Die Fußball-Jugendleiterin kritisiert Eltern, die sich im Verein nicht einbringen, ihre Kinder bei ihrem sportlichen Werdegang zu wenig unterstützen, nie mit dem Trainer kommunizieren und bei den Spielen am Wochenende dann alles besser wissen.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Rohr - Schon als Kind war Sonja Hammer Mitglied beim TSV Rohr. Damals erlebte sie, was es heißt, in einem Verein zu sein. Fühlte sich aufgehoben, spürte den Teamgeist und war sich trotz allem immer der Unterstützung ihrer Eltern gewiss. Heute hat die 42-Jährige selbst drei Kinder. Ihr Sohn ist zehn Jahre alt, die Zwillinge sind acht. Alle drei spielen Fußball beim TSV Rohr. Sonja Hammer ist Jugendleiterin der Fußball-Abteilung und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit.

 

Heutzutage sei der Sportverein für manche Eltern nur noch eine gute Aufbewahrungsstätte für den eigenen Nachwuchs. Ein Ort, an dem man das „ach so selbstständige Kind“ allenfalls mal eben absetzt und dann schnell wieder verschwindet. So hat es Sonja Hammer in einem offenen Brief an die Eltern der Fußball-Kids formuliert. Schon seit einiger Zeit ist dieser auf der Internetseite des Vereins zu finden. Nun ist er auch im aktuellen Vereinsheft zu lesen. „Ich habe den Brief absichtlich so frech geschrieben“, sagt Hammer. Anders komme man an manche Eltern nicht ran. Die Trainer würden einige Mütter und Väter lediglich bei der Anmeldung kurz zu Gesicht bekommen – und dann so gut wie nie wieder.

Mit dem Mitgliedsbeitrag ist es getan

„Unsere Eltern haben so viel Vertrauen zum TSV Rohr und seinen Mitarbeitern, dass sie uns ihre Kinder blind geben und ganz sicher sind, dass für uns kein Problem zu groß ist“, schreibt die Jugendleiterin mit sarkastischen Worten in dem offenen Brief und ergänzt: „Manche glauben, dass mit dem Mitgliedsbeitrag alles erledigt ist und man sich nicht mehr einbringen muss.“

Für den TSV Rohr gelten andere Regeln, betont Hammer. „Wir sind ein kleiner Familienverein und auf die Hilfe aller angewiesen“, sagt die 42-Jährige. Dabei geht es ihr natürlich darum, dass Eltern ihre Kinder zu Auswärtsspielen fahren, dass man bei Heimspielen und Vereinsfesten Kuchen und Snacks sponsert und dass man als Helfer bei dem ein oder anderem Dienst zur Verfügung steht, die in einem Verein zu leisten sind. Der Jugendleiterin geht es aber auch darum, dass speziell Fußball ein Mannschaftssport ist. Da könne es nicht angehen, dass die Trainer immer häufiger den Kindern beziehungsweise deren Eltern hinterher telefonieren müssen, damit diese ihre Zusagen einhalten und die Mannschaft nicht im Stich lasse. „Das Mitmachen ist immer unverbindlicher geworden“, sagt Hammer.

Eltern sollten sich für den Sport ihrer Kinder interessieren

Vor allem aber geht es ihr um die Kinder. „Sie sollen spüren, dass die Eltern sich für ihren sportlichen Werdegang interessieren. Die Eltern sollen Freud und Leid mittragen. Mit ihren Kindern gemeinsam jubeln und trauern“, findet Hammer. Doch manche Mütter und Väter würden sich dafür gar nicht interessieren.

Sonja Hammer geht sogar so weit zu sagen, dass die Eltern gut daran tun, auch beim Training zuzuschauen. Sicher nicht jedes Mal. Aber zumindest ab und an, wenn es sich einrichten lässt und so lang die Kinder noch klein sind. Doch das Problem sei, dass heute immer häufiger beide Elternteile immer mehr arbeiten müssen, um finanziell über die Runden zu kommen. Aus ihrer Sicht ist diese Entwicklung für die Kinder nicht immer ideal. Wer Kinder habe, habe sich in aller Regel irgendwann einmal bewusst dafür entschieden. Zu dieser Entscheidung müsse man dann auch stehen, findet die Jugendleiterin.

Der Vorstand stehe hinter ihr. Doch von manchen Eltern werde sie belächelt, gibt die 42-Jährige zu. Doch sie steht zu ihrer Meinung. Und sie ist sich sicher, dass manche Eltern ihrem eigenen Kind mit ihrem Desinteresse auch schaden. Die Betonung liege auf „manche Eltern“. Doch in diesen Fällen werde dann der Trainer zu einer Art Ersatzmama oder Ersatzpapa. „Manche Trainer fahren die Kinder nach dem Spiel heim, weil sie es nicht verantworten wollen, dass diese im Dunkeln allein nach Hause gehen. Manche Eltern wüssten nicht einmal, dass ihr Kind gar nicht beim Training war, obwohl es sich zu Hause mit der Zielangabe Fußballplatz verabschiedet hatte, sagt die Jugendleiterin aus Rohr.

Der Gipfel sei aber, wenn genau diese Eltern dann doch mal bei einem Spiel auftauchen und dann von der Seitenlinie aus den Trainer korrigieren und gute Ratschläge erteilen. Diese Eltern hätten das mit dem Engagement in einem Verein völlig falsch verstanden.

Der All-inclusive-Trainer ist gefragt

Nicht nur der TSV Rohr beklagt, dass immer mehr Eltern immer weniger Zeit haben, um sich zu engagieren und teilweise sogar, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Andere Sportvereine berichten Ähnliches. „Manche Eltern geben ihre Kinder einfach nur noch ab und setzen darauf, dass sie im Verein gut betreut werden“, sagt Brigitte Kaufmann. Sie ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit beim 1. SV Fasanenhof. Das sei sehr schade, denn insbesondere die kleinen Vereine brauchten das Engagement der Eltern.

Die Organisation der Fahrten zu Auswärtsspielen sei eines der Probleme. „Wir geben als Treffpunkt mittlerweile nicht mehr das Vereinsheim, sondern den Spielort an“, sagt Kaufmann. Damit sei es die Sache der Eltern, ihren Nachwuchs zu den Turnieren zu bringen. „Das ist zwar auch nicht ideal, aber anders war es nicht mehr zu machen.“ Besonders bedauerlich sei, sagt Kaufmann, dass der Verein vor diesem Hintergrund sogar schon einen Trainer verloren habe. „Er konnte und wollte nicht mehr der All-inclusive-Trainer sein.“

Beim SVV und SVM ausreichendes Engagement

Die großen Vereine wie der SV Vaihingen und der SV Möhringen hingegen können nicht über mangelndes Engagement klagen. „Wir sind sehr stolz auf die großartige Unterstützung der Eltern in allen Bereichen der Jugendarbeit. Dies freut uns um so mehr, da wir natürlich auch die abnehmende Bereitschaft für ein ehrenamtliches Engagement in unserer Gesellschaft registrieren“, schreibt Karl-Heinz Kulow, der Vorsitzende der Sportvereinigung Möhringen. Auch Michaela Netzer-Voit ist zufrieden. „Turniere könnten ohne die Bereitschaft der Eltern gar nicht durchgeführt werden. Die Eltern stehen zum Teil den ganzen Tag auf dem Platz für die vielfältigsten Dinge, die sie gerne erledigen“, schreibt die Vorsitzende des SV Vaihingen. Nur bei der Übernahme eines gewählten Ehrenamtspostens im Verein hapere es.

Auch Martin Obrecht, der stellvertretende Vorsitzende des VfL Kaltental, hat sich bei den verschiedenen Abteilungen in seinem Verein umgehört und ein „überwiegend positives Ergebnis“ bekommen. Die Kernfrage sei, wie man Eltern in die Kinderangebote eines Vereins einbinden könne. „Wir vom VfL Kaltental sind uns bewusst, dass wir auf diesem Feld weiter dazu lernen wollen“, sagt Obrecht.