Darf das Kabinett just am Jahrestag des „schwarzen Donnerstags“ feiern gehen? Instinktlos sei das, schimpfen S-21-Gegner. Ministerpräsident Winfried Kretschmann bleibt jetzt wohl fern.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es hätte ein völlig harmloser Termin werden sollen. Wie jedes Jahr wollte Winfried Kretschmann mit seinem Kabinett einen geselligen Abend auf dem Cannstatter Volksfest verbringen. Bei Bier, Göckele und Musik sollten die Regierenden ein paar Stunden lang Abstand vom stressigen Politikeralltag gewinnen. Doch in diesem Jahr ist der traditionelle Wasenbesuch unversehens zum Politikum geworden – und das gleich doppelt: erst durch die Absage und dann durch den neuen Termin.

 

Ursprünglich sollte das Treffen in „Grandls Hofbräu-Zelt“ an diesem Freitag stattfinden. Doch nur zwei Minister meldeten sich verbindlich an, ein dritter wollte nur vielleicht kommen. Also wurde die Runde mangels Masse abgeblasen. Prompt schlachtete der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke das politisch aus: Der „Hausfrieden“ bei Grün-Rot hänge mittlerweile so schief, dass es die Minister nicht einmal mehr privat miteinander aushielten.

Kabinettsabend am Jahrestag des „schwarzen Donnerstags“

Das wollte Kretschmann offenbar nicht auf sich sitzen lassen. Er gehe bei anderer Gelegenheit privat auf den Wasen, verkündete er kabinettsintern, wer sich ihm anschließen wolle, sei gerne eingeladen. Durch die Bundestagswahl lasse man sich die Laune nicht verderben: „Eine Niederlage wird nicht besser, wenn man traurigen Hauptes durch die Gegend läuft.“

Doch kaum wurde der neue Termin publik, gab es wieder Ärger. Geplant ist der Kabinettsabend nun am kommenden Montag, dem 30. September. Niemand hatte offenbar bedacht, dass dieses Datum in Baden-Württemberg ein besonderes ist: Zum dritten Mal jährt sich da der „schwarze Donnerstag“ im Stuttgarter Schlossgarten – jener beispiellose Polizeieinsatz, der sich tief ins kollektive Gedächtnis der Landeshauptstadt gebrannt hat und dessen Aufarbeitung bis heute die Justiz beschäftigt. Während hinterm Bahnhof die Wasserwerfer auffuhren, saß der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) Bier trinkend auf dem Cannstatter Wasen.

Viele S-21-Gegner sehen den Termin als grobe „Instinktlosigkeit“

Genau drei Jahre später, während bei der Montagsdemo an den „schwarzen Donnerstag“ erinnert wird, geht sein Nachfolger Kretschmann zum Biertrinken auf den Wasen? Viele Stuttgart-21-Gegner empfänden das als grobe „Instinktlosigkeit“, berichtet Matthias von Herrmann von den Parkschützern: „Die Leute sind entsetzt.“ Gerade bei den Grünen, die den Polizeieinsatz stets besonders scharf verurteilt hatten, müsse das Datum doch bekannt sein. Ihn mache es sprachlos, wie der Ministerpräsident da tief „ins Fettnäpfchen“ tappe.

Auf einer Internetseite der S-21-Gegner wurden Fotos von Mappus und Kretschmann in gleicher Pose untereinandergestellt – ein Vergleich, der sich eigentlich verbietet. Für den Premier sei der 30. September mitnichten ein Tag wie jeder andere, verlautet aus seinem Umfeld. Er habe viel dafür getan, dass sich derartige Szenen nicht wiederholten. Dass aus dem privaten Wasen-Termin dann doch ein halboffizieller wurde, habe man nicht vorhergesehen, heißt es in der Staatskanzlei entschuldigend. Die vorerst letzte Pointe: aus Termingründen wird Kretschmann am Montag wohl gar nicht teilnehmen können.