Die Gegensätze auf beiden Seiten des Atlantiks könnten derzeit kaum größer sein: In den USA führt arktische Kaltluft zu einem ungewöhnlich heftigen Wintereinbruch. Hierzulande wecken dagegen die milden Temperaturen erste Frühlingsgefühle.

Stuttgart - Seit Tagen lähmt die schlimmste Kältewelle seit Jahrzehnten das öffentliche Leben in weiten Teilen der USA. Inzwischen hat sich die eisige Kaltluft aus der Arktis vom Mittleren Westen nach Osten ausgedehnt und lässt nun die Neuenglandstaaten und New York gefrieren. Selbst bis zum Sonnenstaat Florida dringt der ungewöhnlich heftige Kaltlufteinbruch vor: Dort drohen Nachtfröste.

 

Die andere Seite des Atlantiks wird dagegen von ungewöhnlich milder Luft verwöhnt. So war es beispielsweise in Moskau wärmer als in Atlanta im südlichen US-Bundesstaat Georgia. Und in Deutschland kommen derzeit Frühlingsgefühle auf: Die aus Südwest kommende Strömung bringt in dieser Woche äußerst milde Luft zu uns – für heute sind bis zu 14 Grad am Rhein vorhergesagt.

Die Luft wird wie von einem Schaufelradbagger bewegt

Derweil wird die Westküste Großbritanniens erneut von einem heftigen Sturm mit hohen Wellen und viel Regen heimgesucht. Damit hält dort das stürmische Regenwetter bereits seit mehreren Wochen an. So verwundert es nicht, dass derzeit in England und Wales noch mehr als hundert Flutwarnungen gelten.

Extreme Kälte im Osten des Atlantiks, äußerst mildes Wetter auf seiner Westseite – da besteht sehr wohl ein Zusammenhang. Wie von einem riesigen Schaufelradbagger werde derzeit die Luft zwischen Nordamerika und Europa bewegt, sagen die Meteorologen. „Das hat etwas miteinander zu tun, und solange die Amerikaner frieren, werden wir schwitzen“, beschreibt der Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD) die derzeitige Situation.

Die milde Luftströmung reicht bis nach Skandinavien

Die große Triebkraft für diese Wetterlage ist ein riesiges Tiefdruckgebiet namens Christina. Es erstreckt sich über mehrere Tausend Kilometer. Auch Deutschland liegt noch in seinem Einflussbereich: Auf seiner Ostseite – also in Zugrichtung auf seiner Vorderseite – transportiert es milde Luft aus dem Mittelmeergebiet zu uns. Und diese milde Luftströmung reicht bis weit hinauf nach Skandinavien. Dort berichten die Meteorologen derzeit von Temperaturen im Plusbereich – üblich sind in dieser Jahreszeit zweistellige Minusgrade.

Auch auf der anderen Seite der extremen Kaltluftbrücke in den USA geht es zur Zeit recht warm zu. So führte ein massives Tief bei der Inselgruppe der Aleuten im westlichen Alaska warme Luft weit nach Norden, berichtet der Deutsche Wetterdienst. Damit stützt es eine ausgeprägte Hochdruckbrücke, die vom Westen der USA über Kanada hinweg bis zum Nordpol reicht.

Der Polarwirbel wird gen Süden gelenkt

Wie alle Hochs auf der Nordhalbkugel dreht sich auch dieses Hoch im Westen der USA mit dem Uhrzeigersinn. Und weil das Tief im Osten Nordamerikas – wie bei Tiefs üblich – gegen den Uhrzeigersinn kreist, bildet sich dazwischen eine Brücke, in der kalte Luft von Norden nach Süden fließt. Und weil der hohe Luftdruck im Osten so ungewöhnlich weit nach Norden reicht, wird dort äußerst kalte Polarluft angesaugt und nach Süden geblasen. Polar Vortex nennen die Meteorologen diesen Polarwirbel, der üblicherweise über dem Nordpol unterwegs ist und nur unter ganz speziellen Umständen gen Süden gelenkt wird.

In Nordamerika kommt hinzu, dass – anders als im Westen Europas – die Luft auf ihrem Weg gen Süden nicht über eine große Wasserfläche streicht und dabei angewärmt wird. Daher fallen Kaltlufteinbrüche in Europa nur dann ähnlich heftig aus, wenn die Polarluft aus dem Osten – also über eine große Landfläche – zu uns kommt. So verwundert es nicht, dass der amerikanische Kaltluftvorstoß so weit nach Süden reichen kann: Selbst in den Bundesstaaten Mississippi und Louisiana, die im Süden etwa auf der geografischen Höhe von Kairo liegen, ernten die Farmer derzeit so viele Zitrusfrüchte wie möglich, um sie vor dem Frost zu retten.

Die extremen Luftdruckunterschiede in den USA haben dort noch einen weiteren, äußerst unangenehmen Effekt: den heftigen Wind. Dabei bewirkt der sogenannte Windchill – also der kühlende Windfaktor –, dass sich die ohnehin eisigen Temperaturen auf der Haut noch deutlich kälter anfühlen. So kommt es, dass dieser Tage in den USA von so extremen Minustemperaturen wie gefühlten minus 55 Grad in Hot Springs im Bundesstaat Virginia oder von minus 50 Grad in Detroit in Michigan berichtet wird.

In Deutschland sorgt Tief Christina weiter für Frühlingsgefühle

Wie aber geht es nun weiter? In den USA gehen die Wetterfrösche davon aus, dass die Kältewelle noch mindestens bis Mitte der Woche, eher noch bis zum Wochenende anhalten wird. Und in Deutschland sorgt Tief Christina auch weiterhin für Frühlingsgefühle. In der zweiten Wochenhälfte dürfte es ein bisschen kälter werden – ein Änderung der Großwetterlage aber erwartet der Deutsche Wetterdienst frühestens in der nächsten Woche. Dann könnten sich die Tiefs auf dem Nordatlantik abschwächen und Platz für ein Hoch machen. Das könnte dann kalte, aber trockene Luft von Norden zu uns führen.

Über den Rest des Winters ist damit allerdings noch nichts gesagt. Doch die Bauernregel zum 6. Januar gibt zu denken: „Ist bis Dreikönigstag kein Winter, so kommt auch kein strenger mehr dahinter.“ Zu etwa 70 Prozent treffe dies zu, sagen die Meteorologen.