Trachten, Traditionen, Tänze: Die Landjugend Sielmingen pflegt das Brauchtum. Altbacken? Von wegen. Warum die Gruppe für junge Leute auch im Jahr 2025 noch überaus attraktiv ist.
Bevor der Abend beginnen kann, muss erst noch ein Leben gerettet werden. Ein Spatz hat sich in mehreren Metern Höhe an einem Scheunentor verfangen und flattert, nur am Kopf hängend, um sein Leben. Was tun? Der 21-jährige Christian Alber hadert nicht lang. Er stellt sich in eine Baggerschaufel, wird vom Fahrzeug damit in die Höhe gehoben und kann so den Vogel aus seiner misslichen Lage befreien. „Bei uns geht es immer abenteuerlich zu“, sagt Julia Herthneck (29).
Mit „uns“ ist die Landjugend Sielmingen gemeint. Sie feierte im vergangenen Jahr ihren 75. Geburtstag und war seinerzeit gegründet worden vom landwirtschaftlichen Ortsverein. Aktuell besteht sie aus etwa 20 bis 30 jungen Leuten zwischen 16 bis 30 Jahren. Jeden Dienstag trifft man sich. Mal zum Grillen, wie an diesem lauen Abend auf dem Bauernhof der Familie Bauer an der Grenze zwischen Sielmingen und Harthausen, mal zum Schwimmen oder fürs Kino, mal zum Bowling oder zum Kochen. Und, das ist ein zentraler Punkt, gemeinsam wird das Brauchtum gepflegt. Zum Tragen kommt das beispielsweise beim alljährlichen Dorfabend. In diesem Jahr fand er im März statt und stand unter dem Motto „Power to the Bauer“. So lautet auch der interne Leitspruch der Gruppe, festgehalten im Logo auf den grünen Shirts. Aufgeführt wurden unter anderem traditionelle Volkstänze, freilich in Trachten, außerdem schwäbische Sketche und Theater. Die Veranstaltung ist überaus beliebt, die Sielminger Gemeindehalle ist stets voll.
Sich an Umzügen beteiligen, Festwagen mit Ernteerzeugnissen schmücken, Volkstänze aufführen – das klingt für den einen oder anderen Geschmack zunächst vielleicht etwas altbacken. Und dennoch trifft es in Sielmingen einen Nerv. Dabei machen längst nicht nur junge Leute mit, deren Familien aus der Landwirtschaft stammen. „Viele haben nichts mit der Landwirtschaft zu tun, die finden einfach nur das Dorfleben gut“, sagt Jakob Bauer (18), eines der drei Vorstandsmitglieder. Der gleichaltrige Jonas Bittlingmaier, ebenfalls im Vorstand, nickt. „Das Vereinsleben wird in Sielmingen hoch angesehen. In der Regel macht man da mit.“
Bei der Landjugend geht es um mehr als ums Brauchtum. Es geht um die Zugehörigkeit und den Zusammenhalt. „Landjugend ist zu 75 Prozent Familie“, sagt Lisa Schlatter (30). Geschwister, Cousins, Schul- und Kindergartenfreunde, irgendwie scheinen die meisten verbandelt zu sein. Die Gruppe wirkt entsprechend eingeschworen. Das macht offenbar bis heute den Erfolg aus. „Landjugend machst du dein ganzes Leben“, sagt Lisa Schlatter, und wer ihr entwachsen sei, besuche trotzdem noch Veranstaltungen oder Ausflüge. Für Nachwuchs ist auch gesorgt. Lisa Schlatter ist die Leiterin der Kindergruppe. Gut 15 Mädchen und Jungen sind dort derzeit aktiv.
Landjugend bedeutet Zugehörigkeit und Zusammenhalt
Annika Hutt (29) ist an diesem Abend zum Grillen gekommen. Sie ist nicht nur Mitglied der Remstal-Landjugend, sie ist auch im Landesvorstand der Landjugend Württemberg-Baden und als Patin die Ansprechpartnerin der Sielminger. Nach ihren Informationen gehören der Landesgruppe 41 Ortsgruppen an. Im Kreis Esslingen sind es immerhin vier: Sielmingen, Nürtingen, Echterdingen und die übergeordnete Kreislandjugend Esslingen-Filder. Offenbar gilt: Je ländlicher die Gegend, desto verbreiteter sind die Aktivitäten. Stuttgart beispielsweise hat aktuell keine aktive Gruppe. „Aber wenn du auf die Alb hochgehst, kennen das viele“, sagt Jakob Bauer.
In den Storys und Reels auf dem Instagram-Profil der Sielminger geht es genauso ab wie bei jedem beliebigen Sport- oder Musikverein. Nur, dass in manchen Videos eben in Schürzen und Trachtenwesten gefeiert wird. Für die Mitglieder ist das kein Widerspruch, und Vorurteile haben in der gut gelaunten Gruppe sowieso keinen Platz. Für Vanessa Schäfer (30) etwa gehören die Volkstänze einfach dazu, „es macht den meisten Spaß“.
Sielminger Trecker-Teck im Juli
Wettkampf
Der Höhepunkt des Jahres ist für viele Mitglieder der Landjugend Sielmingen der Trecker-Treck, einen Zugkraftwettbewerb mit Traktoren. Gesucht werden das stärkste Fahrzeug und der geschickteste Fahrer. Auf der Wettkampfpiste müssen die Teilnehmer einen sogenannten Bremswagen möglichst weit ziehen. Gestartet wird in verschiedenen Gewichtsklassen mit Standarttraktoren. 2024 feierte der Wettstreit der Kolosse sein 20-Jahr-Jubiläum.
Termin
Die diesjährige Ausgabe des Trecker-Treck der Sielminger Landjugend steigt am Sonntag, 27. Juli. Das Gelände befindet sich an der Seestraße 19. Der Eintritt zur Veranstaltung ist stets kostenlos. Auch Bewirtung gibt es immer vor Ort.