Der Wikileaks-Gründer Julian Assange will nicht nach Schweden ausgeliefert werden. Also spaziert er in die Londoner Botschaft von Ecuador und bittet um Asyl. Seine Gönner sind wie vor den Kopf gestoßen. Und draußen vor der Tür wartet Scotland Yard auf ihn.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Julian Assange will in Lateinamerika ein neues Leben anfangen. Die britische Polizei will ihn hinter Gittern sehen. Am Mittwoch sorgte der schillernde Wikileaks-Gründer für neue Aufregung an der Themse. Nachdem er am Vorabend im Londoner Stadtteil Knightsbridge geradewegs in die Botschaft Ecuadors spaziert war und um politisches Asyl gebeten hatte, rätselten Politiker, Juristen und Kommentatoren darüber, was aus dem 40-jährigen Australier nun werden solle.

 

Würde Ecuador ihm tatsächlich Zuflucht gewähren? Oder würde sich Assange binnen Kurzem vor der Tür der Botschaft wiederfinden – und wenig später auf dem Weg nach Schweden? Das schwedische Auslieferungsbegehren von 2010 hatte ja das ganze Drama um Assange ins Rollen gebracht. Die schwedische Polizei will ihn wegen des Verdachts der Vergewaltigung und sexueller Nötigung verhören.

Assange denkt sich den nächsten Streich aus

Assange hatte sich dem Begehren von Anfang an widersetzt. Er wies die Anschuldigungen zurück und sprach auch die Befürchtung aus, dass Schweden ihn an die USA ausliefern würde, wo ihm wegen des Wikileaks-„Geheimnisverrats“ die Todesstrafe drohe. Im Londoner Prozess um seine Auslieferung nach Schweden aber verlor Assange auf allen Ebenen, zuletzt vor gerade einer Woche. Vom 28. Juni an könne Assange nach Schweden ausgeflogen werden, beschieden die Richter. Vorher habe er noch Gelegenheit, einen allerletzten juristischen Pfad zu beschreiten und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Dass Straßburg sich der Sache annimmt, wird aber immer unwahrscheinlicher.

Also dachte sich Assange kurz vor Ablauf seiner Frist eine neue Finte aus. Er marschierte „nach Ecuador“. Schwer war das nicht. Die ecuadorianische Botschaft in London ist eine relativ bescheidene Einrichtung, nahe dem Kaufhaus Harrods, im Obergeschoss eines Wohn- und Bürohauses. Die Botschaftsleute nahmen Assange höflich in Empfang. Sie wollen schnellstmöglich über sein Gesuch entscheiden.

Zwischen London und Quito laufen die Drähte heiß

Zwischen London und der ecuadorianischen Hauptstadt Quito begannen die diplomatischen Drähte heißzulaufen. Die Ecuadorianer waren sich offenbar nicht sicher, was sie mit dem unverhofften Gast anfangen sollten. Die Briten versicherten, Botschaftsterritorium sei natürlich tabu für Scotland Yard. Sobald Assange das Gelände verlasse, werde er aber festgenommen.

Damit musste Assange gerechnet haben. Er befand sich in England nur gegen Kaution und unter strengen Auflagen auf freiem Fuß. Die Nächte musste er im Norfolker Herrenhaus seines Freundes Vaughan Smith verbringen. Einmal täglich hatte er sich auf der Polizeiwache zu melden.

Seine Gönner, die bei Gericht 200 000 Pfund in bar für ihn hinterlegt hatten, müssen jetzt außerdem um ihre Bürgschaft fürchten. Sichtlich schockiert vermerkte die Bürgschaftsgarantin Jemima Khan, sie sei „so überrascht wie alle“ von Assanges neuestem Streich. Nicht mal Vaughan Smith, Assanges Gastgeber in Norfolk, hatte offenbar von dessen Plan gewusst.

Warum ausgerechnet Ecuador?

Gerätselt wird in London auch darüber, warum Julian Assange ausgerechnet in Ecuador leben will. Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen nannten es „ironisch“, dass der auf Enthüllungen spezialisierte und auf politische Transparenz drängende Wikileaks-Gründer in einem Staat Unterschlupf suche, der nicht gerade für ein großes Maß an Pressefreiheit bekannt sei.

Schon 2010 hatte ein Vizeaußenminister von Ecuador Assange die „bedingungslose Aufnahme“ in seinem Land versprochen, damit er seine Wikileaks-Informationen dort „in Ruhe veröffentlichen“ könne. Vor wenigen Wochen hatte sich Präsident Rafael Correa von Assange für das Russische Fernsehen interviewen lassen. Bei dieser Begegnung ist wohl auch das Asylgesuch zur Sprache gekommen.