Jugendliche fühlen sich von der Poltik nicht abgeholt. Deswegen schwankt auch die Wahlbeteiligung bei den jungen Wählern und Wählerinnen. Man müsse die Jugend dort abholen, wo sie unterwegs sei, sagt die Wahlforscherin Andrea Wolf.

Stuttgart - Die Jugend und die Politik haben es nicht immer leicht miteinander. Die Wahlforscherin Andrea Wolf von der Forschungsgruppe Wahlen, die hauptsächlich das ZDF bei Wahlsendungen wissenschaftlich berät und betreut, erklärt die Hintergründe jugendlicher Skepsis und Zurückhaltung.

 
Frau Wolf, bei der Bundestagswahl 2013 lag die Wahlbeteiligung der 21- bis unter 25-Jährigen bei rund 60,3 Prozent, im Vergleich zu älteren Wählerschichten also deutlich niedriger. Woran liegt das?
In dieser Altersgruppe ist die Wahlbeteiligung bei allen Wahlen in der Regel am niedrigsten. Die jüngere Altersgruppe, also die unter 21-Jährigen, die dann meistens das erste Mal überhaupt wählen dürfen, macht deutlich häufiger von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Bei den älteren, also den Wählern ab 25 Jahre, steigt die Wahlbeteiligung dann kontinuierlich an, erst bei den ab 70-Jährigen nimmt sie wieder leicht ab. Das ist der ganz typische Verlauf bei der Wahlbeteiligung nach Alter und hängt unter anderem mit dem politischen Interesse zusammen, das bei Älteren stärker ausgeprägt ist als bei Jüngeren, aber auch damit, dass soziale Normen wie die Bürgerpflicht zur Wahl zu gehen, bei Älteren noch stärker verankert sind als bei Jüngeren.
Woran liegt es, dass Erstwähler eine höhere Wahlbereitschaft zeigen, als die nachfolgenden jungen Wählerinnen und Wähler?
Die Wahlbeteiligung bei Erstwählern ist immer etwas höher als die in der nachfolgenden Altersgruppe, das ist quasi der Reiz des Neuen, der dann wieder abflaut. Und genau wie bei den älteren Wählern spielt auch bei den Erstwählern die Bedeutung, die sie der jeweiligen Wahl beimessen, eine wichtige Rolle. Die Bundestagswahl als wichtigste Wahl hat die höchste Wahlbeteiligung, bei Kommunalwahlen oder auch bei der Europawahl liegt sie deutlich niedriger.
Können die Wahlprogramme der Parteien das Interesse der jungen Wähler und Wählerinnen wecken?
Nur die wenigsten – und das ganz unabhängig vom Alter – studieren vor den Wahlen die Wahlprogramme der einzelnen Parteien. Wahlprogramme sind für die Außenwirkung nicht so wichtig, zumal die meisten programmatischen Inhalte nicht nur eine spezifische Alters- oder Ausbildungsgruppe betreffen, sondern generelle gesellschaftliche Themen und Interessen berühren.
Mit welchen Parteien können sich die jungen Wählerinnen und Wähler am besten identifizieren?
Jüngere Wähler finden meistens die beiden größeren Parteien Union und SPD weniger attraktiv und unterstützen stärker die kleineren Parteien wie Grüne und Linke. Vor allem die CDU/CSU schneidet bei den unter 30-Jährigen regelmäßig wesentlich schlechter ab als bei älteren Wählern. Auch die anderen kleineren Parteien, wie zum Beispiel die Piraten, werden von Jüngeren häufiger gewählt.
Welche Themen interessieren Jungwähler und Jugendliche am meisten?
Da gibt es gar nicht so große Unterschiede zwischen den Generationen. Im Politbarometer wird als weitaus wichtigstes Problem Flüchtlinge, Asyl und Integration genannt und das ganz unabhängig vom Alter. Danach kommen, mit jeweils ähnlicher Relevanz, die Themen Rente und Alterssicherung, soziales Gefälle sowie Bildung und Schule. Natürlich sind Rentenprobleme für Jüngere nicht so entscheidend, Bildung und Schule dafür mehr.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, junge Wählerinnen und Wähler sowie Jugendliche im Wahlkampf besser anzusprechen, damit sie zur Wahl gehen?
Sie müssen die Menschen dort abholen, wo sie sind beziehungsweise unterwegs sind, und Jugendliche sind viel im Internet unterwegs. Hier spielen vor allem die sozialen Medien eine wichtige Rolle.
Einige Bundesländer haben das Wahlrecht bei Kommunalwahlen herabgesetzt. Was halten Sie von der Idee, dies auch bei Landtags- und Bundestagswahlen einzuführen? Würde dies die Jugend mehr motivieren zu wählen?
In Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein sind ab 16-Jährige bereits wahlberechtigt bei der Landtags- beziehungsweise Bürgerschaftswahl – ohne klare Effekte auf die Wahlbeteiligung insgesamt. Der oben beschriebene Verlauf der Wahlbeteiligung verschiebt sich dann einfach um eine Altersgruppe nach vorne. Aber ungeachtet dessen ist es auf der individuellen Ebene natürlich für interessierte Jugendliche motivierend auch mit ihrer Stimmabgabe am politischen Prozess mitwirken zu können.