Gruselige Bühnenszenen machen Samuel Santangelo gar nichts aus. Aktuell spielt der Elfjährige im Wechsel mit seinen Kollegen Flinn Naunheim und Levin Raser in „Die Erziehung des Rudolf Steiner“ im Stuttgarter Schauspielhaus das kindliche Sprachrohr des berühmten Begründers der Waldorfpädagogik. Das britisch-irische Regieduo Ben Kidd und Bush Moukarzel hat das Stück in einer teils düsteren Ästhetik entwickelt, besonders zum Ende hin, wenn gesichtslose Gestalten in der Projektion eines brennenden Waldes „Death is not the End“ singen.
„Also, wenn man die Proben erlebt hat, dann weiß man halt, dass hinten Spezialeffekte mit brennenden Bäumen sind, dann findet man es nicht mehr so gruselig“, sagt Samuel und lächelt entspannt.
Steiners Puppenköpfe
Der Sechstklässler des Königin-Katharina-Stift-Gymnasiums an der Stuttgarter Kulturmeile drückt sich gewählt aus und wirkt mit seiner Brille und dem ernsten Blick reif für sein Alter. „Ich will noch was zu den Menschen sagen“, meldet sich der achtjährige Flinn zu Wort. „Die haben ja Puppenköpfe, von Steiners Puppen ohne Gesicht!“ – „Ja, genau“, hakt Samuel ein, „das ist auch Teil von Steiners Erziehung, der Anthroposophie. Er will, dass man sich selbst etwas vorstellen kann.“ „Es geht um die Fantasie“, fügt Levin hinzu, der Stillste von ihnen.
Wer genau dieser Rudolf Steiner war, wussten die drei vor Beginn der Arbeit mit Ben Kidd und Bush Moukarzel noch nicht. Keines der Kinder besucht eine Waldorfschule, aber Flinn erzählt von einem Schulfreund, der von der gemeinsam besuchten Schillerschule in Kornwestheim auf die Waldorfschule in Ludwigsburg wechselte. Was das Wort Anthroposophie bedeutet, kann Flinn noch nicht genau erklären, da springt Samuel ein: „Also – die Erziehung von Rudolf Steiner, die Theorie, die ganze Ansicht, nennt sich so“, erklärt er den komplexen Begriff und trifft voll ins Schwarze.
Die anfängliche Schüchternheit ist schnell wie weggeblasen
Die Jungen sind kommunikativ und aufgeschlossen beim Interview im oberen Foyer des Schauspielhauses, man versteht sofort, warum die Theatermacher die vom Temperament sehr unterschiedlichen, gleichermaßen freundlichen Persönlichkeiten ausgewählt haben. Obwohl unten im Saal Techniker lärmen, sitzen Flinn, Levin und Samuel über vierzig Minuten lang konzentriert auf dem Sofa, um Fragen zu beantworten. Auf der ausladenden Sitzlandschaft unter einem riesigen Bilderrahmen wirken die Kinder zierlich, fast zerbrechlich klein, die anfängliche Schüchternheit ist jedoch nach wenigen Minuten wie weggeblasen. Der Stolz auf die Zusammenarbeit mit den Theaterprofis ist ihnen sichtlich anzumerken. Die mehrwöchige Probenphase hat keines von ihnen als Belastung im Alltag empfunden.
Der Grundschüler Flinn ist der Jüngste und Quirligste, hält aber problemlos mit seinen älteren Bühnenkameraden mit. Seine Augen leuchten vor Begeisterung, wenn er von den Techniken spricht, die er im Workshop mit der Theatervermittlerin Anke Marx und vom Regieassistenten Tom-Henry Löwenstrom gelernt hat. Der elfjährige Levin besucht die fünfte Klasse des Mörike-Gymnasiums im Stuttgarter Süden und wirkt mit seiner besonnenen, charmanten Art wie ein lässiger Teenager.
Anweisungen nur auf Englisch
Während sich Flinn und Samuel manchmal vor lauter Erzähllust gegenseitig ins Wort fallen, hört Levin aufmerksam zu und lässt den beiden anderen oft den Vortritt. Dass es im Stück um Rudolf Steiners eigenständiges Erziehungskonzept geht, haben alle drei verstanden. Dass Kidd und Moukarzel sämtliche Anweisungen nur auf Englisch geben konnten, war auch kein Problem, „es wurde alles übersetzt“, sagt Flinn. „Die Theatervermittlerin hat uns Tipps zum Laufen und Sprechen gegeben“, erinnert sich Levin, die konkreten Inhalte des Stücks wurden ihnen aber nicht näher erläutert.
So bleibt ihnen auch die Passage aus Goethes „Faust“ ein Rätsel, die der kindliche Protagonist im Stück für das Klassenspiel seiner Waldorfschule rezitieren muss. In Steiners Vorstellung kommt es nicht darauf an, dass Kinder alles verstehen, was sie sagen, sie sollen durch Nachahmung lernen.
Mithilfe eines Spiels Texte trainiert
Die schwierigen und umfangreichen Textmassen mussten Samuel, Levin und Flinn deshalb auch nicht auswendig lernen, anschaulich berichten die drei, wie sie mithilfe eines Spiels trainierten, Texte über einen Knopf im Ohr flüssig simultan nachzusprechen. „Das ist gar nicht so leicht“, würdigt Flinn die mit Anke Marx entwickelte Koordinationsleistung.
Auch das Lampenfieber haben die drei mithilfe kleiner Tricks in den Griff bekommen. „Vor der Premiere war ich schon sehr aufgeregt“, gibt Samuel zu, „als ich aus der Maske kam, aber gar nicht mehr.“ Auf die Frage, was sie später einmal werden möchten, antworten Levin, Flinn und Samuel dann auch wie aus der Pistole geschossen: Schauspieler!
Der Weg zum Statisten
Suche
Für die Produktion des Regieduos Ben Kidd und Bush Moukarzel wurden Kinderdarsteller per Internet-Aufruf und mit einem Aushang in Samuels Schule gesucht, die mit dem Staatstheater eine Kooperation unterhält: www.koenigin-katharina-stift.de/lernen/kkst-kulturmeilen-schule/
Bewerbung
Kinder bis zum 15. Lebensjahr benötigen eine Auftrittsgenehmigung, eine Bewerbung für die Statisterie ist mit Einverständnis der Eltern jederzeit möglich. Eingesetzt werden (auch erwachsene) Statisten etwa als Lichtdouble oder in kleinen Rollen im Kostüm, mal mit Text, mal ohne. Interessierte können sich telefonisch im Statisterie-Büro melden: 0711-2032 377 oder per E-Mail an: statisterie@staatstheater-stuttgart.de
Termine
Die nächsten Vorstellungen von „Die Erziehung des Rudolf Steiner“ sind am 23.11., 10., 12.12., 10.01. zu sehen.