Noch einmal Freiheit: Matthias lässt beim Junggesellenabschied in der Stuttgarter City sein Single-Leben ausklingen.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Stuttgart - Im Leben des Mannes gibt es eine Zeit, da müssen die Sperenzchen auch mal vorbei sein. Da muss er mal langsam wissen, wohin die Reise gehen soll. Aufhören mit den Albernheiten. Den Panther in sich zähmen. Die Welt ist ja kein Abenteuerspielplatz.

 

Bevor sie in den ruhigen und geschützten Hafen der Ehe einlaufen, ist es vielen Bräutigamen ein Bedürfnis, ein letztes Mal im Schnellboot auf die schäumende See hinauszufahren, mit Dynamit zu fischen, auf wütenden Wogen zu reiten, heulenden Stürmen zu trotzen und in schwarze Abgründe zu tauchen. Noch einmal riskant sein. Noch einmal Freiheit spüren.

An diesem Samstagabend lässt Matthias sein unstetes Leben ausklingen. Er ist 37 Jahre alt und will heiraten. Darum hat er Schulfreund Dirk gebeten, einen Junggesellenabschied zu organisieren. Dirk kann das. Auf der letzten Party musste der Hochzeiter eine Gummipuppe vom Ehehygieneshop ankleiden und Passanten überreden, dafür ihre Klamotten herzugeben – vom Schlüpfer bis zur Mütze.

„Germanys next top Husband“

Für diesen Abend hat Dirk ein paar Bekannte und Freunde von Matthias zusammengerufen. Der Mediengestalter Stefan war früher mit ihm im Renninger Schützenverein, dann hat sich’s etwas verlaufen. Der Jurist Nico lernte mit ihm bei der Landesgirokasse, später kamen sie über ein Businessportal wieder in Kontakt. Der Informatiker Stéphane half mal beim Umzug. Der Informatiker José ist ein Geschäftskollege. Am Treffpunkt haben sie Leibchen mit der Aufschrift „Germany’s next top husband“ übergestreift bekommen. Zunächst stand Kartfahren auf dem Programm, die erste Überraschung für Matthias. Seine Vita: Abitur, Banklehre, BWL-Studium, Doktorarbeit, Einstieg bei einer Unternehmensberatung, Juniorberater für Personalprozesse, Projektleiter in Amerika, China, Spanien. Dann wollte ihn ein Headhunter als Personalmanager für eine Versicherungsfusion. Schließlich wurde er Chef der Personalentwicklung bei einem global aufgestellten Anlagenbauer.

Und jetzt sitzt er, einen Strohhut auf dem Kopf, mit den Kumpels im Stuttgarter Maredo. Der Versicherungsbetriebswirt Hubert ist inzwischen auch dazugestoßen. Er hat’s im Kreuz und ließ das mit dem Kart lieber sein. Matthias wurde Sieger beim Rennen. Eine andere Junggesellengruppe war auch da, die hatte schon reichlich Schlagseite. Unser Team ist zurückhaltender. Erst wird gegessen. Nach den Steaks nimmt Dirk die Sache in die Hand.


Matthias bekommt ein Päckchen, damit soll er sich in die Maredo-Toilette zurückziehen. Raus kommt er im neongrünen Mankini, darüber einen halbtransparenten Maleroverall. „Sehr sexy“, sagen seine Kumpel. „Wieso müssen Sie das anziehen? Ist doch zu waam!“, sagt die asiatische Kellnerin. „Blöder Sack“, sagt Matthias zu Dirk. Seine Aufgabe: auf der Straße Frauen bitten, ihm Körperteile frei zu schneiden und dafür zu zahlen: Fünfzig Cent kostet ein Schulterstück, zwei Euro die Lende, fünf Euro der Popo. Erst einen Schnaps: „Mach dich locker.“

Beim ersten Mädchen hat Matthias gleich Glück. Sie nimmt die Brustwarze für 1,50 Euro, ihr Freund schmunzelt wohlwollend und zahlt. „Und jetzt noch einen Schmatz auf die Wange . . . danke, klasse gemacht.“ Die nächste Frau – Pagenschnitt und elegantes Sommerkleid – ist wenig begeistert. Entscheidet sich dann aber aus Höflichkeit für ein Stück vom Nierchen. „Und dann krieg ich noch einen Kuss“ – „Oh nein.“ – „Ist doch für einen guten Zweck.“ – „Keine Küsse.“ Also weiter durch die City. Die Kumpels ermutigen ihn: „Du machst das super.“

Neunzig Prozent gleiche Wellenlänge

Mit seiner letzten Freundin war Matthias sechs Jahre zusammen. Sie hatten geplant, von Berlin nach Stuttgart zu ziehen, der Mietvertrag war schon unterschrieben. Aber dann meinte sie, es ginge nicht. Ihre Mutter wolle, dass sie bei ihr bleibe. So zog er alleine um. Es folgte viel Arbeit mit wenig Zeit, um jemanden für was Festes kennenzulernen. Er probierte es über eine Partnervermittlung im Internet, füllte lange Fragebögen aus. Nach der Auswertung stand eine Frau aus Würzburg im Übereinstimmungsranking ganz oben. 90 Prozent gleiche Wellenlänge. Die Entfernung ließ ihn zögern, er wollte keine Wochenendbeziehung. Doch diese Frau blieb Monate unübertroffen an der Spitze der Liste. Er schrieb ihr nicht – aber sie ihm. Und es war schön, was sie schrieb. Und es war sehr schön, als sie sich endlich trafen. Seit anderthalb Jahren sind sie ein Paar. Sie ist in seine Eigentumswohnung gezogen.

Der Heiratsantrag war genau geplant. Auf der Rom-Reise sollte es passieren. Im Petersdom. Am Abend zuvor gab es noch eine kleinen Zoff, da machte sich Matthias schon Sorgen. Am nächsten Morgen musste er noch durch eine zweite Nervenprobe. Sie wollten in ein Museum, doch die Menschenschlange davor war Silke zu lang. „Was, wenn vor dem Petersdom auch eine so lange Schlange steht?“, dachte er. Es ging gut. Er wartete, bis sie am Altar ankamen. Da fragte er sie.

Die Frau fürs Leben

Er mag ihr Lächeln. Ihre warme Art. „Man fühlt sich wohl bei ihr, sie ist jemand, der sich kümmert.“ Er hat vorher noch nie mit einer Frau zusammengelebt, bei ihr fühlt er sich zu Hause. Es tut gut, jemanden zu haben, auf den man sich freuen kann. Die Statistik der Partnervermittlung irrte nicht. Die beiden harmonieren. Nur ihre Begeisterung für indischen Tanz kann er nicht teilen. Und dass sie im Bad ihre Sachen immer zu seinen stellt – geschenkt.


Lange Straße. Eine Frau mit noch tieferem Dekolleté als der inzwischen recht zerfledderte Bräutigam. Sie nimmt den Rumpf. „Und jetzt krieg ich noch einen Kuss von dir.“ – „Nö, ich hab voll den Herpes.“ – „Stimmt ja gar nicht, jetzt komm, das gehört dazu.“ – „Nö, deine Frau hat da was dagegen.“

Büchsenstraße. Ein Mann, etwa 1,65 Meter groß, spricht für seine Begleiterin: „Such dir ’ne andere, aber nicht meine Freundin!“

Calwer Straße. Schon als die Jungs auf die Frau zusteuern, schlägt sie Haken wie eine Häsin auf der Flucht: „Nein, nein, nein.“

Kronprinzenstraße. Zwei coole Bräute in Trenchcoat und mit weißen Stiefeln: „Also, ich will euch ja nicht zu nahe treten, aber euer Slogan auf den T-Shirts ist nicht sehr originell.“ Matthias erklärt: „Also, du schneidest mir ein Stück aus dem Overall und zahlst mir den Preis, der da draufsteht.“ – „Was? Ich zahl dafür, dass ich dich ausziehe? Normalerweise läuft das bei mir andersrum.“ – „Und danach krieg ich noch einen Kuss von dir.“ – „Soso, und dann am besten noch ein bisschen vögeln, dann passt das schon, gell?“ Die Freundin mischt sich ein: „Jetzt mach schon, schnippel ihm alles ab“ – „Also Schnucki, dreh dich um.“

Gymnasiumstraße. Der Türsteher eines Cafés macht unmissverständlich klar: hier ist Junggesellenabschiedspartytabuzone.

Königstraße. Ein Straßenkünstler modelliert aus einem hautfarbenen Luftballon einen Penis. Den darf Matthias aufsetzen.

Die standesamtliche Hochzeit ist in der Eberhardstraße. Dirk wird sein Trauzeuge. Kirchliche Trauung ist in der Johanneskirche am Feuersee. Eine Geschäftskollegin wird „Caro mio ben“ singen. „Silke ist gläubiger als ich“, sagt Matthias. Aber auch ihm bedeutet der kirchliche Segen viel. Nach dem Jawort begleitet ein Autokorso das Paar zum Schoss Solitude. 80 Leute kommen. Nach dem Fototermin auf der Treppe ist eine Fahrt in einer weißen Pferdekutsche geplant. Und Flitterwochen in Kenia.

Rabatt auf die Eheringe

Dem Großereignis ging eine lange Sponsorensuche voraus. Matthias hat ein Dutzend Firmen angerufen, 125 Mails verschickt: „Könnten Sie sich vorstellen, so eine schöne Sache finanziell zu unterstützen?“ Für den Polterabend spendierte eine Ditzinger Firma Maultaschen und Kartoffelsalat. Beim Fotografen, beim Blumengeschäft und auch beim Copyshop hat er Nachlass bekommen. Sogar für die Eheringe, das Brautkleid und die Hochzeitssuite im Hotel gab es Rabatt. Nur beim Anzug war nichts zu machen. Und statt der Gutscheine vom Elektronikmarkt und vom Möbelhaus kamen ebenfalls nur Absagen. „Ich handle leidenschaftlich gern.“


„Guckt mal, da ist auch so ein armes Schwein.“ Eine andere Junggesellenmeute hat Matthias entdeckt. Sie sind schon fertig und schenken ihm ihren Bauchladen mit Taillenslip, Seidenrose und Damenbinde.

Am Marktplatz treffen sie einen Junggesellinnenabschied. „Und dann brauche ich noch einen Kuss auf die Wange, das ist Pflicht.“ Und bei ihr ist Pflicht, einen Walzer mit ihr zu tanzen. Die Kumpels intonieren dazu „An der schönen blauen Donau“. Ein paar Nachtschwärmer grölen: „Ausziehn! Ausziehn!“ Ein anderer schreit: „Sammel schon mal für die Scheidung!“

Eine Japanerin. Matthias erklärt. Die junge Frau hört zu, grübelt lange, fängt schließlich an zu kichern und sagt kopfschüttelnd: „Ich schneide nicht.“ Er sagt: „Och bitte.“ Sie ruft: „Nein, ich schneide nicht“, rennt mit der Nagelschere zu ihrer Freundin, die sie ihr aber nicht abnehmen will, daraufhin rennen beide zur dritten, die erbarmt sich und schneidet. „Warum machst du?“ – „Das ist bei uns ein Ritual, wenn man heiratet.“

Schon wieder ein Junggesellinnenabschied. Die Männer sind mittlerweile leicht abgekämpft, die Frauen topfit: „Mensch Jungs, ihr seht ja total begeistert aus.“

Dann wird Matthias erlöst. In einer Kneipe lassen die Männer den Abend dahinplätschern und holen Anlauf fürs Finale mit Halligalli, Hoochie Goochie, Rambazamba in einer Tabledance-Bar. Gegen vier schiebt der Türsteher die Gäste sanft nach draußen: Schluss mit dem Lotterleben.