Wie geht es denen, die in diesem Winter draußen schlafen? Müssen Sie das überhaupt? Wo bekommen sie Hilfe? Und wie kann ich, wenn ich an einem solchen Schlaflager vorbei komme, helfen?

Eine U-Bahn-Unterführung in Stuttgart, es ist ein Uhr Nachts, das Thermometer steht auf -7 Grad. Aus den beiden Schlafsäcken, die sich an die Kachelwand kauern, lugen nur zwei Haarschöpfe heraus, kleine Atemwölkchen steigen auf. Sonst ist Schweigen. Wie geht es denen, die in diesem Winter draußen schlafen und wie bekommen sie Hilfe?

 

Wo kommen Obdachlose bei Kälte unter?

„Keiner muss auf der Straße schlafen“, macht Peter Gerecke von der Evangelischen Gesellschaft (Eva) deutlich. Die Eva betreibt in Kooperation mit dem Caritasverband für Stuttgart drei Notunterkünfte für wohnungslose Menschen. Das mit 60 Plätzen nach wie vor größte Gebäude befindet sich in der Hauptstätter Straße 150. Weitere 44 Notübernachtungsplätze gibt es im Gebäude Villastraße 3 im Stuttgarter Osten sowie 35 weiter in der Hohenheimer Straße 76 in Mitte. Ab null Grad gilt der so genannte Erfrierungsschutz, Wohnungslose haben also einen Anspruch auf einen warmen Übernachtungsplatz. „Die Häuser haben momentan noch ausreichend Plätze derzeit frei“, sagt Gerecke, der die Dienste für Menschen in Armut, Wohnungsnot und Migration leitet. Allerdings gebe es auch Menschen, die freiwillig lieber auf der Straße bleiben.

Was geschieht mit Menschen, die nicht in eine Unterkunft wollen?

Wie viele Menschen in Stuttgart tatsächlich obdachlos, also ganz ohne ein Dach über dem Kopf sind, lässt sich nur schätzen, die Stadt geht von 100 bis 150 Personen aus. Für diese Gruppe, die häufig selbst in eine Notschlafstelle nicht wollen, bietet die Verwaltung in Kooperation mit dem DRK-Kreisverband wieder den Kältebus an. Der geht auf Tour, wenn das Thermometer 0 Grad Celcius und weniger anzeigt. Das Fahrzeug mit zwei Helferinnen und Helfern des DRK fährt zwischen 22 und 2 Uhr nachts öffentliche Plätze an, an denen sich Wohnungslose aufhalten könnten, zum Beispiel in Parkhäusern, U-Bahn-Unterführungen, Bankfilialen. Die Helfer bieten den Obdachlosen Tee und Suppe an und geben bei Bedarf Schlafsäcke oder Einmaldecken aus.

Wie werden sie noch versorgt?

Seit das Thermometer so stark gefallen ist, drängen mehr Menschen ins Haus der Diakonie, sagt Peter Gerecke. Dort gibt es von 12 bis halb zwei ein warmes Mittagessen, außerdem hat dort ab 15 Uhr eine Wärmestube geöffnet. „Mehr als hundert Menschen kommen täglich zum Essen“, sagt Gerecke. Die Caritas gibt in der Olgastraße 46 Mittagessen aus und bietet einen warmen Platz. Im Stadtteiltreff Oase in Zuffenhausen kann man sich ebenfalls aufwärmen. Trotz der Energiekrise bleiben die Angebote übrigens gut geheizt: „Diese Menschen haben einen großen Bedarf an Wärme, sie sollen bei uns nicht frieren“, sagt Gerecke.

Treiben die gestiegenen Kosten mehr Menschen in solche Angebote?

Momentan würden sie das noch nicht spüren, sagt Gerecke. Auch das Caritas-Angebot würden derzeit vor allem die Stammgäste nutzen, die man schon kenne, sagt Pressesprecherin Sabine Reichle. Gerecke könnte sich allerdings vorstellen, dass sich Inflation und Energiekrise zeitverzögert im kommenden Jahr bemerkbar machen, zum Beispiel indem Menschen ihre Wohnungen verlieren, weil sie Mietschulden anhäufen.

Was können die Bürgerinnen und Bürger tun?

Nicht nur der baden-württembergische Sozialminister Manne Lucha (Grüne) appelliert an die Bürgerinnen und Bürger im Land, bei dieser Kälte „wachsam zu sein und Menschen in Not zu helfen“. Das bedeutet auch, dass man nachsieht, ob ein Mensch, der in der Kälte nächtigt, noch regelmäßig atmet und ausreichend mit Schlafsäcken und Isomatten versorgt ist. Die Stuttgarter Stadtverwaltung erklärt, man solle „sofort den Notruf 112 verständigen, wenn man einen wohnungslosen, augenscheinlich hilflosen Menschen antrifft“. Wohnungslose Personen können auch über die Kältebus-Hotline 0711/219 54 776 gemeldet werden. Informationen gibt es unter www.stuttgart.de/hilfen-fuer-wohnungslose.

Welche Spenden helfen?

Zum einen kann man Wohnungslosen natürlich jederzeit selbst etwas zu essen oder einen warmen Tee bringen. Ansonsten nehmen Caritas und Eva gern Kleiderspenden oder auch warme Schlafsäcke entgegen. Laut Sabine Reichle werden vor allem warme Jacken, Pullover, Strümpfe, Schuhe und Unterwäsche gebraucht. Sowohl die Olgastraße 46 als auch das Haus der Diakonie nehmen Spenden entgegen.

Wie haben sich die Übernachtungszahlen entwickelt?

In den Coronajahren sind die Zahlen merklich zurückgegangen. Die bisher höchsten Werte hat die Stadt in ihren drei Einrichtungen im Winter 2017/2018 mit 1236 Personen und 14 696 Übernachtungen registriert, im Winter 2019/2020 waren es dann zwar nur noch 1057 Fälle, aber 16 680 Übernachtungen. Das zeigt: Die Aufenthaltsdauer in den Einrichtungen steigt. Dies ist symptomatisch für die Entwicklung. In den ersten Jahren diente nur die Hauptstätter Straße diesem Zweck, und auch nur in den Wintermonaten von November bis März und nur nachts. Seit 2014 ist die Hauptstätter Straße eine ganzjährige Notübernachtung, seit dem Winter 2012/2013 werden in der Regel drei Gebäude dafür genutzt, inzwischen ist auch das Haus in der Villastraße ganzjährig offen.

Wie erklärte sich diese stark gestiegene Nutzung?

Die Notübernachtungen haben sich von kurzfristigen Schlafmöglichkeit zur Überbrückung von Notlagen zu mittel- bis längerfristigen Unterkünften für Menschen mit besonderen Problemen entwickelt. Zum einen ist, was andere Möglichkeiten in der Wohnungsnotfallhilfe und in Pflegeheimen angeht, das bestehende System wegen des Mangels an Wohnungen und Heimplätzen verstopft. Und in den Notübernachtungen landen vermehrt auch psychisch kranke Menschen, die verhaltensauffällig sind, aber keine Krankheitseinsicht und die keine anderen, verpflichtenden Hilfen annehmen wollen. Nicht zuletzt landen seit etlichen Jahren auch EU-Bürger insbesondere aus Osteuropa in den Einrichtungen, die zur Arbeitssuche nach Stuttgart gekommen sind, ihren Job verloren haben, die aber keine Anspruch auf soziale Leistungen haben oder deren Lage jedenfalls ungeklärt ist.