Im Kältemittelstreit hat die EU-Kommission in zwei Jahren 23 Mal die Hersteller Dupont und Honeywell getroffen – den Autobauer, der das in Autoklimaanlagen verwendete Mittel für brandgefährlich hält, nur fünf Mal. Lässt die Behörde deshalb keine neuen Tests durchführen?

Brüssel - Mehr als zwei Jahre alt ist der erbitterte Streit darüber, welches Kühlmittel Europas Autobauer in ihre Klimaanlagen füllen müssen, schon alt – nun wird erstmals bekannt, wie intensiv Chemieriesen auf der einen und Daimler auf der anderen Seite in Brüssel versuchen, die EU-Kommission auf ihre Seite zu ziehen. Der Stuttgarter Zeitung liegt eine Antwort der zuständigen Kommissarin Elzbieta Bienkowska auf eine Parlamentsanfrage vor, aus der der rege Kontakt mit den US-Konzernen Honeywell und Dupont hervorgeht, die ein Quasimonopol auf das umstrittene Kältemittel haben.

 

Das EU-Gesetz, das von den Autobauern verlangt, das Flüssiggas dieser Marken zu verwenden, weil sie weniger klimaschädliches CO2 ausstoßen als die Vorgängervariante, gilt seit dem 1. Januar 2013. Nachdem es sich bei eigenen Tests von Mercedes-Benz an seiner B-Klasse entzündet hat, weigert sich der Stuttgarter Hersteller seither, das eigentlich vorgeschriebene Mittel zu verwenden. Das deutsche Kraftfahrbundesamt änderte deshalb rückwirkend die Typzulassungen, um einen offenen Bruch des EU-Rechts zu verhindern. Die Brüsseler Kommission leitete dennoch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik ein. Alle Forderungen von deutscher Seite nach einer neuen Gefahrenuntersuchung auf europäischer Ebene sind bisher verhallt.

23 Treffen auf Beamtenebene

Die Zahlen der EU-Kommission legen nun nahe, dass die Brüsseler Behörde in der Auseinandersetzung den Versicherungen der amerikanischen Herstellerfirmen besonders viel Gehör schenkt. „Zur Erörterung“, heißt es in dem der StZ vorliegenden Antwortschreiben an den FDP-Europaabgeordneten Michael Theurer, „kamen die zuständigen Dienststellen der Kommission dreizehnmal mit Vertretern von Honeywell und zehnmal mit Vertretern von Dupont zusammen.“ Die insgesamt 23 Treffen fanden nicht auf politischer Spitzen-, sondern auf Beamtenebene statt – in den Jahren 2013 und 2014, also seit dem Beginn der Auseinandersetzung über das Kühlmittel. „Alle Sitzungen“, schreibt Bienkowska, „fanden in den Räumlichkeiten der zuständigen Kommissionsdienststellen oder als Videokonferenzen statt.“

Die Argumente, die Daimler vorzutragen hat, interessierten die Brüsseler Spitzenbeamten dagegen deutlich weniger. Im selben Zeitraum kamen beide Seiten nur zu fünf Gesprächsterminen zum Thema zusammen. „Es gab in den Jahren 2013 und 2014 vier offizielle Termine in der zuständigen Generaldirektion“, teilte ein Mercedes-Benz-Sprecher der StZ auf Anfrage mit, „und ein Treffen mit dem Kabinett des zuständigen Kommissars.“ Kommissar vor der Polin Bienkowska war bis Ende Oktober 2014 der Italiener Antonio Tajani.

Unterschiedliche Interpretation der Testergebnisse

Auf wessen Betreiben die vielen Treffen mit den US-Herstellern zustande kamen, bleibt unklar. Besprochen wurden bei dem Treffen nach Angaben der EU-Kommission „die Sicherheitsbedenken eines deutschen Herstellers gegen das Kältemittel“ sowie „die damit zusammenhängenden Beschlüsse der deutschen Regierung, welche derzeit Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens sind“. Da die Brüsseler Behörde noch immer auf der Unbedenklichkeit des von Honeywell und Dupont produzierten Kältemittels beharrt, scheint deren Lobbyeinsatz von Erfolg gekrönt gewesen zu sein. „Es ist schlicht unverantwortlich“, kritisiert der Abgeordnete Theurer, „dass die Kommission, anstatt endlich ein standardisiertes Testverfahren durchführen zu lassen, sich Dutzende Male mit den Herstellern trifft, die in dieser Angelegenheit keinen Erkenntnisgewinn mehr bieten können, sondern ihr Milliardengeschäft retten wollen.“

Tatsächlich werden die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Gefahrenpotenzial bis jetzt unterschiedlich interpretiert. Nach den Daimler-Tests führte das Kraftfahrt-Bundesamt seinerseits Prüfverfahren durch. Im Extremszenario fing das Flüssiggas tatsächlich Feuer – im gesetzlich vorgeschriebenen Testverfahren aber nicht. Auf letzteres Ergebnis berufen sich Europas in solchen Fällen zuständige Gemeinsame Forschungsstelle (JRC) und damit auch die EU-Kommission. Es gebe, schreibt Kommissarin Bienkowska, „gemäß dem geltenden Rechtsrahmen für die allgemeine Produktsicherheit keinen Beweis für eine ernsthafte Gefahr durch die Verwendung des Kältemittels in mobilen Klimaanlagen unter normalen und vorhersehbaren Verwendungsbedingungen“. Deswegen seien zusätzliche Prüfverfahren, auf die die Kritiker pochen, unnötig. Theurer fordert dennoch, bis zur Klärung der Bedenken „Vertragsverletzungsverfahren und Inkrafttreten der Richtlinie ruhen zu lassen“. Für alle Neufahrzeuge und nicht nur für neue Modellreihen ist der Stichtag der 1. Januar 2017. Mehrere deutsche Hersteller arbeiten gerade mit Hochdruck daran, das alternative Kühlmittel Kohlendioxid zur Serienreife zu bringen. Dass die EU-Kommission dennoch unbeirrt an den Produkten von Honeywell und Dupont festhält, ihnen so viel Gehör schenkt und eine Rechtsänderung bis jetzt ausschließt, verwundert auch deshalb, da ihre eigene Wettbewerbsbehörde im Herbst eine Untersuchung gegen die beiden US-Unternehmen einleitete – Grund: mögliche Absprachen, die zu einer „Begrenzung der verfügbaren Mengen“ und damit zu einem höheren Preis geführt haben könnten.