Die Tage der ebenso friedlichen wie ungewöhnlichen Koexistenz von Kühen, Häftlingen und Konzertbesuchern sind gezählt auf der Kleincomburg bei Hall. Das Justizministerium will die JVA-Außenstelle zum 1. Mai schließen.

Schwäbisch Hall - Die Aufregung rund um Hall ist groß: Zum 1. Mai wird der Bioland-Hof auf der Kleincomburg, eine Außenstelle der örtlichen Justizvollzugsanstalt, nach mehr als 100 Jahren dicht gemacht. Das Klostergebäude wird geräumt; die Häftlinge werden werden auf die Kapfenburg bei Lauchheim (Ostalbkreis) verlegt. Die Nutzung der Klosterkirche St. Ägidius aus dem Jahr 1108 als Konzertsaal für Veranstaltungen der Reihe Hohenloher Kultursommer ist aus Brandschutzgründen bereits jetzt untersagt. Anfang Februar hatte Landesjustizminister Rainer Stickelberger seinen Parteikollegen Nikolaos Sakellariou (SPD), die Landtagsabgeordneten Friedrich Bullinger (FDP) sowie Helmut Rüeck (CDU), Halls OB Hermann Josef Pelgrim und die direkt Betroffenen über den Beschluss informiert. Die derzeit drei „landwirtschaftlichen Außenstellen im offenen Vollzug“ – die Kapfenburg, der Hochrainhof bei Heilbronn und die Kleincomburg bei Hall – seien seit langem nicht ausgelastet. Bei einer möglichen Belegung mit 28 Personen hätten 2014 durchschnittlich nur 22 Gefangene auf der Kleincomburg gearbeitet. Die Schließung des renovierungsbedürftigen Hofs sei daher schon aus Kostengründen unumgänglich, sagte der Minister. Der Vollzug sei auf die damit eingesparten 400 000 Euro an anderer Stelle dringend angewiesen.

 

Das Vorgehen des Justizministers wurmt die Abgeordneten

Was passiert mit der Rinderherde?

Weniger Straffällige und damit weniger Gefangene, das ist eigentlich eine gute Nachricht. Und doch hadert der Haller Rechtsanwalt und SPD-Abgeordnete Sakellariou mit der Vorgehensweise des Justizministers: „Auch wenn die Entscheidung formal richtig ist, ärgert mich, dass wir vor vollendete Tatsachen gestellt wurden.“ Das würden sein liberaler Kollege Friedrich Bullinger und der CDU-Abgeordnete Helmut Rüeck weniger höflich formulieren. Flugs haben die beiden je eine kleine Anfrage im Landtag gestellt. Die Zukunft der Bediensteten, des Anwesens und vor allem die der 60 Bullen, Kühe und Kälber der Kleincomburg treibt die Abgeordneten um.

Rund um den Bio-Hof am Fuß der Limpurger Berge weidet nämlich eine der größten Herden einer traditionsreichen und bedrohten Rasse. Die EU-Kommission hat den Weideochsen vom Limpurger Rind in die Liste der geschützten Ursprungsbezeichnungen (g.U.) aufgenommen – Zucht, Mast und Schlachtung der Tiere müssen in der Ursprungsregion erfolgen. Und die ist nun mal auf die Landkreise Ostalb, Schwäbisch Hall, Hohenlohe, Rems-Murr und Main-Tauber sowie die angrenzenden Gemeinden Wüstenrot, Löwenstein und Hardheim begrenzt. Das hellbraun gefärbte Rind ist darüber hinaus eines von deutschlandweit nur fünf so genannten Presidi der Slowfood Stiftung für Biodiversität, das so definiert ist: „Jedes Presidio ist einzigartig, da es an eine bestimmte Region und deren Tradition, Kultur und Landschaft gebunden ist.“

Das Ministerium bekräftigt, die Zucht fortführen zu wollen

Das mit der regionalen Bindung will das Justizministerium offenbar nicht so genau nehmen. Ausgerechnet außerhalb der Ursprungsregion Limpurger Land, auf dem Hochrainhof der JVA Heilbronn, sollen 20 Milchkühe und zwölf Jungtiere der ältesten noch existierenden württembergischen Rinderrasse eine neue Heimat finden. „Wir wollen dort mit den Tieren unbedingt die Zucht fortführen“, bekräftigt Steffen Ganninger vom Landesjustizministerium, der die Entscheidung als „wichtigen Beitrag zum Erhalt der Rasse“ wertet und auf die Bedeutung von Tieren bei der Resozialisation von Gefangenen verweist. Da aber nicht alle Rinder gleichzeitig aufgenommen werden können, werde es zwei Umzugstermine geben. Eines hat man im Ministerium immerhin inzwischen verstanden: „Die Mastochsen werden in der Region bleiben und verkauft, weil sie sonst ihre Ursprungsbezeichnung verlieren.“

Zucht bei Heilbronn „Trostpflaster“

Im Herdbuch, dem Stammbuch der Rasse, sind 100 Milchkühe und 430 Mutterkühe der Limpurger registriert. Die Fortführung der Zucht auf dem Hochrainhof sei ein „Trostpflaster“, die geplante Zerschlagung der Herde bedauerlich, „aber leider nicht zu ändern“, sagt Dieter Kraft, Zuchtleiter für das Limpurger Rind. Landwirt Fritz Jäger, dessen Uhlbachhof mitten im Limpurger Land bei Sulzbach-Laufen liegt, sieht das anders. „Ich hätte gerne die ganze Herde gekauft“, sagt Jäger, der seinen traditionsreichen Hof nicht nur auf Demeter-Bewirtschaftung, sondern auch auf die Traditionsrasse umstellen wollte. „Wir nehmen aber alle Tiere, die wir bekommen können, und lassen sie den Sommer über dort“, bekräftigt der Landwirt: „Den Anblick der Limpurger auf den Weiden der Kleincomburg wollen wir gerne erhalten.“

In den Klostergebäuden könnte die Lehrerakademie Räume brauchen

Auch für die beiden Klostergebäude und die Klosterkirche St. Ägidius mit ihrer einzigartigen Akustik zeichnet sich inzwischen eine Lösung ab. Michael Greiner vom Landesbetrieb Vermögen und Bau im Amt Heilbronn – die zuständige Behörde für Landesimmobilien – hat eine Anfrage vom gegenüber liegenden Hügel vorliegen: „Die Akademie für Lehrerfortbildung auf der Großcomburg meldet Bedarf für die Gebäude an.“ Man warte jetzt auf die konkrete Nutzungsanforderung, wie es im Behördendeutsch heißt. Dann würde in Absprache mit dem zuständigen Wissenschaftsministerium die Gebäude für die Akademie reserviert werden – samt der Kirche St. Ägidius. Auch auf dieses Kleinod der Romantik haben die Verantwortlichen ein begehrliches Auge geworfen. Auf der Großcomburg gibt es bereits jetzt regelmäßig Hauskonzerte – gegen freien Eintritt.