Die Junge Bühne Sindelfingen inszeniert das Zwei-Personen-Stück „Norway.Today“ über zwei junge Menschen, die sich im Internet zum gemeinsamen Suizid verabreden. Am Freitag ist Premiere im Theaterkeller.

„Die vierte Wand durchbrechen“ sagt man, wenn Akteure plötzlich die unsichtbare Trennung zwischen Bildschirm oder Bühne ignorieren und das Publikum direkt ansprechen. Dabei kann es einem schon mal ziemlich ungemütlich auf dem Stuhl werden – vor allem, wenn der gesamte Zuschauerraum zum Chatroom für Menschen mit Suizidgedanken wird.

 

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In genau diese Situation wirft die neue Produktion der Jungen Bühne Sindelfingen das Publikum mit ihrer aktuellen Inszenierung namens „Norway.Today“. Die Geschichte klingt absurd, hat sich aber zumindest in ihrer Ausgangssituation tatsächlich im Februar 2000 so zugetragen: In einem online-Portal sucht ein junger Mensch nach einer Begleitperson für einen gemeinsamen Suizid. Von der Klippe des schneeverwehten Preikestolen-Felsen in Norwegen werde man sich gemeinsam in den rund 600 Meter darunter verlaufen Lysefjord stürzen – eine todsichere Angelegenheit.

Das Stück wurde in mehr als 100 Theatern gespielt

Der Schweizer Autor Igor Bauresima hat aus dieser Begebenheit als Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Düsseldorf ein Bühnenstück geschrieben. Uraufführung war im November 2000. In den Jahren 2003 und 2004 galt „Norway.Today“ als das meistinszenierte Stück auf deutschen Bühnen, es wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt und weltweit bereits an über 100 Theatern gespielt.

„Das Stück wurde in Deutschland rauf und runter gespielt“, sagt Ingo Sika, der Vorsitzende der Jungen Bühne. Der Sindelfinger führt Regie imbei der anspruchsvollen Zwei-Personen-Inszenierung. Die Idee dazu kam ihm auf Besuch bei Frank Martin Widmaier am Brandenburger Theater (BT). Der gebürtige Sindelfinger war im Jahr 2013 künstlerischer Leiter der ersten Sindelfinger Biennale und hatte damals mit Sika in der Hauptrolle den „Sindelfinger Jedermann“ inszeniert.

Mittlerweile hat Widmaier die Künstlerische Leitung am BT inne. Eben dort lief im Corona-Sommer 2020 eine Inszenierung von „Norway.Today“. Sika saß im Publikum und entschied schon in der Pause: „Das wäre super für die Junge Bühne!“ Also erwarb er sich die Aufführungsrechte und machte sich gemeinsam mit Regieassistentin Maike Fix an die Besetzung der Hauptrollen.

Funkelnde Angriffslust und bitterer Spot

Die Wahl fiel auf die 19-jährige Emma Rebmann und den 18 Jahre alten Bennet Weber. Mit beiden hatte er zwei Jahren zuvor bereits bei der Inszenierung der schauspielerisch herausfordernden Produktion „Small Town Boy“ zusammengearbeitet. „Das sind zwei extrem talentierte Darsteller, die ganz schnell in ihre Rolle hineingefunden haben“ lobt der Regisseur Ingo Sika, der selbst seit seinen Theater-AG-Tagen am Sindelfinger Goldberg-Gymnasium als Schauspieler aktiv ist und in seiner Heimatstadt auf und abseits der Bühne eine prägende Figur ist.

Sikas Einschätzung bestätigt sich bei einer Presseprobe wenige Tage vor der Premiere im Sindelfinger Theaterkeller. „Wer möchte mit mir in den Tod gehen?“, sagt die einnehmende Emma Rebmann in ihrer Rolle als Julie. Sie fixiert dabei ihr Publikum in einer Mischung aus funkelnder Angriffslust und bitterem Spott. Ihr Antrieb ist nicht kraftlose Lebensmüdigkeit, sondern eher eine Art zorniger Lebensüberdruss. Die 19-Jährige ist im Stück dann auch die treibende Kraft hinter der wahnwitzig anmutenden Idee, sich online zum gemeinsamen Suizid zu verabreden. Bennet Weber spielt August, einen empfindsamen, in sich gekehrten jungen Mann, der genau wie Julie das Leben satt hat und sich auf ihr Angebot einlässt.

Die Wahrheit über den echten Fall

Im Stück sind die Rollen dabei vertauscht: In der Realität war es ein junger Mann, der eine noch jüngere Österreicherin zu sich nach Norwegen einlud. Es ist nicht die einzige Änderung, die das Stück vornimmt und genau dadurch so sehenswert wird: Denn während der 25-jährige Norweger und die erst 17 Jahre alte Österreicherin damals tatsächlich in den Tod sprangen, finden Julie und August bei ihrer Verabredung mit dem Tod überraschende Antworten, warum es sich doch lohnen könnte, weiterzuleben.

Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 und unter https://ts-im-internet.de/ erreichbar. Eine Liste mit Hilfsangeboten findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: https://www.suizidprophylaxe.de/

Junge Bühne auf interessanten Wegen

Heikle Themen
 Die Sindelfinger Bühnengröße Ingo Sika und Sim-TV-Chef Siegfried Barth gründen vor vier Jahren gemeinsam die Junge Bühne Sindelfingen mit dem Ziel, jungen Talenten im Übergang zwischen Schultheater und dem möglichen Eintritt in ein Erwachsenen-Ensemble eine Bühne zu bieten. Von Beginn an wagt sich das Ensemble an hochsensitive Themen wie bipolare Störungen, Missbrauch oder sexuelle Selbstfindung. „Norway.Today“ ist nach „Next to Normal“, Rentiermonologe“, „Small Town Boy“ und „Frühlings-Erwachen“ die fünfte Produktion des Ensembles.

Termine und Karten
 Premiere im Theaterkeller ist am Freitag, 20. Mai, um 20 Uhr. Weitere Aufführungstermine sind am 21., 22., 25., 26., 27., 28. und 29. Mai sowie am 3. Juni. Beginn ist jeweils um 20 Uhr, sonntags bereits um 18 Uhr. Vorverkauf bei Kreiszeitung Böblinger Bote, Telefon 0 70 31 / 62 00-29 sowie beim i-Punkt Sindelfingen unter 0 70 31 / 94-325.