Jahrzehntelang seien Künstler in Deutschland von Digitalkonzernen ausgebeutet worden. Das müsse nun ein Ende haben, sagt die Rocksängerin Julia Neigel zur Reform des Urheberrechts.

Berlin - Julia Neigel ist Rocksängerin und wurde unter dem Namen Jule Neigel 1988 mit dem Hit „Schatten an der Wand“ bekannt. Gemeinsam mit Peter Maffay initiierte sie einen offenen Brief, der am Dienstag allen Bundestagsabgeordneten zuging. Darin kritisieren mehr als tausend Musiker die geplante Urheberrechtsreform der Regierung.

 

Frau Neigel, Sie haben den offenen Brief mit initiiert. Wie ist es dazu gekommen?

Peter Maffay und ich sind schon sehr lange aktiv für die Interessen der Künstler. Als ich mitbekommen habe, dass das Kabinett einen Gesetzentwurf zum digitalen Binnenmarkt für Urheber beschlossen hatte, habe ich Peter angerufen und ihm gesagt: Wir haben ein Problem, so ist die EU-Urheberrechtsrichtlinie nicht gedacht. Dann habe ich eine Zoom-Konferenz organisiert mit der Justizministerin, und wir haben sie darauf angesprochen, dass der deutsche Gesetzentwurf ein Sonderweg wäre im Vergleich zu anderen EU-Staaten. Er sieht vor, den Melodienschutz aufzuheben und 15 Sekunden Tonaufnahme als freie Nutzung zum Bagatellrecht zu machen. Wir nennen das Diebstahlsrecht. Letztendlich kam dann heraus, dass es da Gegeninteressen gäbe, vor allem von der Digitalindustrie. Wir haben der Regierung mitgeteilt, dass sie uns Künstlern gegenüber in der Bringschuld ist, denn schon im Telemediengesetz, das vor 25 Jahren verabschiedet wurde, bekamen die Plattformen keinerlei Haftungsschranken. Wir hielten das damals schon für ein Verbrechen an der Kultur.

Hat Ihr Protest etwas bewirkt?

Drei Tage nach dem Gespräch wurde die erste Lesung durchgeführt mit genau dem Gesetzentwurf, den das Kabinett drei Wochen vorher veröffentlicht hatte. Darin wird die EU-Richtlinie so erweitert, dass das eher nachteilig für uns ist, obwohl es eigentlich andersherum sein sollte. Jetzt ist der Punkt gekommen, wo wir von Menschenrechten reden müssen und ganz deutliche Worte gefunden haben, weil wir uns das nicht bieten lassen.

Sie fordern eine Abschaffung der Bagatellgrenze von 15 Sekunden, unterhalb derer ein Werk nicht von Upload-Filtern blockiert werden soll. Stattdessen registriert der Filter nur, dass es urheberrechtlich geschütztes Material ist, der Urheber wird informiert und kann Widerspruch einlegen.

Dass der Urheber informiert wird, ist nicht wahr.

Es steht aber in dem Entwurf.

Ja, das ist eben nicht der Fall. Wie soll das organisiert werden? Es ist technisch nicht möglich, weil ganz viele Künstler keine Lizenzverträge mit irgendeiner dieser Plattformen haben. Die Regierung hat dafür gar keine Lösung. Sie sagt zwar, es gäbe dann einen „roten Knopf“, den man drücken könnte. Den müsste man aber dann selbst drücken, und man müsste selbst herausfinden, wer welches Werk verwendet. Das ist in etwa so, wie wenn Sie einen Supermarkt mit einem vollen Einkaufswagen verlassen, ohne zu zahlen, und der Kassierer muss ihnen hinterherlaufen und sagen: „Sie haben noch nicht bezahlt, bitte, zahlen Sie mal.“

Sie schreiben außerdem in dem Brief, dass es bisher wenige, aber schmerzhafte Fälle schädlicher Urheberrechtsverstöße gäbe. Wenn man auf diesen Plattformen unterwegs ist, sieht man aber, dass jeden Tag zig Urheberrechtsverstöße stattfinden.

Genau. Im Grunde ist das eine legale Plünderung von Kulturgut seit über 25 Jahren. Wir können aber nicht unsere Fans dafür verantwortlich machen, dass die Politik sie daran gewöhnt hat, dass sie alles kostenlos bekommen können. Ich halte das für ein Verbrechen an der Kultur.

Gerade zu dem von Ihnen angesprochenen Paragrafen im Telemediengesetz steht aber jetzt ausdrücklich im Entwurf, dass Plattformen sich darauf nicht mehr berufen können. Eigentlich müsste dieses Gesetz also zumindest eine Verbesserung gegenüber der aktuellen Situation bringen, oder?

Nein. 25 Jahre lang hat das Internet den gesamten Mittelstand der Kreativbranche dank des Telemediengesetzes ausgebeutet. Es ist keine Verbesserung für uns, wenn sie jetzt vielleicht irgendwann die Digitalindustrie dazu bringt, dass diese Urheberrechtsverletzungen unterbinden muss.  

Und was wäre jetzt das Gesetz, das Sie sich wünschen würden?

Wir möchten, dass die digitalen Plattformen keine Musik und keine kreativen Güter ohne Zustimmung der Künstler verbreiten dürfen. Denn wir sehen, dass seit 25 Jahren die Verbraucher gegen uns ausgespielt werden. Und der Profiteur ist die Digitalindustrie. Wenn ein wildfremder Mensch ein Musikvideo von mir hochlädt und darin alle 30 Sekunden Werbung aufploppt von McDonalds, Opel und ich weiß nicht wem, verdient derjenige daran Geld, der den Kanal hat, Youtube verdient daran Geld, McDonald’s und Opel bezahlen dafür, und wir gehen leer aus. Das muss aufhören.

Youtube hat aber einen Vertrag mit der Gema geschlossen. Wenn man als Nutzer dort etwas hochlädt, selbst wenn man selber keine Lizenz eingeholt hat, wird das über diesen Vertrag quasi abgegolten und ist dann rechtens.

Ja, das ist richtig. Aber die Gema hat diesen Vertrag erst 2016 abgeschlossen. Als sie davor nicht bereit war, die Kleckerles-Beträge hinzunehmen, die Youtube zahlen wollte, hat Youtube einfach bestimmte deutsche Künstlerwerke geblockt und geschrieben, dass die Gema daran schuld wäre. Das heißt, sie hat die Verbraucher gegen die Gema und gegen die Urheber aufgehetzt.

Daraufhin hat die Gema dann doch unterzeichnet?

Genau. Und Sie ahnen nicht, wie beschissen Youtube zahlt. Da kann man nicht von Bezahlen reden. Youtube hat die Künstler erpresst, die Urheber, die Songwriter, die Textdichter. Das ist eine völlige Verarsche, sorry.

Wenn es ordentlich bezahlt wäre, wäre es für Sie eine denkbare Lösung, dass alle Plattformen solche Verträge abschließen müssen?

Es wäre nicht denkbar, wenn wir nicht bei jeder einzelnen Nutzung gefragt werden, ob wir sie erlauben. Der Künstler muss über sein eigenes Werk selbst bestimmen dürfen.

Wenn es eine solche Regelung gäbe, bestünde aber die Gefahr, dass die Upload-Filter zu viele Inhalte blockieren, sodass die Nutzer nicht mehr wirklich frei veröffentlichen können. Könnte das nicht den ganzen Diskurs in sozialen Medien zum Erliegen bringen?

Das denke ich nicht.

Was würden Sie sich ganz konkret für das weitere Gesetzgebungsverfahren wünschen?

Im Grunde würde uns erst einmal ausreichen, wenn der Gesetzgeber die EU-Richtlinie genau so eins zu eins umsetzt, wie es andere Staaten machen. Da hätten wir schon sehr viel gewonnen. Wir wären froh, wenn die Bundesregierung endlich von ihrer Idee abkommt, dass deutsche Künstler zur Plünderung besser geeignet sind als Künstler anderer Staaten. Und wir erwarten eigentlich von unserer Regierung, dass sie die Menschenrechte der deutschen Künstler wahrt. Wir haben der Regierung auch gesagt: Wie können Sie es wagen, in einer Zeit, in der die Branche komplett am Boden liegt, solch eine Idee durch den Bundestag peitschen zu wollen? Schon das finden wir moralisch verwerflich.