Im Haus der Lebenschance wird nun schon seit zehn Jahren jungen Schulabbrechern dabei geholfen, ihren Hauptschulabschluss nachzuholen. Doch das Programm bietet mehr als nur den Abschluss.

Stuttgart - Eine zweite Chance für Schulabbrecher – das bietet das Haus der Lebenschance (HdL), das in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von der Evangelischen Gesellschaft (eva) und der Baden-Württembergischen Kommende des Johanniterordens. „Das Konzept war damals eine Novität. Wir hatten vor, es erst einmal zwei Jahre laufen zu lassen“, erinnert sich Curt-Ekkehard Freiherr Schenck zu Schweinsberg vom Johanniterorden. Inzwischen seien es meist um die 85 Prozent der Teilnehmer, die die Prüfung schaffen. Insgesamt 61 junge Menschen haben im HdL bereits erfolgreich die Hauptschule abgeschlossen.

 

Oberstes Ziel ist die Freiwilligkeit

Finanziert wurde das Projekt anfangs komplett aus Eigenmitteln. „Inzwischen geht viel über Spenden. Es gibt Stiftungen und auch Organisationen, wie etwa Frauen helfen helfen, die sich schon langjährig finanziell beteiligen“, erzählt Leonie Nau, die zusammen mit Cara Andres hauptamtlich im HdL tätig ist. „Seit einigen Jahren haben wir auch Unterstützung vom Europäischen Sozialfond, was inzwischen ein sehr großer Baustein in unserer Finanzierung ist“, ergänzt sie. Bis zu 15 Teilnehmer können in jedem Jahrgang des HdL aufgenommen werden. Entscheidend sei beim Auswahlprozess, dass die Bewerber freiwillig kommen. „Wir prüfen in den Vorstellungsgesprächen vor allem die Eigenmotivation“, erklärt Baron Schenck. „Es gibt beidseitig eine Probezeit. Außerdem wird ein Vertrag abgeschlossen, was wir erwarten und was das HdL bietet“.

Klare Abgrenzung vom klassischen Schulsystem

Und geboten wird den Teilnehmern viel. Sie bekommen ein umfassendes Bildungsangebot zur Vorbereitung auf den Abschluss und werden in den prüfungsrelevanten Fächern unterrichtet. Dabei sei vor allem wichtig, dass die Lehrkräfte einen Zugang zu den Schülern finden. „Es gibt ja Gründe, warum es bei den Teilnehmern im normalen Schulsystem nicht geklappt hat. Davon wollen wir uns ganz bewusst abgrenzen, weshalb das hier auch kein klassisches Lehrer-Schüler-Gefälle ist, sondern schon ein Miteinander“, erklärt Cara Andres. Neben dem Unterricht können sich die Teilnehmer bei Bedarf einen ehrenamtlichen Paten aus den Reihen der Johanniter aussuchen, wobei sie die Wahl aus verschiedensten Berufsfeldern haben. Auch ein Taschengeld von 100 Euro im Monat ist im Programm inklusive. „Das Geld bekommen die Stipendiaten allerdings erst am Ende des Monats. Das ist auch eine Frage der Anwesenheit – als kleiner Anreiz sozusagen“, sagt der Baron.

Doch nicht nur auf ihren Schulabschluss werden die Teilnehmer vorbereitet. Es wird auch ihre soziale Kompetenz gefördert, sodass sie über den Abschluss hinaus ihr Leben selbstständig gestalten können. Seit 2015 hat das HdL einen eigenen Jobcoach, der die Teilnehmer bei der Suche nach Praktika und der Erstellung von Bewerbungsunterlagen unterstützt. „Zuletzt konnten wir 70 Prozent der Teilnehmer in Ausbildungen oder weiterführende Schulen vermitteln“, so Leonie Nau.

Lernen von zu Hause ist für viele keine Option

Der vielleicht wichtigste Bestandteil des Programms ist allerdings die feste Tagesstruktur, die das HdL den jungen Menschen bietet. „Kleine Rituale wie ein gemeinsames Frühstück geben Struktur und Halt“, meint Cara Andres. „Das ist hier ein bisschen wie Heimat“, findet auch Leonie Nau, „gerade in diesem Jahr haben wir gemerkt, wie wichtig das ist, als wir coronabedingt kurzzeitig versucht haben, das Ganze online durchzuführen“. Nicht nur sei dies an der technischen Ausstattung der Teilnehmer gescheitert. Auch sei für viele Teilnehmer, die in teils sehr prekären Verhältnissen leben, das Lernen von zu Hause keine Option. Das Programm werde daher aktuell in einer kleineren Gruppe und unter Einhaltung der Corona-Maßnahmen weitergeführt.