Lisa Eckhart kommt und das Renitenztheater füllt sich. Manche Stars der Szene nutzen offenkundig die überreizten Debatten, während Neulinge jedem Fettnäpfchen aus dem Weg gehen müssen, um ihre Karriere nicht schnell wieder zu beenden. Was ist los mit dem Kabarett?

Es war die Institution des Kabaretts. Dieter Hildebrand, Sammy Drechsel, Werner Schneyder wurden dort groß, die Münchner Lach- und Schießgesellschaft stand für die politische Satire der Bundesrepublik. Immer auf der rechten Seite, also der linken, man wusste, wer der Feind war. Im Zweifel hieß er Franz Josef Strauß – und war oben. Als alle wussten, was oben war. Diese Rolle als Held aller Gerechten und Selbstgerechten hat Jan Böhmermann übernommen, die Lach- und Schießgesellschaft ist jüngst einen stillen Tod gestorben.

 

Funktioniert das Kabarett noch?

Im Stuttgarter Renitenztheater hat man dies zur Kenntnis genommen. Bedauernd, aber ohne Erstaunen. Nochintendant Sebastian Weingarten und sein baldiger Nachfolger Roland Mahr haben das aus der Ferne beobachtet, die ständigen Neuanfänge, die inneren Streitigkeiten. „Es ist sehr schade“, sagt Weingarten, „aber das war leider abzusehen.“ Dass dies ein Fanal für den Tod des Kabaretts ist, glauben sie nicht. „Im Fernsehen gibt es Formate wie ,Die Anstalt‘ und die ,Heute-Show‘“, sagt Mahr, „die gut funktionieren.“

Baldintendant des Renitenztheaters: Roland Mahr Foto: privat

Wo bleibt der Nachwuchs?

Im eigenen Hause hatte man hart zu kauen an den Beschränkungen der Coronajahre, Weingarten ist heute noch erzürnt über das hässliche Wort der Systemrelevanz. „Man hat der Kultur ihren Stellenwert gezeigt“, sagt er, „wir waren nicht wichtig.“ Der Pausenclown, der zur Ablenkung mal auftreten darf. Man hat sich erholt, das Publikum kommt wieder. Aber wie in anderen Sparten zu den großen Namen, nicht zu den Namenlosen. Lisa Eckhart war da, zweimal waren die 260 Plätze belegt. Man hätte weit mehr Karten verkaufen können. Derweil müssen Neulinge ihre Touren absagen, weil keiner kommen will. „Das ist bitter“, sagt Mahr, „da bricht der Nachwuchs weg.“

Fragt sich, wie frei die Kunst noch ist: Sebastian Weingarten, Nochintendant des Renitenztheaters. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Sie fragen sich: „Wer geht noch in die Kunst? Wer ist noch so mutig, groß zu denken? Sich Zeit zu nehmen, eine Bühnenfigur zu entwickeln? Auch mal a nzuecken?“

Florian Schröder nennt das Kabarett in seiner Show „den Evangelischen Kirchentag der Unterhaltungsindustrie“. Das ist Ironie; man muss das heute dazusagen. Schröder erklärt der „taz“ deshalb, was er damit meint, sei „die moralische Selbsterhöhung, die sich selbst dafür applaudiert, dass man auf der richtigen Seite steht“.

Serdar Somuncu mag nicht mehr

Von den Gläubigen für die Gläubigen. Erlebt hat er das selbst. Für seinen Auftritt vor den Querdenkern wurde er gefeiert, als er deren Argumente so gekonnt zerpflückte, dass die gar nicht merkten, dass sie hochgenommen wurden. Dieselben Leute verdammten ihn, weil er bei einem Auftritt mit dem Kollegen Serdar Somuncu eine Zuschauerin veräppelte, die ihr Programm zu wenig lustig fand und sich lautstark beschwert hatte. Somuncu will nicht mehr auf der Bühne stehen, weil es zur Hauptaufgabe geworden sei, „sich zu rechtfertigen und fehlgeleitete Angriffe abzuwehren“. Er beklagt „Kunstfeindlichkeit in Deutschland“.

Deutscher Humor? Für Engländer ein guter Witz.

Auch Weingarten fragt sich: „Wie frei ist die Kunst noch? Die Grenzen, die wir ziehen, werden immer enger.“ Hierzulande unvorstellbar ist eine Figur wie Henning Wehn. „Botschafter des deutschen Humors“ in England. Da erntet er den ersten Lacher. Er erzählt von „meinem Opa, der im KZ gestorben ist“. Stille im Publikum. „Er ist besoffen vom Wachturm gefallen!“ Oder Alice Marshall, die die Hyper-Moralisten aufs Korn nimmt, Sex nur mit Gemüse zulässt und sagt: „Man kann über die Taliban sagen, was man will, zumindest sind sie nicht islamophob.“ Wobei, der englische Humor ist auch nicht mehr das, was er mal war. Die BBC ließ vermelden, dass sie keine Filme mehr mit „sechs weißen Typen aus Oxford“ drehen würde. Damit waren Monty Python gemeint.

Nichts darf verstören. Vorbei die Zeiten, als der Spötter Harald Schmid das Publikum zwang, in den Spiegel zu schauen; der erst zufrieden war, wenn einem das Lachen im Halse stecken blieb. Offenbar ist die Fähigkeit abhandengekommen, das Werk vom Künstler, den Künstler von der Bühnenfigur zu trennen, das Gesagte von mehreren Seiten zu betrachten. Man reagiert nur noch auf Reizwörter, schwankt zwischen Erregung und Apathie – und schießt mit dem größtmöglichen Kaliber, damit der Knall überhaupt noch gehört wird: Antisemitismus! Rassismus! Transfeindlichkeit! Frauenfeindlichkeit!

Wer hartgesotten und clever genug ist, der surft auf diesen Erregungswellen wie Lisa Eckhart, Dieter Nuhr oder Böhmermann. Andere werden davongespült oder verlieren den Mut. Für Weingarten ist es paradox, dass man „nach rechten und linken Kabarettisten sortiert“. Oder wie es Altmeister Gerhard Polt sagt: „Als wir angefangen haben, musste man auf der Bühne nicht politisch korrekt sein. Es war schon immer klar, dass die rechte Seite der Gesellschaft humorlos ist. Neu ist, dass auch die andere Seite nicht lustig ist, wenn es ans Eingemachte geht.“

Zwischen Erregung und Apathie

Dass er mit seiner Nummer über Herrn Grundwürmer, der die Asiatin Mai-Ling „für 2785 Mark importiert“ hat, „weil sie nicht schmutzt“, unter Rassismusverdacht geraten ist, nimmt er gelassen hin. „Als Satiriker arbeitest du mit Mehrdeutigkeit.“ Über Humor könne man verschiedener Meinung sein, aber nicht streiten. Ohnehin, so hat er dem „Spiegel“ mal gesagt, gelte: „Ich kläre nicht auf, ich trinke Bier.“