Was mit bloßem Auge nicht zu sehen ist: Auf den stattlichen Bäumen hausen etliche Insekten. Ein Hohenheimer Käferexperte gibt einen Einblick in eine teils skurrile Welt.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Hohenheim - Auf den Eichen kreucht und fleucht es – ohne, dass man dies immer mit bloßem Auge sehen kann. Zu den bekanntesten Eichenbewohnern dürfte der Eichenprozessionsspinner gehören. Eine Raupe mit Brennhaaren, die für den Menschen unangenehme Nebenwirkungen haben können, weil sie mitunter Allergien und Hautreaktionen auslösen. Zwar heiße es oft, der Prozessionsspinner würde wegen des Klimawandels einwandern, doch der Hohenheimer Experte Till Tolasch stellt klar: Den Eichenprozessionsspinner gebe es schon ewig in deutschen Wäldern. „Er ist so alt wie die Eiche.“ Allerdings vermehre er sich zunehmend, weil er bei wärmeren Temperaturen bessere Lebensbedingungen habe.

 

Wer haust auf den Eichenzweigen?

Till Tolasch ist Entomologe, also Insektenkundler, an der Uni Hohenheim. Und als solcher weiß er: Der Eichenprozessionsspinner ist nur ein Eichenbewohner von ganz, ganz vielen. Seiner groben Schätzung nach leben rund 200 Schmetterlings- und rund 500 Käferarten direkt von der Eiche. Nimmt man noch jene Tierchen dazu, die sich zum Beispiel an Pilzen auf der Eiche satt fressen, sind es noch um einige mehr.

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Wenn Tolasch in seinem Forscheralltag einen Überblick bekommen will, welche Schmetterlinge, Falter und Käfer sich auf einem Baum befinden, funktioniert das so: Er hält einen Klopfschirm unter einen Ast und schlägt mit einem Stock gegen das Gehölz. Die Tierchen fallen dann auf den Schirm. „Die Studenten oder interessierten Bürger sind dann oft erstaunt“, sagt er. Weil sie zu Gesicht bekommen, wer dort eigentlich alles in den Eichenzweigen haust.

Manche Käfer leben direkt in den Blättern

Die Eiche als Lebensraum sei besonders interessant, weil es diese Baumart schon lange in unseren Breiten gebe. „Insekten hatten viel Zeit, sich anzupassen und sich anzusiedeln“, erklärt der Hohenheimer Experte. Deshalb sei die Eiche der Baum, auf dem die allermeisten verschiedenen Arten wohnen. Und dabei ist zu beachten: Die Käfer, mit denen sich Tolasch schwerpunktmäßig befasst, sitzen nicht einfach nur auf dem Stamm oder den Zweigen. „Der Biologe sagt: Sie sind eingenischt.“

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Und mit „eingenischt“ ist für den Laien teils Skurriles gemeint. So gibt es Käfer, die sich innerhalb der Blätter entwickeln. Der Eichenblattroller beispielsweise, ein kleines knallrotes kugeliges Tierchen, forme das Eichenblatt zu einer Art Zigarre. Andere Käfer leben unter der Rinde, in einer Baumhöhle – oder sie stürzen sich auf einen abgebrochenen Ast.

Während manche Tierchen miniklein sind, sind andere gut sichtbar, zum Beispiel der blauschillernde Florentiner Prachtkäfer mit seinen anderthalb Zentimetern Größe. Seine Larve fresse sich unter der Rinde vom Ast in Richtung Stamm. Über die teils eigenartig anmutenden Lebensformen „könnte man tagelang erzählen“, sagt Till Tolasch. Kurz zusammengefasst kann man sagen: „Es wird alles bewohnt, was bewohnbar ist.“ Und stirbt ein Stamm ab, „wird das Totholz sofort besiedelt“.

Käfer und Falter gehen sich am liebsten aus dem Weg

Dem Eichenbaum selbst machen die meisten der Krabbeltierchen in der Regel nichts aus. Tolasch spricht von einer Koexistenz. „Es ist wie ein Mensch, der Kopfläuse hat“, sagt er. Wie viele Falter und Käfer auf einer Eiche leben, sei unterschiedlich – bedingt durch Alter und Standort des Baumes. Und gegen Schädlinge könne sich eine Eiche wehren – wenn sie gut im Saft stehe. Hier spreche man von Primär- und Sekundärstoffwechsel. Ersterer diene dem Wachstum des Baums, zweiterer der Abwehr von Fraßschädlingen mit der Hilfe von Giftstoffen. Die meisten der Krabbeltierchen selbst schauen übrigens, dass sie tunlichst einen Bogen um einander machen, „um sich keine Konkurrenz zu machen. Sie versuchen, Strategien zu entwickeln, auf die noch keiner gekommen ist“.

Das Insektensterben, das inzwischen der breiten Öffentlichkeit bekannt ist, sei im Wald nicht erkennbar, zumindest nicht im selben Maße wie auf den Freiflächen wie Wiesen und Feldern. „Auf einer Eiche besteht kein Grund, dass es weniger Insekten werden“, erklärt Tolasch. Zudem möchte er in diesem Zusammenhang klarstellen, dass das Wort Insektensterben nicht wirklich trifft, was passiere. „Es ist kein Sterben, es ist ein Ausrotten.“ Durch den Menschen und die eingesetzten Pflanzenschutzmittel, Unkrautvernichtungsmittel und Überdüngung.