Anders als vor den Demos will Sabine Leutheusser-Schnarrenberger das Acta-Abkommen nun doch nicht unterzeichnen. Die Regierung reagiert genervt.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart - Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat beim Acta-Abkommen , das am Wochenende allein in Deutschland Zehntausende Internetnutzer auf die Straße getrieben hat, eine ziemlich steile Wende vollzogen. Auf ihren Antrag hin hatte das Bundeskabinett Ende November beschlossen, diese internationale Vereinbarung zu unterschreiben. Bis kurz vor dem Wochenende betonte die Ressortchefin, dass das Abkommen keine Gesetzesänderungen in Deutschland oder Europa nach sich ziehen werde. Am Montag wollte Leutheusser-Schnarrenberger sich darauf nicht mehr festlegen. Die Justizministerin ließ ihren Sprecher Anders Mertzlufft mitteilen, sie habe die Unterschrift unter den Acta-Vertrag in Absprache mit Kanzleramtsminister Ronald Pofalla aufgeschoben – bis zur Klärung weiterer Fragen.

 

„Wegen Acta wird kein Gesetz geändert“

Das verursacht Zwist in der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen. Ungerührt von der jüngsten Wende der Justizministerin betonte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag jedenfalls, das Kabinett halte an Acta fest. Es bleibe dabei, dass der Schutz geistigen Eigentums auch im virtuellen Raum durchgesetzt werden müsse. „Es bleibt festzuhalten, dass Acta in Deutschland und Europa keinerlei Gesetzgebungsbedarf auslöst. Daran ändert sich nichts.“ Im Übrigen enthalte Acta, anders als von Kritikern behauptet werde, keine Regeln zu Netzsperren. Mit einer gleich lautenden Twitter-Nachricht hatte Seibert am Wochenende einen Sturm kritischer Reaktionen im Netz entfacht.

„Wenn im EU-Parlament oder anderswo Fragen zu Acta auftauchen, ist die Bundesregierung bereit, diese klären zu lassen.“ Diesen Satz setzte Seibert in dem gequält wirkenden Bemühen hinzu, den Anschein von Eintracht auf der Regierungsbank zu erzeugen. Auch Anders Mertzlufft benutzte dieses Argument, um zu begründen, warum seine Ministerin jetzt doch noch auf die Bremse getreten ist. Er verwies erstens auf „komplexe Meinungsbildungsprozesse“ in der EU und zweitens auf die Frage, ob Acta entgegen den bisherigen Annahmen unter anderem der deutschen Justizministerin doch Gesetzesänderungen in Europa nach sich ziehe. Neuerdings fragten EU-Parlamentarier, ob die Brüsseler Kommission doch „Rechtssetzungen beabsichtige“. Dies müsse geklärt werden.

Union reagiert irritiert auf Leutheusser-Schnarrenberger

In der Unionsfraktion erntete Leutheusser-Schnarrenberger Kritik an ihrem „Alleingang“ von Fraktionsvize Günter Krings und dem innenpolitischen Sprecher Wolfgang Bosbach. „Was im realen Leben verboten ist – das Kopieren fremden geistigen Eigentums – muss auch im virtuellen Leben verboten sein“, forderte Bosbach. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sah sich zu einer Klarstellung genötigt: „Mir liegt daran, dass von niemandem, auch nicht von der Bundesjustizministerin, die generelle Zeichnung des Vertrages infrage gestellt wurde“, betonte er. Am 27. Februar beginnen laut EU-Parlamentspräsident Martin Schultz die Beratungen im Europäischen Parlament.

Einfache Erklärung für die Kehrtwende

Wer eine Erklärung für Sabine Leutheusser-Schnarrenbergers Wende sucht, wird möglicherweise auf der Internetseite des Justizministeriums fündig: Die dort publizierten Videostatements der Ministerin finden in der Regel eine ziemlich begrenzte Öffentlichkeit: 205 Menschen wollten zum Beispiel seit 1. Dezember die Worte der Ministerin zum sexuellen Kindesmissbrauch hören. Ihre Acta-Erklärung haben dagegen in den vergangenen fünf Tagen bereits 90 928 Personen angeklickt.