Die junge Generation kauft anders ein. Um sie weiterhin in den Einzelhandel zu bekommen, berät das Urban Innovation Hub zum digitalen Wandel. Die Bietigheimer Buchhändlerin Barbara Knieling sagt jedoch, es muss sich auch an anderer Stelle etwas tun - und hat ein Vorbild im Kopf.
Barbara Knieling ist für viele Bietigheimer die Buchhändlerin des Vertrauens. Seit 3,5 Jahre betreibt sie die kleine Buchhandlung Lieblingsbuch in der Altstadt von Bietigheim-Bissingen. Mit ihrer gut sortierten Auswahl will sie das Gegengewicht zu großen Ketten bilden – und damit Teil einer lebendigen Innenstadt sein. Auch deshalb ist sie am Montagmittag in die Alte Kelter gekommen. Um eine Frage beantwortet zu bekommen: Welche Anforderungen hat die Generation Z, also Menschen der Jahrgänge 1996 bis 2009, an den Einzelhandel?
Einkaufsverhalten ändert sich, Unternehmer müssen sich anpassen
„Jedes vierte Einzelhandelsunternehmen musste in den letzten Jahren schließen“, sagt Julian Kemmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG). Immer weniger Geschäfte würden mehr Umsatz machen. Als Teil des Projekts Handel innovativ will er kleine und mittlere Unternehmen deshalb beim digitalen Wandel unterstützen. Was er und seine Kollegen beobachten: Das Einkaufsverhalten der jungen Leute hat sich verändert und der Einzelhandel muss sich – ganz nach dem Motto „Handel ist Wandel“ - daran anpassen. Barbara Knieling wird am Ende des Seminars jedoch sagen: Nicht die fehlende Digitalisierung ist das Problem.
Die großen Herausforderungen des Einzelhandels sind den Teilnehmern bekannt. Die Kaufzurückhaltung der Menschen, hohe Energiekosten, der Fachkräftemangel – und hohe Mietkosten, wie Barbara Knieling hinzufügt. Dabei ist der Einzelhandel immer noch beliebt – auch bei jungen Menschen. Sei es, weil man die Produkte dort ansehen, anfassen oder anprobieren kann, oder weil man sich schlicht die Lieferzeit sparen möchte. „Den Unterschied sieht man bei der Bedeutung der Beratung. Die nimmt von Generation zu Generation ab“, sagt Julian Kemmer.
Junge Kunden kaufen ihre Bücher häufig gebraucht
In Barbara Knielings Geschäft kaufen hauptsächlich gut situierte Kunden ein, die sich gerne beraten lassen. Viele würden das Buch aber auch online bestellen und nur noch abholen. Und die jüngere Generation? „Die fehlt komplett in der Stadt“, sagt sie. Ihr Geschäft sei auf die Generation Z nicht ausgelegt, wenn sich aber doch mal Vertreter davon in das „Lieblingsbuch“ verirren, seien die häufig begeistert, dass es solche Geschäfte überhaupt noch gibt, erzählt Knieling. Dass sich das Einkaufsverhalten verändert hat, beobachtet sie auch bei ihren Kindern. Ihre Tochter würde Bücher nur gebraucht kaufen oder sich vorher online informieren.
Ein Trend, den auch Julian Kemmer beobachtet. Beim sogenannten „Web Rooming“ lesen sich die Kunden zuhause im Internet ein und kaufen dann vor Ort ohne sich beraten zu lassen. 83 Prozent der Generation Z fordern darüber hinaus, dass sie online auch direkt einsehen können, ob das gewünschte Produkt im Handel verfügbar ist. Was jüngere Kunden noch erwarten: einen guten Online-Auftritt. Ein Drittel wünscht sich außerdem einen Social-Media-Auftritt.
Technologien für ein Einkaufserlebnis
Barbara Knieling hat beides. Wöchentlich erscheint ein Reel auf ihrem Instagram-Kanal, in dem sie Bücher empfiehlt. Dass dieses Format funktioniert, zeigt sich in den Zahlen. Gewinnbringend zu wirtschaften sei dennoch herausfordernd, die Kosten sind zwar gedeckt – wirklich viel bei ihr bleibt aber nicht hängen. „Wenn ich sehe, die Kosten laufen davon, dann wird der Laden zugemacht“, sagt Knieling. Dann habe sie es wenigstens probiert. Wären also neue Technologien eine Möglichkeit, attraktiver zu werden?
Julian Kemmer und sein Team haben in der Alten Kelter verschiedene Stationen aufgebaut, an denen sie zeigen, was technologisch möglich ist, und wie Einkaufen zum Erlebnis werden kann. In der Gastronomie sind das beispielsweise Service-Roboter, mit denen sich Bedienungen Wege sparen oder digitale Speisekarten, über die sich Gäste online das Gericht im 3D-Modell anschauen können. Im Einzelhandel sind das Augmented Reality Anwendungen, mit denen Kunden Produkte beispielsweise Kuckucksuhren an ihre eigene Wohnzimmerwand projizieren können.
Werde ich von dem Schnitzel satt? Passt die Uhr zu meinem Sofa? Für Barbara Knieling sind das spannende Spielereien, ob sich Geschäfte damit halten können, bezweifelt sie allerdings. Wichtiger sei, sich zu überlegen, was eine attraktive Innenstadt bieten soll. Sie schätzt ein Projekt in Hanau. Dort prägen statt austauschbaren Ketten verschiedene auch kleine und neue Geschäfte und Gastronomie-Angebote das Stadtbild. Die Stadt nimmt Einfluss darauf, wer Immobilien kauft oder übernimmt sie bei drohendem Leerstand selbst. „Auch unsere Stadtverwaltung braucht ein Konzept, wie die Innenstadt vielfältiger wird“, sagt Barbara Knieling.
Projekt in Hanau
- 2020 wurde „Hana aufLADEN" entwickelt, ein ganzheitliches Konzept, das Hanaus Innenstadt und die Stadtteile vitaler und attraktiver machen will.
- Ein Kernpunkt des Programms ist es, kreativen Unternehmen die Chance zu geben, ungewöhnliche Geschäftsideen unbürokratisch umzusetzen. Beispielsweise durch zeitlich begrenztes, provisorisches Umwandeln von leerstehenden Ladenflächen in Pop-up-Stores. Die Stadt fördert vielversprechende und ungewöhnliche Konzepte mit Mietzuschüssen und vermittelt Flächen.
- Händlerinnen und Händler bekommen kostenlos Hilfestellung dabei, auch im Internet auffindbar zu sein.
- Die 2019 beschlossene Vorkaufsrechtsatzung bewirkt, dass die Stadt von geplanten Immobilienverkäufen in Kenntnis gesetzt wird. Dadurch soll sie frühzeitig Einfluss auf die geplante Entwicklung nehmen können und für faire Mietkonditionen werben. Bei drohendem Leerstand kauft oder mietet die Stadt Immobilien selbst.
Forderungen der Generation Z
Bezahlung
Mittlerweile alle Generationen, aber besonders die Generation Z, erwartet im Einzelhandel mit EC- und Kreditkarten zahlen zu können. „Idealerweise auch mit dem Smartphone und der Smartwach“, sagt Julian Kemmer von der HTWG.
Online-Präsenz
Wer die jüngere Generation ansprechen möchte, sollte Technologien einsetzen, die das Einkaufen erleichtern. Dazu gehört beispielsweise bei Google Maps vertreten zu sein und ein Kunden-Wlan im Geschäft.