Strukturen der abscheulichen Verbrechen zu kennen – um sie nie wieder zuzulassen. Diese Kenntnis ist heute wichtiger denn je.“

Das 949-seitige Werk ist im Kohlhammer-Verlag erschienen und kostet 98 Euro.