Die Jungen sind im Kabinett Kretschmann stark vertreten. Friedrich, Bonde, Schmid und Rust begegnen aber noch manchen Vorbehalten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war ein spöttischer Eintrag in irgendeinem Internetforum. Wer, frotzelte der Verfasser angesichts des Altersunterschiedes zwischen dem Ministerpräsidenten und seinem Stellvertreter, müsse da eigentlich wem die Schnürsenkel binden? Der Opa Winfried dem kleinen Nils, weil der noch keine Schleife machen könne? Oder der kleine Nils dem Opa Winfried, weil dem das Bücken zunehmend schwerfalle?

 

Großvater und Enkel - das ist natürlich maßlos überzeichnet. Doch der Grünen-Regierungschef Winfried Kretschmann (63) könnte vom Alter her ohne Weiteres der Vater seines SPD-Stellvertreters Nils Schmid (38) sein. Sein wirklicher Vater sei "sogar noch 'nen Tick jünger", berichtete Nils Schmid schmunzelnd, als er kürzlich auf den Abstand angesprochen wurde. Aber der bereite ihm keine Probleme: man habe im Kabinett einen "guten Mix", auch was die Generationen angehe.

Kretschmanns Gelassenheit speist sich aus seiner Lebenserfahrung

Es ist auf jeden Fall eine interessante und für Baden-Württemberg ungewohnte Mischung. Einerseits gibt es einen Ministerpräsidenten, der erst im fortgeschrittenen Alter in das Spitzenamt kam - und seine Popularität wohl auch der Gelassenheit verdankt, die sich aus der Lebenserfahrung speist. Andererseits gibt es neben dem Finanz- und Wirtschaftsminister noch drei weitere Regierungsmitglieder, die noch keine vierzig Jahre alt sind: Agrarminister Alexander Bonde (Grüne) mit 36, Bundesratsminister Peter Friedrich (SPD) mit 39 und Finanzstaatssekretär Ingo Rust mit gerade mal 33.

Vier unter vierzig - bei einer solchen Quote hätten sich zu schwarz-gelben Zeiten die Jugendorganisationen der Parteien vor Begeisterung überschlagen. Oft mussten sie schon froh sein, wenn sie wenigstens einen Vertreter der jüngeren Generation an den Kabinettstisch brachten.

Schmid wirkt auf manchen "bubihaft"

Aber sind die Polit-Youngster nicht "zu jung, um gut zu sein"? Solche Zweifel illustrierte die Zeitschrift "Stern" unlängst mit einem hübschen Titelbild: Auf die Körper von spielenden Kleinen montierte sie die Köpfe der Bundesminister Philipp Rösler (38), Daniel Bahr (34) und Kristina Schröder (33). "Merkels Kinder-Kabinett", lautete die Schlagzeile dazu. Im Text ging es darum, ob die Dreißiger mit wenig Lebenserfahrung abseits der Politik der beträchtlichen Verantwortung in einer alternden Gesellschaft gewachsen seien.

Auch Kretschmanns "Kinder-Kabinett" begegnet solchen Vorbehalten. Er werde "dauernd gefragt, ob ich nicht sehr jung bin für meinen Job", gestand Bonde im Juni per Twitter-Eintrag. Und der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling diagnostizierte es kürzlich als Problem von Nils Schmid, dass er "sehr jugendlich" daherkomme. "Negativ ausgedrückt: er wirkt zu bubihaft." Das erschwert natürlich das Bestreben, neben dem vertrauenerweckend ergrauten Kretschmann als Partner "auf Augenhöhe" wahrgenommen zu werden.

Schmid schöpft aus anderthalb Jahrzehnten Parlamentserfahrung

Dabei sind die Jungspunde, was ihre Politkarriere angeht, fast schon alte Hasen. Der promovierte Jurist Schmid kam mit 23 Jahren als Nachrücker in den Landtag, kann also aus anderthalb Jahrzehnten Parlamentserfahrung schöpfen. "Sehr kompetent" sei er in den Themen Finanzen und Wirtschaft, bescheinigt ihm nicht nur Wehling. Im Ministerium spüre er keinerlei Skepsis wegen seines Alters, sagt er selbst: "Die kennen mich ja."

Sein Staatssekretär Ingo Rust, von Haus aus Maschinenbauingenieur, ist ebenfalls ein Frühstarter; schon mit 27 wurde er Vorsitzender des wichtigen Finanzausschusses. Mit seiner Jugend hatte er nur ein Problem: um in Baden-Württemberg Ministerpräsident zu werden, muss man mindestens 35 Jahre alt sein. Auch deshalb wies Rust das Ansinnen von Parteifreunden ab, die ihn gerne als Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl gesehen hätten.

Alle drei haben selbst Kinder

Der Verwaltungswissenschaftler Peter Friedrich war mit 25 Jahren Landeschef der Jungsozialisten und saß im Alter von 33 im Bundestag. Zuvor absolvierte er immerhin drei Berufsjahre, als Mitarbeiter einer Lernagentur und Projektleiter für EU-Förderung. Seinen Abgeordnetenkollegen Bonde, der den Machtwechsel im Südwesten wie er zum Sprung auf die Landesbühne nutzte, absorbierte die Politik noch früher. Das Studium der Rechtswissenschaft und zum Diplomverwaltungswirt blieb ohne Abschluss, nach einem Jahr als Referent der Landtagsgrünen wurde der Freiburger mit 27 Jahren in den Bundestag gewählt, wo er sich bald als Haushaltsexperte profilierte.

Die Skepsis, ob er nicht zu jung sei, erledigt sich für Bonde von alleine. Nach bald vier Monaten im Amt werde er das kaum noch gefragt, weshalb er sich auch "keine Standardantwort" zurechtgelegt habe. Es sei doch "komisch", hatte der Fußballfan einmal geflachst, dass er mit seinen 36 Jahren zu jung für die Regierung sein solle - und Michael Ballack, mit gerade mal 34, zu alt für die Nationalmannschaft.

Inzwischen sind die vier Kabinettsjünglinge, kaum älter als die drei Kinder Kretschmanns, übrigens alle selbst Vater. Bonde - verheiratet mit einer CDU-Kreisvorsitzenden - hat drei Sprösslinge, bei Friedrich und Schmid sind es jeweils zwei. Rust wurde wenige Wochen nach dem Wahlsieg zum ersten Mal Papa.