Für Millionen Teenager war sie der Inbegriff der Jugend, jetzt nähert sich die „Bravo“ nach 3079 Ausgaben und 2,68 Milliarden Heften langsam aber sicher dem Rentenalter. Mit 60 zeigt das Teenie-Kultblatt ein paar altersbedingte Gebrechen.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Seit sechs Jahrzehnten gehört die „Bravo“ zur Pubertät wie Petting, Pickel und Pin-ups. Starschnitts sammeln, „Dr. Sommer“ fragen, Teenie-Nackedeis anschauen. Das war‘s, was Generationen von Jugendlichen an dem Kuddelmuddel aus bunten Bildchen, schrillen Titeln und schrägen Stories so liebten. Ob das wirkliche Leben die Geschichten um Liebe, Leid und Leidenschaft schrieb oder das Redaktionsteam der „Bravo“-Aufklärer wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.

 

Generationen von Pubertierenden lasen die Tipps von „Dr. Sommer“ heimlich unter der Bettdecke oder unterm Klassenpult. Für die Altvorderen war „Bravo“ der Inbegriff von Aufmüpfigkeit und Sittenverfall der heutigen Jugend. „Leg sofort diesen Schund weg!“ Der Anpfiff des herrischen Dr. Voss (Eigenmotto: „Voss ist Boss“), berüchtigter Englischlehrer eines Essener Gymnasiums, klingt dem Autor bis heute in den Ohren.

Pflichtlektüre in der Pubertät

„Bravo“ – „Zeitschrift mit dem jungen Herzen“. So hieß der Untertitel der Erstausgabe, die am 26. August 1956 zum Preis von 50 Pfennig erschien. Auflage 30 000. Ursprünglich als Heft für Film und Fernsehen geplant, entwickelte sich „Bravo“ rasch zum Zentralorgan für Popkultur und Pubertätsprobleme.

Es gab eine Zeit, in der auf dem Schulhof nichts ging ohne die „Bravo“. Teenager im ganzen Land fieberten dem Donnerstag und der neuen Ausgabe entgegen. Wer ist die coolste Band – Sweet, Bay City Roller oder Smokie? Wer hat den heißesten Style – Suzi Quarto, Leif Garrett oder Shaun Cassidy? Spätestens mit 16 war es nur noch peinlich von Kumpels beim „Bravo“-Lesen erwischt zu werden.

Der Starschnitt

Heute wäre mancher froh, wenn er seine Lieblings-Starschnitte von damals archiviert hätte. Pierre Brice als Winnetou und Marie Versini als seine Schwester Nscho-tschi, Patrick Swaayze, Shakin‘ Stevens, Olivia Pascal mit Schmacht-Blick. Lebensgroße papierene Schnittmuster. Eine geniale Idee, um Stars und Sternchen in die Kinderzimmer zu holen. Der Starschnitt wurde zu einem Markenzeichen des Magazins.

Alles begann in der 13. Ausgabe mit „Brigitte Bardot in 11 Teilen“ der Promi-Wettstreit um Wände und Schränke. Bis 2005 wurden nach Verlagsangaben 122 Musik-, Film- und Fernsehidole in voller Lebensgröße und insgesamt 2333 Einzelteilen abgebildet. Elvis, Roy Black, die Stones, Boris Becker, E.T., Michael Jackson, Take That, Tokio Hotel und Nena. Zum Kölner Weltjugendtag 2005 schaffte es sogar Papst Benedikt XVI. aufs Megaposter.

Auflage im Sinkflug

„‚Bravo‘ ist ein Phänomen und eine Legende in der deutschen Medienlandschaft“, sagt Alex Gernandt, ehemaliger Chefredakteur der Jugendzeitschrift. Das mit der „Legende“ ist indes schon lange vorbei. Derzeit liegt die Auflage der „Bravo“ bei knapp über 130 000 Heften. 1998 hatte der Hamburger Bauer Verlag noch 970 000 Exemplare verkauft. Zu absoluten Hochzeiten Anfang der 1990er Jahre lag die Auflage sogar bei mehr als 1,5 Millionen. Inzwischen erscheint die „Bravo“ nicht mehr jede Woche, sondern nur noch alle 14 Tage.

Die Gründe für die Probleme beim Heft liegen auf der Hand: 94 Prozent der Jugendlichen nutzten im vergangenen Jahr regelmäßig Handy oder Smartphone, nur jeder Fünfte (19 Prozent) zwischen 12 und 19 las dagegen noch regelmäßig gedruckte Zeitschriften, wie der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest ermittelt hat.

„Bravo“ in den sozialen Netzwerken

Chefredakteurin Nadine Nordmann gibt sich trotz Auflagenschwund kämpferisch. „‚Bravo‘ ist die stärkste Medienmarke in den sozialen Medien.“ Es gebe keine andere Medienmarke in Deutschland, die auf Instagram, Snapchat, Musical.ly, Facebook, Twitter, WhatsApp und YouTube so viele Follower habe wie „Bravo“: über 1,2 Millionen Fans bei Facebook, mehr als 260 000 auf Instagram und über 200 000 auf Twitter.

Früher hatte die „Bravo“ quasi ein Monopol auf das Privatleben der Stars, erklärt Nora Gaupp vom Deutschen Jugend-Institut in München. „Man hatte nur dort die Möglichkeit, rauszufinden, was die Backstreet Boys zu Abend essen und ob Michael Jackson Haustiere hat.“ Aber Sexuelles Trendsetter-Blatt? Von wegen. „Die ‚Bravo‘ ist konservativ“, sagt die Jugendforscherin. Homo-, bi- oder heterosexuelle Vielfalt, moderne Geschlechterrollen, Jugendliche unterschiedlicher Hautfarbe – Fehlanzeige. „Junge Frauen haben schön, schlank, dünn, gepflegt zu sein, Männer haben stark und sportlich zu sein.“ Alles sei „brav nach Geschlechterstereotypen sortiert.“

Nora Gaupp kann sich aber trotzdem vorstellen, dass die Zeitschrift noch ein paar Jährchen vor sich hat – und sei es nur als Anschauungsobjekt für Eltern, die etwas über ihre Kinder erfahren wollen. Die „Bravo“ sei immer noch ein Ort ist, an dem die Erwachsenenwelt sich versichern könne, mit wem sie es zu tun haben. „Totgesagte leben länger.“

„Dr. Sommer“ klärt auf

Deutschlands Aufklärungspostille Nr. 1

Ein „Markenkern“ der Teenie-Postille sind die Psychologen- und Pädagogen-Tipps des „Dr. Sommer“-Team. Seit die legendäre Rubrik 1969 ins Leben gerufen wurde, haben Sittenwächter immer wieder Alarm geschlagen. Der erste „Dr. Sommer“ (1969-1984) war im echten Leben der Arzt, Psychotherapeut und evangelischer Religionslehrer Martin Goldstein (1927-2012). Von 1969 bis 1984 schrieb er unter dem Pseudonymen Dr. Jochen Sommer und Dr. Alexander Korff die Ur-Rubrik „Was Dich bewegt“.

Penis, Pille und das erste Mal

Schaut man sich alte und aktuelle Fragen im „Bravo“- Archiv, hat man den Eindruck, dass die Qualen der Pubertät ehernen Gesetzen zu folgen scheinen. Wöchentlich erreichen das Dr. Sommer Team laut „Bravo“-Redaktion rund 300 Anfragen wie diese:

„bxsti“: „Wie/wo kauft man am besten Kondome?“

Jenni (15): „Ich habe seit zwei Wochen eine feste Freundin. Wie soll ich es meinen Eltern und Freunden erklären? Und was werden sie von mir denken? Bitte helft mir.“

Frage von Saskia (13): „Ich bin in einen Jungen verliebt. Wie kann ich rauskriegen, ob er mich auch liebt?“

Larissa (15): „Mein Freund und ich sind seit drei Monaten zusammen und wollen bald unser erstes Mal haben. Ist das nach drei Monaten noch zu früh?“

Leonie (14): „Ich werde immer feucht in der Vagina, wenn mein Freund mich küsst. Was kann ich dagegen machen?“

Sebastian (14): „Letztens ist mir etwas sehr Peinliches passiert. Ich habe beim Sonnen am Badesee einen Steifen bekommen, obwohl ich gar nicht an Sex dachte! Als ich es bemerkte, drehte ich mich schnell um. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. Gibt es eine Erklärung dafür? Oder stimmt etwas nicht mit mir?“

Ronald (14): „„Ich bin süchtig nach Masturbation, denn ich muss mir drei bis vier Mal am Tag einen runterholen. Warum ist das so und ist das schädlich? Und wird das besser, wenn ich mein erstes Mal hatte?“

Joshua (12): „Ich glaube, mein Ding ist viel zu klein. In welchem Alter wächst er normalerweise und wann ist er ausgewachsen?“

„Soll ich meinem Freund Nackt-Selfies schicken?“

„Die Probleme der Leser haben sich grundsätzlich nicht verändert“, sagt Chefredakteurin Nadine Nordmann. „Jugendliche stellen sich in der Pubertät erneut dieselben Fragen: „Bin ich normal?“, „Ist mein Penis zu klein?“, „Sind meine Brüste zu groß?“ Es gebe aber immer auch Themen die wegfallen und durch neue ersetzt werden. „Die Frage „Soll ich meinem Freund Nackt-Selfies schicken?“ hätte vor 20 Jahren keiner gestellt.“