Die britische Schauspielerin Julie Andrews ist nichts weniger als ein Weltstar. Als Maria in „The Sound of Music“ erstürmte sie den Salzburger Adel. Als „Victor/Victoria“ verwirrte sie alle Gefühle. Das eine wie das andere funktioniert nur mit einem: Stärke.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Sie ist eine der bekanntesten Schauspielerinnen der Welt und der bisherigen Filmgeschichte: Julie Andrews. „Wie das“, werden die meisten deutschen Leser fragen, „Julie Andrews, gute Frau, keine Frage, Mary Poppins, hübscher Familienfilm. Aber reicht das schon zum global ausgreifenden Superlativ?“

 

Verrückte Kinowelt: der Film, der seit fünfzig Jahren in Nord- und Südamerika, in Großbritannien und fast all seinen ehemaligen Kolonien, aber auch in Asien von China bis Thailand der klassische Wochenendfilm für die ganze Familie ist, „The Sound of Music“, ist in Deutschland und Österreich (dort spielt er) weithin unbekannt – und damit auch jene Rolle, die Julie Andrews nach ihrem Debüterfolg 1964 als Mary Poppins gleich im Jahr darauf endgültig zum Weltstar machte.

Liegt das womöglich an seinem Kitsch? Keine Frage, wenn die Andrews als Nonnenschwester Maria mit sieben blitzsauberen Kindern im Salzburger Land über die bunten Almwiesen hüpft und dazu im Chorgesang die Tonleiter übt („Do-Re-Mi“), ist das rein optisch wie „Milka“ hoch „Bärenmarke“ im Quadrat – aber sicher ist diese sehr putzige Hollywoodsicht auf den mitteleuropäischen Alpenraum auch nicht kitschiger als das, was die Deutschen und Österreicher in den 50er und 60er Jahren selbst an Heimatkram produziert haben.

Statt „Heil“ das Lied vom „Edelweiß“

Oder liegt es an zweifelhaften politischen Botschaften? Der adlige Kapitän von Trapp (Christopher Plummer) ist ja auch deswegen so streng zu den Kindern, weil er seine schöne Heimat in Gefahr sieht, weil das grundgute Salzburg bedroht wird von dunklen Mächten aus dem Norden. Mit den Nazis, die dann mit ihren Limousinen plötzlich in der Schlossauffahrt stehen, haben all die Österreicher rein gar nichts tun. Ganz im Gegenteil, kurz nach dem „Anschluss“ stimmt das Publikum zum Filmfinale bei den Festspielen, anstatt „Heil“ zu grölen, beherzt in das Lied vom „Edelweiß“ ein. Womöglich war und ist ein derartiges Maß an NS-Geschichtsklitterung selbst Österreichern dann doch zu peinlich?

Und doch verdient auch „Sound of Music“ ein offenes, beherztes Wiedersehen: weil es schlicht die dichte Verfilmung eines Broadwaymusicals aus der Werkstatt von Richard Rodgers (Musik) und Oscar Hammerstein (Text) ist, den Broadway-Musical-Königen schlechthin; weil, wer auf seiner DVD nicht die schaurige deutsche Synchronisation wählt, sondern den allein passenden amerikanischen Originalton, mitgerissen wird von den Songs, mal schwungvoll, mal pathetisch, mal keck-ironisch, mal tränen-treibend emotional – dieser eigentlich krude, letztlich aber schlicht glänzende Laune produzierende Mix, den eben nur das klassische Broadway-Musical zu seinen besten Zeiten erreicht hat.

Mehr als nur ein Star – ein ganzes Sternbild

Na, und dann natürlich die Andrews! Wie sie nach rund zwanzig Filmminuten die Klostermauern hinter sich lässt und im sehr skurrilen Kostüm, bewaffnet mit einer Reisetasche und einem Gitarrenkasten durch die Welt tanzt, taumelt, stolpert. das zeigt die ganze Kunst der damals 30-jährigen Darstellerin, die einst als Kind einer Schaustellerfamilie auf den Londoner Vaudeville-Bühnen groß geworden war. Da ist nichts Verhuschtes, Rehäugiges, Devotes. „I have Confidence“, singt sich Maria Mut und dem Zuschauer die allerbeste Laune an, „ich habe Selbstvertrauen“.

Ein Kritiker hat über Julie Andrews mal geschrieben, sie sei nicht einfach ein „Star“, also kein Stern, sondern ein ganzes Sternenbild, ein ganzes System an Darstellungs- und Ausdrucksformen. Und auch, wenn ein Millionenpublikum in ihr am liebsten und vor allem so etwas wie die ewig gute Fee sehen wollte, so war sie dies doch nie wirklich. Ganz im Gegenteil, sie konnte den Männern ganz schön auf die Finger hauen. Ihr Tanz ist keine Einladung, sie in die Arme zu schließen, sondern sie markiert damit ihr Terrain. Wer sich ihr nähern will, hat gefälligst auf Einladung zu warten!

Jemand, der diese darstellerische Qualität von Anfang an nicht nur erkannt, sondern wohl geliebt hat, war Andrews’ zweiter Ehemann, der 2010 verstorbene Regisseur Blake Edwards. Er hat mehrere Filme mit ihr gedreht – der schönste, frechste, flirrendste sicher 1982, „Victor/Victoria“, wiederum beinahe ein Filmmusical. Die Andrews spielt darin im Paris der Dreißiger Jahre eine erfolglose Showsängerin, die am depressiven Tiefpunkt und mit schwerstem Magenknurren auf eine verrückte Idee des kecken Selbstmarketings verfällt: Sie wirft sich in einen schwarzen Smoking und behauptet, eine Dragqueen zu sein, eben Victor als Victoria: ein junger polnischer Graf, der es liebt, auf der Bühne als Frau aufzutreten.

Lady Gaga zollt Tribut

Das bringt ihr nicht nur endlich Erfolg und das Pariser Publikum zum Rasen, es treibt auch James Garner in der Rolle des Macho-Gangsterbosses King Marchand in tiefe Zweifel. Er ist erotisch völlig fasziniert von der singenden Victoria und muss sich fragen, was das über ihn sagt, wenn es sich doch dabei eigentlich um einen Victor handelt. Denn Julie Andrews hält das Spiel grandios durch: Jederzeit könnte sie beim vertraulichen Geturtel mit King das Geheimnis lüften, könnte ihm die Sache leicht machen: „Kannst ruhig kommen, ich bin ja eigentlich doch eine Frau“. Aber sie tut es nicht. Sie verlangt, als Mann erobert zu werden. Es gibt bis heute wenig Hollywoodfilme, in denen so souverän und moralinfrei mit den Geschlechteridentitäten gespielt wird wie hier.

Ohne die Darstellerkunst von Julie Andrews wäre das nie gelungen. Am 1. Oktober wird sie achtzig Jahre alt. Sie hat mit ihrem Schaffen in der Populärkultur sicher nicht revolutionär, aber doch beherzt am Rad der Geschlechterrollen gedreht. Welch ein wunderbarer Tribut, der ihr im Februar bei der jüngsten Oscar-Verleihung auch deswegen gewidmet wurde: Ihre großen Songs aus dem Musical „Sound of Music“ wurden interpretiert von der fünfzig Jahre jüngeren Lady Gaga. Andrews zeigte sich schwer gerührt. Denn besser als mancher (männliche) Kritiker empfindet sie vermutlich, dass es zwischen ihr und der 29-jährigen Pop-Kunstqueen heute eine Verbindung gibt – they both are confident, definitely.