Kommt der Jugendkanal, oder kommt er nicht? Wie die Länderchefs am 16. Oktober entscheiden werden, wissen die Programm-Macher nicht. Wie das Angebot für junge Leute aussehen soll, wissen sie hingegen ziemlich genau.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Namen sind Botschaften. Jugendkanal – das klingt sehr pädagogisch und so gestrig, dass einem der alte Jugendherbergsmuff in die Nase steigt. Das weiß Peter Boudgoust. Jugendkanal sei nur ein Arbeitstitel, betont der SWR-Intendant, er bevorzugt die Bezeichnung „crossmediales Jugendangebot“, wobei ihm klar sein muss, dass dies ein Beispiel für verbiestertes Bürokratendeutsch und kaum besser ist. Der Begriff übersetzt zumindest einigermaßen das, was dem Intendanten von Anfang vorschwebte: ein multimediales Programm für 14- bis 29-Jährige, das auf unterschiedlichen Medien – im Fernsehen, im Radio und im Internet – ausgespielt wird und diese miteinander vernetzt.

 

So unselig der Name, so unselig die Geschichte, die bislang mit ihm verbunden ist. Schon zweimal sind ARD und ZDF mit ihrem vom federführenden SWR erarbeiteten Konzept gescheitert. Im Oktober 2013 stimmten die Länderchefs der Gründung grundsätzlich zwar zu, forderten aber Nachbesserungen. Im März dieses Jahres wurde der Beschluss abermals vertagt. Die Politiker bezweifelten, ob die zur Finanzierung veranschlagten 45 Millionen Euro ausreichten. Quergestellt hatten sich Bayern, Sachsen und Hessen. Das Konzept sei „windelweich“, der Jugendkanal damit quasi vom Tisch, wollten Eingeweihte wissen. Nun steht das Thema am 16. Oktober in Potsdam wieder auf der Tagesordnung der Ministerpräsidenten. ARD und ZDF haben wie gewünscht nachgebessert. Eine dritte Vertagung gilt als ausgeschlossen, nun heißt es Top oder Flop.

Alles nur Politiktaktik? Die Vermutung liegt nahe: Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer, die als Vorsitzende der Rundfunkkommission die Medienpolitik der Länder koordiniert, ist von der SPD; auch die Mehrheit der Länder ist SPD-(mit)regiert – die Querschläge kommen von CDU- beziehungsweise CSU-regierten Ländern.

Wie muss das Angebot aussehen?

Doch Platzhirsch-Gebaren hin oder her: der Jugendkanal hat viele Kritiker. Sie halten ihn für den falschen Weg, um den sogenannten Generationenabriss bei ARD und ZDF zu stoppen. Junge Formate gehörten besser ins Hauptprogramm, glauben sie. Sogar Jan Böhmermann, der Held des neuen Fernsehens, sagte in einem Interview: „Kluges, junges Programm muss an relevanter Stelle gezeigt werden.“ Doch was spricht dagegen, innovative Formate, die im Jugendkanal gut ankommen, ins Hauptprogramm zu übernehmen?

Die Kernfrage lautet: Wie muss das Angebot aussehen, damit es angenommen wird? Hier kommt man zwangsläufig auf den unglücklichen Begriff Jugendkanal zurück. Denn einen linearen Fernsehsender althergebrachter Fasson braucht die Zielgruppe tatsächlich nicht. Bei der Generation „head down“, die fast permanent den Blick aufs Smartphone senkt, ist lineares TV nach festen Sendezeiten out. Das Fernsehen der Zukunft findet im Netz statt, auf Youtube und Streaming-Plattformen. Der Zuschauer ist sein eigener Programmchef, er holt sich auf den Screen, was er will, wann er will, mit dem Gerät seiner Wahl. Und er ist kein passiver Glotzer mehr, sondern einer, der via sozialer Netzwerke mit Kommentaren, Clips und Fotos („user generated content“) aktiv mitmischt.

Andererseits ist Fernsehen für die netzverliebte Jugend nach wie vor ein Leitmedium. Im Schnitt sehen die 14,7 Millionen 14- bis 29-Jährigen im Land am Tag immer noch 128 Minuten fern; vor fünfzehn Jahren waren es nur drei Minuten mehr. Wenn man sich dessen bewusst anhört, wie sich die Programmmacher von Eins Plus und der jungen SWR-Hörfunkwelle Das Ding in Baden-Baden das Jugendangebot konkret vorstellen, könnte man zu der Einsicht kommen: es könnte funktionieren. Der Digitalkanal Eins Plus, vom SWR verantwortet, versteht sich explizit als Versuchslabor für den Jugendkanal und experimentiert mit jungen Formaten, in enger Verknüpfung mit Das Ding.

Badauftritte im Internet

Frank Neckel, der Produktionsleiter „Junge Formate“, veranschaulicht dies mit dem Konzertevent Rock am Ring. Bandauftritte werden im Radio und im Netz übertragen, live sowie zum Abruf „on demand“, sind aber auch Thema im TV. Die Medien beliefern sich wechselseitig mit Inhalten, indem etwa der Fernsehreporter, der live beim Festival dabei ist, im Hörfunk Interviews gibt. Interaktivität wird großgeschrieben: Zuschauer, Zuhörer und User sind über die Social Media eingebunden, ihre Facebook-Einträge und Twitter-Meldungen landen auf dem Bildschirm, sie können auf den Webseiten der Radiosender Videos posten oder beim TV-Programm mitbestimmen, indem sie per Voting entscheiden, welches Konzert im TV gesendet werden soll.

Auch bei anderen Livemusik-Events, wie etwa am vergangenen Wochenende das SWR 3 New Pop Festival, kann Eins Plus Rekordzahlen bei Zuschauern und Clicks vermelden. Neben Das Ding gibt es acht weitere junge Radiowellen unter dem Dach der ARD, das sei ein „Riesen-Fundus“, aus dem man schöpfen könne, so Wolfgang Gushurst, der Programmchef von Das Ding.

Der crossmediale Ansatz funktioniere freilich auch in den Sparten Mode, Trendsport, Film oder Computerspiele, bei Reisereportagen oder Comedy-Shows, sind sich die Jugendkanal-Pioniere in Baden-Baden sicher. Ein weiteres Beispiel: zwei junge Journalistinnen lassen sich von der Internet-Community ihre Reportage-Recherchen per Crowdfunding finanzieren. Als Gegenleistung darf die „Crowd“ ihnen Rechercheaufträge geben. Das Ergebnis, das zunächst nur ins Netz gestellt wurde, ist seit Ende Juli auf Eins Plus zu sehen („Crowdspondent“, sonntags, 17.15 Uhr).

Nur fürs Netz ist kaum günstiger

Doch wenn das Internet so wichtig ist – braucht es überhaupt noch ein klassisches lineares TV-Angebot? Ließe sich mit einer reinen Online-Plattform nicht jede Menge Geld sparen? Auf lediglich 6,5 Prozent beziffert Alexander von Harling den Kostenanteil für die Verbreitung im Fernsehen; TV-Inhalte nur fürs Netz zu produzieren sei nur unwesentlich günstiger, argumentiert der Programmchef.

Beim Thema Finanzen versichern die Planer in Baden-Baden, dass Beitragsstabilität das Ziel sei; der 45-Millionen-Etat des Jugendkanals habe der Prüfung durch die Kommission zur Ermittlung des  Finanzbedarfs (KEF) standgehalten. „Knapp, aber realistisch“, laute der KEF-Befund, so Alexander von Harling. Geplant sei eine „kleine Geschäftsführung“ in Mainz, 28,5 neue Stellen müssten eingerichtet werden, insgesamt sind 49 angesetzt. Lediglich zehn Stellen entfallen dabei auf das Online-Team. Weil aber mit Programmen und Zulieferungen von bestehenden Redaktionen bei ARD und ZDF gearbeitet werde, sei eine 24-Stunden-Online-Präsenz gewährleistet.