Erst der Hungertod eines Häftlings, dann ein neuer Fall von womöglich rechtswidriger Einzelhaft: Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) steckt in der Defensive. Die Opposition wirft ihm vor, er habe sein Ministerium nicht im Griff und will handeln.

Stuttgart - Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) sieht sich mit neuen Vorwürfen zum Strafvollzug in Baden-Württemberg konfrontiert. Nach einem SWR-Bericht saß in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal noch im September ein Gefangener in Einzelhaft, obwohl dafür keine Genehmigung des Ministeriums vorlag. Diese ist zwingend, sofern die Einzelhaft innerhalb eines Jahres eine Gesamtdauer von drei Monaten überschreitet.

 

Der Vorgang entbehrt nicht der Brisanz, weil auch im Fall des im August in der JVA Bruchsal verhungerten Häftlings Rasmane K. gegen die einschlägigen Regelungen des Strafvollzugsgesetzes verstoßen worden war. Die CDU-Opposition im Landtag spricht bereits von „Systemversagen“, weil das Justizressort seiner Aufsichtspflicht nicht ausreichend nachkomme.

Nach Angaben des Ministeriums war in dem neuen Bruchsaler Fall tatsächlich „zu keinem Zeitpunkt“ eine Einzelhaft beantragt worden. Allerdings sei unklar, ob überhaupt eine Antragspflicht für die – so die juristische Formulierung – unausgesetzte Absonderung bestanden haben. Der Häftling habe sich nicht durchgängig in Einzelhaft befunden – unter anderem wegen Krankenhausaufenthalten. Die Prüfung dauere noch an.

Widersprüchliche Angaben

Merkwürdig ist nur: Die Justizvollzugsanstalt Bruchsal hat für den Gefangenen zwar nie die für mehr als drei Monate Einzelhaft notwendige Genehmigung eingeholt, denselben Häftling aber statistisch als einen solchen Fall behandelt. Anlässlich einer Abfrage des Ministeriums zur Zahl der Einzelhäftlinge – Anlass war der Tod des Rasmane K. – wurde der Mann offenbar der Kategorie Einzelhaft mit einer Dauer von mehr als drei Monaten zugerechnet. Die Erhebung ergab übrigens, dass in Baden-Württemberg – Stand September – 31 Gefangene in Einzelhaft sitzen, davon sechs länger als drei Monate und damit unter Genehmigungspflicht.

In der Vergangenheit sah das so aus, dass die Haftanstalten die Zustimmung zur Einzelhaft alle drei Monate verlängern lassen mussten. Wurde kein neuer Antrag an das Ministerium gerichtet, ging dieses davon aus, dass die Einzelhaft aufgehoben wurde. Diese laxe Handhabung hat Justizminister Stickelberger inzwischen beendet. Einzelhaftfälle kommen im Ministerium automatisch zur Wiedervorlage. Läuft die Einzelhaft aus, muss die Haftanstalt einen Abschlussbericht vorlegen. Im Übrigen verweist er auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Sachen Rasmane K. Die Opposition hält Stickelberger vor, die Verantwortung für die zu Tage getretenen Missstände und Ungereimtheiten der JVA Bruchsal zuzuschieben, das eigene Haus aber auszunehmen. Letztlich geht es um den Vorwurf, Stickelberg habe sein Ministerium nicht im Griff. Am Montag muss Stickelberger in einer Sondersitzung des Ständigen Ausschusses Auskunft über die jüngsten Vorfälle geben.

Die Opposition hakt nach

„Ausreden lassen wir nicht mehr gelten“, sagen der CDU-Fraktionschef Peter Hauk und dessen Kollege Bernhard Lasotta. Könne der Justizminister nicht umfassend aufklären, werde die CDU-Fraktion „weitere Schritte“ besprechen. Nähere Angaben machten sie nicht. Zuletzt gab es in der CDU-Fraktion Überlegungen, die Entlassung des Ministers zu verlangen und einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke wirft Stickelberger vor, Fehler und Versäumnisse nur scheibchenweise einzuräumen. Es gibt auch noch einen weiteren Fall, der Fragen aufwirft. Vor wenigen Tagen wandte sich der Wiesbadener Rechtsanwalt Axel Küster an die Justiz, weil er die Haftbedingungen seines Mandanten Hasan B. für rechtswidrig hält. Gegen Hasan B. läuft ein Verfahren vor dem Landgericht Mannheim, der Mann befindet sich in Stuttgart in Untersuchungshaft. Das ist zwar etwas anderes als der Strafvollzug nach einer Verurteilung, für die Anordnung der Einzelhaft gelten jedoch dieselben Regeln. Anwalt Küster moniert, sein Mandant befinde sich seit mehr als einem Jahr in Einzelhaft, ohne dass dafür die Zustimmung der Aufsichtsbehörde eingeholt worden sei. Das Justizministerium weist in diesem Fall den Vorwurf der Rechtswidrigkeit zurück. Gegen den Mann sei nicht Einzelhaft verfügt worden, vielmehr unterliege er „besonderen Sicherungsmaßnahmen“, zu denen auch die Absonderung von den anderen Gefangenen zähle. Konkret sieht das nach den Darlegungen des Anwalts so aus, dass Hasan B. zwar täglich ein Hofgang mit anderen Gefangenen gestattet wird, er aber ansonsten allein ist und auch nicht arbeiten darf. Anwalt Küster sagt, wenn sich sein Mandant de facto in Einzelhaft befinde, müssten auch die entsprechenden rechtlichen Regelungen angewandt werden.