Frank Schirrmachers Nachfolger bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wird Jürgen Kaube, derzeit noch zuständig für Geisteswissenschaften im FAZ-Feuilleton.

Stuttgart - Bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) neigt man nicht dazu, die Dinge zu überstürzen. Vor fast einem halben Jahr starb unerwartet Frank Schirrmacher, der profilierteste Kopf unter den Herausgebern. Es folgte eine wochenlange Trauerbewältigung inklusive der Apotheose des Verstorbenen. Nun steht der Nachfolger fest: Der stellvertretende Feuilletonchef Jürgen Kaube wird zum Jahreswechsel in das Herausgebergremium berufen und dort für das Feuilleton verantwortlich sein.

 

Einen Ersatz für Schirrmacher zu finden war für die verbliebenen vier Herausgeber gar nicht so einfach – jedenfalls nicht, sofern sie nach einer Persönlichkeit Ausschau hielten, die für die Zeitung eine ähnliche Rolle spielen würde wie der Vorgänger. Schirrmachers große Stärke war sein Gespür für gesellschaftlich relevante Themen, die er mithilfe des publizistischen Einflusses seiner Zeitung auf die intellektuelle Agenda der Republik setzte. Nie war er um eine pointierte, oft nicht übermäßig differenzierte These verlegen, die sich gut in Talkshows verbreiten ließ. So gelang es Schirrmacher über die Jahre, der FAZ ihr altbackenes Image zu nehmen.

Und wieder keine Frau

Der ehemalige FAZ-Redakteur und Bestseller-Autor Florian Illies wäre sicherlich zu einer ähnlichen Jonglage mit Ideen und Provokationen fähig gewesen. Insider-Informationen zufolge wollte der 43-Jährige aber seine Tätigkeit als Mitgesellschafter des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach nicht aufgeben. Lange war auch darüber spekuliert worden, die 40-jährige Literaturredakteurin und Fernsehmoderatorin Felicitas von Lovenberg könnte den Posten übernehmen. Eine Frau im Herausgeber-Kreis mit drei Männern hätte sicher einen neuen Akzent gesetzt.

Der 52-jährige Jürgen Kaube ist demgegenüber eine konservative Lösung. Das liegt nicht in erster Linie daran, dass der Leiter des Ressorts Geisteswissenschaften zur Spezies der klassischen bürgerlichen Konservativen gehört, die das Feuilleton der FAZ vor Schirrmacher geprägt hatten. Kaube ist ein unabhängiger Geist mit liberalkonservativen Ansichten, der andere Meinungen gelten lässt, sofern sie mit Argumenten vorgebracht werden – zumal ein Herausgeber sein Ressort ja nicht par ordre de mufti führt, sondern es mit eigenständigen und oft genug eigenwilligen Redakteuren zu tun hat.

Zweifel bestehen hingegen, ob der Wissenschaftsredakteur in der scharfen Konkurrenz zum Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ Profil gewinnen kann. Kaube reagiert eher auf gesellschaftliche Entwicklungen mit klugem Nachdenken als dass er, wie Frank Schirrmacher, mit Aplomb neue Themen setzt. Der künftige Herausgeber muss nun eine Balance finden zwischen konservativer Nachdenklichkeit und medialem Aufmerksamkeitsmanagement.

Dringend gesucht: Impulse für das Blatt

Impulse hat die „Frankfurter Allgemeine“ nämlich dringend nötig. Wie alle Tageszeitungen kämpft sie mit einer sinkenden Auflage. Sie liegt gegenwärtig nur noch knapp bei über 300 000 Exemplaren. Das ist fast ein Viertel weniger als bei der „Süddeutschen“, mit der das Blatt jahrzehntelang gleichauf lag. Als dramatisch erweist sich vor allem der Einbruch bei den lukrativen Stellenanzeigen. Er bescherte der FAZ im vergangenen Jahr einen Verlust von über acht Millionen Euro. Der neue Geschäftsführer Thomas Lindner verkündete deshalb im August ein Sparprogramm. 200 der rund 900 Stellen werden gestrichen, darunter auch 40 in der Redaktion. Außerdem hob Lindner den Abo-Preis massiv an.

Dabei steht das Frankfurter Blatt im Kern besser da als viele andere Verlage. Mehrheitseigner der FAZ-Gruppe ist die Fazit-Stiftung. Diese kontrolliert auch die Frankfurter Societäts-GmbH, die die Regionalzeitung „Frankfurter Neue Presse“ herausgibt. Über eine weitere Tochtergesellschaft gehört seit vergangenem Jahr die dritte Zeitung in der Rhein-Main-Region, die „Frankfurter Rundschau“, zum Konzern. Die FAZ-Gruppe ist schuldenfrei und verfügt über Reserven und Immobilienwerte in Höhe von fast 200 Millionen Euro. Unmittelbar in ihrer Existenz gefährdet ist die FAZ also nicht. Eine Sparmaßnahme allerdings war schon vor dem Tod Frank Schirrmachers verkündet worden: Ein Herausgeberposten wurde gestrichen.