Von der Tat bis zur Verhandlung vergehen oft bis zu zwei Jahre. „Zu spät“, kritisieren Experten.

Böblingen - Fast zwei Jahre ist es her, dass ein damals 19-Jähriger bei einer so genannten Abivorfeier, die Schüler des Sindelfinger Stiftsgymnasiums organisiert hatten, bei der Maichinger Festhalle einen 16-Jährigen mit einem Messer niederstach. Das Opfer wurde so schwer verletzt, dass es zeitweise auf der Intensivstation behandelt werden musste. Die Polizei stellte den Täter bereits nach wenigen Tagen. Der junge Mann legte ein Geständnis ab. Eigentlich ein völlig klarer Fall. Doch bis heute gab es keine Gerichtsverhandlung.

 

„Die Anklage der Staatsanwaltschaft ging bei mir am 11. September dieses Jahres ein“, sagt der Böblinger Jugendrichter Günter Scheible. Warum es so lange gedauert hat von der Festnahme bis zur Anklageerhebung vor zwei Monaten, das ist dem Richter unverständlich. „Die Polizei hat sehr zügig gearbeitet, die Fakten lagen schnell auf dem Tisch.“

Wertvolle Zeit geht verloren

Doch das ist kein Einzelfall. „Außer bei ganz einfachen Delikten wie Ladendiebstahl ist ein Jahr das Minimum, das vergeht von der Tat bis zur Verhandlung vor Gericht“, sagt Friederike Wesche, die Leiterin der Böblinger Jugendgerichtshilfe im Landratsamt. Dies sei gerade bei Jugendlichen die falsche Strategie. „Der Punkt, an dem man Einfluss auf die jungen Leute nehmen kann, wird so häufig verpasst,“ klagt die Sozialarbeiterin. Denn erst, wenn die Anklage bei Gericht eingeht, werden auch die Sozialarbeiter der Jugendgerichtshilfe verständigt. „Bis dahin ist wertvolle Zeit vergangen, in der wir vieles hätten anleiern können: zum Beispiel Schulschwänzer wieder zum Schulbesuch bringen.“ Stattdessen lungerten viele Jugendliche weiter unbeaufsichtigt herum, oft würden sie weitere Straftaten begehen. Wenn es dann zwei Jahre später zu einer Verhandlung komme, wüssten sie oft gar nicht mehr, um welche Tat es gehe.

Oder der Fall läuft in die andere Richtung. „Die jungen Leute haben ihr Leben in den Griff bekommen, absolvieren eine Ausbildung und werden auf einmal von ihrer Vergangenheit eingeholt.“

Dass bei Jugendlichen die Strafe möglichst bald nach einer Tat erfolgen sollte, ist unter Rechtsexperten und Pädagogen unumstritten. Doch die Realität sieht bei manchen Gerichten anders aus. Die Ursachen dafür sind vielfältig. „Es kann Ermittlungspannen bei der Polizei geben, Überlastungen bei den Gerichten und Verzögerungen durch die Staatsanwaltschaft“, sagt der Richter Scheible.

Staatsanwaltschaft ist überlastet

Letztere macht die Böblinger Jugendgerichtshilfe für die lange Verfahrensdauer verantwortlich. „Die Staatsanwaltschaft scheint überlastet zu sein. Es mangelt offenbar an Personal“, sagt Wesche. Dass viel liegen geblieben sei, räumt auch Thomas Schek ein. Er ist gemeinsam mit einer Kollegin für die Jugendstrafsachen im Kreis Böblingen zuständig. 130 bis 150 Fälle bearbeitet er pro Monat. Muss er aber wie in den vergangen Monaten in einem langwierigen Erwachsenenprozess aushelfen, müssen die Jugendstrafsachen für eine Weile liegen bleiben.

14 Staatsanwälte auf knapp zwölf Stellen sind für die Bearbeitung der Straftaten von Jugendlichen und Heranwachsenden im Alter von 14 bis 20 Jahren im Gerichtsbezirk Stuttgart zuständig – dazu gehören Stuttgart, Böblingen, Esslingen, Nürtingen, Ludwigsburg und der Rems-Murr-Kreis. Davon sind 1,5 Stellen für den Kreis Böblingen vorgesehen. Hinzu komme die Arbeit weiterer Staatsanwälte, die die Verkehrs- und Drogendelikte von Heranwachsenden im Alter von 18 bis 20 Jahren bearbeiteten, sagt Claudia Krauth, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Klagen über verzögerte Prozesse gibt es vor allem von der Jugendgerichtshilfe in Böblingen. Die Waiblinger und Ludwigsburger Kollegen berichten nicht von solchen Problemen.

Die Situation am Böblinger Amtsgericht wird sich wohl noch verschärfen. Denn im Dezember wechselt der zuständige Staatsanwalt Schek in eine andere Behörde. Ob es einen Nachfolger und wenn, in welchem Umfang, geben wird, steht nicht fest. Vermutlich wird die Stelle wohl einige Monate lang unbesetzt bleiben.

„Da bleiben wieder viele Fälle liegen“, befürchtet Friederike Wesche. Die Staatsanwaltschaft will sich dazu nicht äußern. Die Personalausstattung sei ein Thema des Justizministeriums. Dort war gestern keine Auskunft zu erhalten.