Die Nachfrage nach gerecht gehandeltem Kaffee steigt. In Großbritannien sind die guten Bohnen schon im Mainstream angekommen, während der Absatz in Deutschland nur im unteren einstelligen Bereich liegt. Doch die Zeichen stehen auf Wandel.

Stuttgart/London - Wenn die Briten schon Kaffee trinken, dann gern guten Gewissens: Sie sind laut der Organisation Fairtrade International die stärksten Abnehmer von Produkten mit Fairtrade-Siegel. Im Jahr 2011 wurde im Vereinigten Königreich mehr als ein Viertel des Gesamtumsatzes gemacht – allein 230 Millionen Euro davon im Einzelhandel beim Kaffeekonsum. Damit erreichten die Bohnen aus nachhaltigem Anbau laut der International Coffee Organization (ICO) mit Sitz in London in der Teetrinkernation einen Anteil von stattlichen zehn Prozent.

 

Der Appetit auf fair gehandelte Produkte sei in Großbritannien traditionell hoch und steige weiter, sagt der ICO-Sprecher Mauricio Galindo. Das gelte beispielsweise besonders für Bananen und Kokosnüsse, „aber am stärksten für Kaffee“. Den Trend führt er im Wesentlichen auf drei Gründe zurück: Zum einen bringe die Vergangenheit als Kolonialmacht und die Verbindung zu den Commonwealth-Staaten eine Aufgeschlossenheit für Produkte aus diesen Ländern mit sich; auch hätten groß angelegte Werbekampagnen wie von der alternativen Handelsorganisation Twin ihr Ziel erreicht. Darüber hinaus seien die Briten im Gegensatz zu den Deutschen keine Kaffeetraditionalisten, sagt Galindo: „Da ist das Konsumentenverhalten nicht so auf Etabliertes festgelegt.“

Der Unterschied zu Deutschland

Größer könnte der Unterschied tatsächlich kaum sein. Die Deutschen sind bei ihrem Lieblingsgetränk (Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr 2012: 149 Liter), von dem sie noch mehr konsumieren als Wasser und Bier, alles andere als alternativ unterwegs. Allerdings verzeichnet der Fairtrade-Verein Transfair, von dessen Mindestpreisgarantien 1,2 Millionen Kleinbauern in mehr als 60 Ländern dieser Erde profitieren, in seinem Jahresbericht für den deutschen Markt in 2012 ein Rekordwachstum von insgesamt 25 Prozent und damit eine Steigerung auf eine halbe Milliarde Euro Umsatz.

Einer der wichtigsten Wachstumstreiber sei dabei der Kaffee, erklärt die Sprecherin Claudia Brück: „Da haben wir beim Umsatzanteil erstmals die Zweiprozentmarke geknackt.“ Durch den Einstieg von Aldi-Nord Anfang des Jahres sei nun auch diese bisher „Fairtrade-freie Regalfläche geschlossen“. Der Discounter Lidl hat ein eigenes Label lanciert, Vollsortimenter wie Rewe und Edeka haben mittlerweile eine echte Vielfalt im Programm. Inklusive anderer Siegel wie der Naturschutzorganisation Rainforest kommt der Deutsche Kaffeeverband nach eigenen Schätzungen gar auf knapp vier „faire“ Prozent: Das Angebot an nachhaltigem Kaffee werde immer breiter, präsenter und erreiche immer größere Bevölkerungsteile. Das klingt mehr nach zähem Ringen als nach echtem Durchbruch: Warum sind die guten Bohnen, Keimzelle des Fairen Handels, nach mehr als drei Jahrzehnten immer noch so weit vom festen Platz im Einkaufswagen des Durchschnittsdeutschen entfernt?

Kampf um Promille

„Wir kämpfen beim Absatzanteil um Promille“, sagt Brück. Zum einen stehe Kaffee in Deutschland sehr stark im Preisfokus; manches Angebot decke nicht einmal die Kosten. Wenn dann, wie aktuell, der Rohstoffpreis im Sinkflug begriffen ist, geht die Schere noch weiter auseinander. Der derzeitige Preis sei „problematisch, aber gerade noch okay“, sagt Brück. Zum anderen sei der deutsche Markt extrem segmentiert: von der Komplettbohne über gemahlene Espressi bis hin zur Kapsel gibt es unzählige Varianten.

Das Vorurteil, der faire Kaffee sei kein Genuss, sondern ein politisches, wenn nicht gar ideologisches Statement, scheint sich in jüngster Zeit zu verflüchtigen. Der Geschmack sei das wichtigste Kriterium, betont der Kaffeesommelier Harry Rahm, der vor wenigen Monaten das „Kaffeeum“ in der Stuttgarter Eberhardstraße eröffnet hat und ausschließlich nachhaltig produzierte Spezialitäten wie limitierten Kaffee aus Äthiopien und Ecuador verkauft: „Meine Kunden wollen keine Massenware von Großplantagen.“

Kompetenzaustausch auf Augenhöhe

Auch der Stuttgarter Heiko Blocher ist auf der Suche nach dem ultimativen Geschmacks- und Koffeinkick bei fairen Bohnen gelandet. Der Sozialpädagoge hat seine Leidenschaft im Internet professionalisiert und verkauft seit anderthalb Jahren unter dem Label „Schwarzmahler“ Kaffee mit seinem eigenen Röstprofil zum Preis von 22 bis 24,50 Euro pro Kilo. Blochers hochpreisige Produkte gewinnen immer mehr Fans. Der Umsatz wachse jeden Monat um 10 bis 15 Prozent, sagt der 33-Jährige, der nebenher auch Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Non-Profit-Organisation studiert.

Weil die gängigen Fair-Siegel „besser als nichts“ seien, aber für seinen Geschmack nicht aussagekräftig genug, bezieht er seine Bohnen über die Hamburger Kooperative Quijote per Direktimport von Kaffeepflanzern in Ecuador. Auf dem Weg zu immer mehr Knowhow und Qualität lande man „quasi automatisch bei einem Produkt, von dem die Menschen, die es herstellen, auch leben können“, sagt Blocher: „Das ist keine Hilfsaktion für die Bauern, sondern ein Kompetenzaustausch auf Augenhöhe.“ Das Problem der Deutschen mit dem Kaffee sei, dass sie insgesamt einfach zu viel davon trinken. Er selbst trinke lieber einen hochwertigen Espresso pro Tag als einen Liter schlechte Brühe.

Viel Ertrag bei hoher Qualität

Große Mengen und Nachhaltigkeit auf einen Nenner bringen will Tchibo. Das Familienunternehmen, das hierzulande mehr als 800 Filialen hat, arbeitet mit allen internationalen Siegeln zusammen – um deren Konkurrenzhaltung untereinander aufzuheben. Tchibo hat ebendiesen Anteil im Vorjahr von 13 auf 22 Prozent erhöht und ist vom Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik für die „beispielhaften Bemühungen auf dem Weg zu einer 100 Prozent nachhaltigen Geschäftstätigkeit im Kaffee- und Non-Food-Bereich“ ausgezeichnet worden. Rund die Hälfte des Filterkaffees aus nachhaltiger Produktion auf dem deutschen Markt sind von Tchibo; Kürzlich kam auch der erste Fairtrade-Kaffee in Kapseln auf den Markt.

Dem Unternehmen zufolge geht dieser Wandel nicht vom Verbraucher aus. Hauptauslöser für das verstärkte Engagement in Sachen Nachhaltigkeit seien die klimatischen Veränderungen und die Tatsache, dass dadurch langfristig nur ein nachhaltiger Anbau sowohl die gewünschte Menge als auch die Qualität des Kaffees garantiert. Mehr Erträge bei gleichzeitig mehr Qualität würden sich nicht ausschließen – im Gegenteil.

Klaus Weingärtner von der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg bewertet das Engagement positiv. Schließlich sei das Geschäft mit der fairen Bohne bislang sehr mühsam: „Dafür, dass wir seit Jahrzehnten daran arbeiten, ist es kein rühmliches Ergebnis.“ Mit Sorge beobachtet er auch die Entwicklung, dass die Siegel in jüngster Zeit „etwas inflationär“ eingesetzt und zum Deckmäntelchen für Discounter würden: „Das ist eine Art Greenwashing.“ Die Unternehmen, die ausschließlich faire Produkte vertreiben, würden sich verstärkt davon absetzen. So hat die Gepa, Europas größte Handelsorganisation für fairen Handel, jetzt das Fairtrade-Siegel vom Großteil ihrer Produkte verbannt und sich ein neues Zeichen zugelegt: „fair+“.