Seit genau einem Jahr sitzt Julian Assange in einem kleinen dunklen Zimmer in der ecuadorianischen Botschaft in London fest. Was er dort treibt? Essen, duschen, Bücher schreiben, Besucher empfangen – und von Waldspaziergängen träumen.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Dem ecuadorianischen Außenminister tut der Mann leid, der seit zwölf Monaten in einem kleinen Raum der Botschaft in London sein Leben fristet. Die Briten sollten doch ein Einsehen haben und Julian Assange ein bisschen Licht gönnen, sagt Ricardo Patino. „Viel Sonne hat er im letzten Jahr ja nicht gesehen.“

 

Am Mittwoch ist es genau ein Jahr her, dass Assange, der Wikileaks-Gründer, in die Botschaft geflüchtet ist, die Patino untersteht. Assange wollte nicht nach Schweden ausgeliefert werden, wo man ihn zu mutmaßlichen Sexualvergehen verhören will. Seither ist die Botschaft zu seinem freiwilligen Gefängnis geworden. Raus kann er nicht, weil er sofort verhaftet würde. Rein kann die britische Staatsmacht nicht, weil ein anderer Staat Assange als Flüchtling anerkannt hat. Die Ecuadorianer haben ihm ein Zimmerchen zugewiesen. In dem hat ihn Außenminister Patino am Sonntag besucht.

Internet, Küche, Dusche: Assange geht es relativ gut

Am Montag war Patino bei seinem britischen Amtskollegen William Hague zu Gast und wollte um ein bisschen Sonne für Assange bitten. Und beide Politiker hofften, den Fall mal unter vier Augen bereden zu können. Den Ecuadorianern ist es lästig, dass sie ihr Haus mit einem Menschen teilen müssen, der offenbar kein einfacher Charakter ist. Die Briten wiederum würden gern die Millionensummen sparen, die sie der 24-Stunden-Polizeiposten am Botschaftseingang im Jahr kostet. Zugeben würde man das jedoch nicht. Als kürzlich Ana Alban, Ecuadors Botschafterin, im Londoner Außenministerium fragte, was denn nun werden solle mit dem „Stein im Schuh“, entgegnete ihr der Staatssekretär, es handle sich „nicht um meinen Stein und nicht um meinen Schuh“.

Inzwischen hat Alban erfahren, dass sie von ihrem Posten abberufen wird. Ein Ex-Bankmanager soll sie ersetzen und das Problem lösen. Im Gegensatz zu Alban schuldet der Neue Assange nichts. Alban nämlich hatte dem Australier versprochen, er könne „notfalls 200 Jahre“ in der Botschaft bleiben. So lange wird nicht einmal Assange in seiner „Zelle“ sitzen wollen. Obwohl er gut versorgt ist, Internet und eine Höhensonne hat. Eine Dusche hat ihm der Staat Ecuador einbauen lassen. Sein Essen kann er sich in der kleinen Botschaftsküche zubereiten. Oder er lässt es sich kommen. Ansonsten empfängt Assange abends Besucher. Sogar Lady Gaga war einmal da. Gelegentlich gibt er Interviews. Per Video nimmt er an Konferenzen teil. Nebenher hat er ein Buch verfasst, „Cyberpunks“.

Viele Anhänger haben ihm inzwischen den Rücken gekehrt

Ab und zu tritt Assange auf den Botschaftsbalkon und hält kleine Reden. Das Publikumsinteresse hat freilich nachgelassen. Viele frühere Anhänger haben sich von ihm losgesagt. Kein Wunder, dass er sich „wie in einer Raumkapsel“ vorkommt. Und von einem Waldspaziergang träumt.

London hat aber weder Wald noch Sonne für ihn vorgesehen. Sie möchte ihn nur endlich auf dem Weg nach Stockholm wissen. Diesen Gefallen will er ihr nicht tun. Sein Argument ist, dass er dann an die USA ausgeliefert würde, wo man ihm nach dem Leben trachte. In Lateinamerika, findet Assange, würden Menschenrechte dagegen ernst genommen. Weshalb er auch dem „Prism“-Enthüller Edward Snowden geraten hat, sich dorthin abzusetzen – möglichst ohne Zwischenlandung irgendwo.