Die umstrittene Justizreform treibt seit Wochen die Menschen in Israel auf die Straßen. Nicht nur Oppositionelle, auch Wirtschaftswissenschaftler kritisieren die geplante Reform und ihre Auswirkungen.
Ende Februar hatte Israels rechts-religiöse Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zwei Teile des umstrittenen Reformpakets auf den Weg gebracht. Die Bevölkerung reagierte mit Massenprotesten und Warnstreiks im ganzen Land. Denn die Reform sieht mehr Macht für das Parlament, aber weniger rechtsstaatliche Kontrolle durch die unabhängige Justiz vor. Kritiker fürchten eine Aufhebung der Gewaltenteilung und damit eine Aushöhlung der Demokratie.
Die derzeitige israelische Regierung setzt sich aus ultra-orthodoxen und rechtsextremen Parteien zusammen – es ist die am weitesten rechts stehende Regierung in der Geschichte des Landes. Die Justizreform ist eines ihrer zentralen Vorhaben. Sie zielt darauf ab, die Befugnisse der Justiz drastisch einzuschränken.
Worum geht es in der Reform?
Laut Netanjahu ist die Reform notwendig, um das Gleichgewicht in der Gewaltenteilung wiederherzustellen. Der Ministerpräsident und seine Koalitionspartner argumentieren, die Judikative in Israel habe derzeit zu viel Macht. Kritiker sehen darin hingegen einen Angriff auf den Rechtsstaat, denn Israel hat keine Verfassung. Stattdessen fungieren die Grundgesetze als solche. Dem Obersten Gerichtshof kommt daher eine umso wichtigere Rolle zu: Ihm obliegt das Urteil über ihre Verfassungsmäßigkeit. So kann der Gerichtshof vom Parlament verabschiedete Gesetze derzeit noch außer Kraft setzen, wenn er sie für diskriminierend hält.
Das würde sich mit der Reform ändern: Dann bräuchte das Parlament nur eine einfache Mehrheit, um die Entscheidung des Obersten Gerichts wieder aufzuheben.
Bedeutung des Obersten Richters
Ein weiteres Kernelement der Reform betrifft die Ernennung der Obersten Richter. Bislang stimmt über die Zusammensetzung des Obersten Gerichts ein vom Justizminister beaufsichtigtes Gremium aus Politikern, Richtern und Mitgliedern der Anwaltskammern ab. Die geplante Neuregelung würde jedoch der Regierung die Kontrolle über die Ernennung der Obersten Richter übertragen.
Nach den Protesten wurde ein leicht abgeschwächter Gesetzesentwurf vorgestellt: Elf statt neuen Gremiumsmitglieder sind vorgesehen. In der Neufassung soll der Ausschuss nun aus drei Ministern, drei Abgeordneten der Regierungskoalition, drei Richtern und zwei Abgeordneten der Opposition bestehen. An einer Mehrheit der Regierung würde dies aber nichts ändern. Zudem soll die Regierung laut dem Entwurf zwei Richter selbst ernennen können.
Macht der Rechtsberater
Außerdem sollen Oberste Richter künftig keinen Gebrauch mehr von der sogenannten Angemessenheitsklausel machen können. Kritiker ziehen diese Klausel immer wieder zur Argumentation gegen die Obersten Richter heran. So hatte sich das Oberste Gericht etwa im Fall von Netanjahus Wunschminister Arie Deri gegen dessen Ernennung gestellt. Die Richter hatten argumentiert, die Ernennung zum Innen- und Gesundheitsminister sei wegen Deris mehrfacher Verurteilungen, unter anderem wegen Korruption und Steuerhinterziehung, „unangemessen“ und daher ungültig. Netanjahu war daraufhin gezwungen gewesen, Deri zu entlassen, hatte dem Gericht aber Missachtung des Wählerwillens vorgeworfen.
Ein dritter Punkt betrifft die Rechtsberater der Regierung. Justizminister Jariv Levin will deren Befugnisse einschränken. Derzeit haben Vorgaben von Rechtsberatern nahezu gesetzliche Gültigkeit, da sich das Oberste Gericht in seinen Urteilen zur Angemessenheit staatlichen Handelns immer wieder auf sie beruft. Ginge es nach Levin, sollen die Vorschläge künftig lediglich eine ratgebende Funktion haben, rechtlich aber nicht bindend sein.
Reform könnte auch Israels Wirtschaft schaden
Bereits nach der Ankündigung der Reform Anfang des Jahres kam es landesweit zu Protesten. Präsident Isaac Herzog versuchte mehrfach, zwischen Kritikern und der Regierung zu vermitteln. Trotzdem billigten die Abgeordneten den Entwurf in einer ersten Lesung Mitte März mit 61 zu 52 Stimmen. Kritiker warnen, es könne damit nahezu unkontrollierte Befugnisse der Legislative geben. Auch Wirtschaftswissenschaftler und Vertreter der Hightech-Branche und des Bankensektors warnen davor, dass die Instabilität und der Streit um die Reform Investoren abschrecken und zur Abwanderung von Kapital aus Israel führen könnte. Geschwächtes Vertrauen in die Institutionen führe zudem zu Wohlstandsverlust.
Neues Gesetz festigt Netanjahu
Die Justizreform ist nicht das einzige neue Gesetz, das die rechte Regierung festigt. Ein weiteres Gesetz, das bereits in der vergangenen Woche verabschiedet wurde, erschwert eine Amtsenthebung des israelischen Ministerpräsidenten. Die Knesset sprach sich mit 61 zu 47 Stimmen für die Gesetzesänderung aus. Diese schränkt die Begründungen ein, aus denen ein Regierungschef für amtsuntauglich erklärt werden kann. Die Opposition verurteilte den Schritt als maßgeschneidertes Gesetz zugunsten von Netanjahu, gegen den ein Prozess wegen Korruption läuft.
Justizreform vorerst gestoppt
Auch aus den Reihen der Regierung hatte es Kritik an der Justizreform gegeben. Israels Verteidigungsminister Joav Galant hatte zum Dialog mit Kritikern aufgerufen und zum Stopp der Reform aufgerufen – sonst könne die nationale Sicherheit Schaden nehmen. Daraufhin wurde Galant entlassen, was weitere Massenproteste provozierte.
Auch Präsident Isaac Herzog fordert wegen eines drohenden „Bürgerkrieges“ einen „sofortigen Stopp“ des Vorhabens. Angesichts der brenzligen Lage im Land hatte Netanjahu am Montag einen Stopp der Justizreform angeordnet. Er wolle die zweite und dritte Lesung in dieser Sitzungsperiode aussetzen – drei Lesungen sind für die Verabschiedung notwendig. Vor Ende April kommen die Reformpläne damit nicht ins Parlament zur Abstimmung.