Kai Wiesinger spielt im Fernsehdrama „Der Rücktritt“ den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff. Wie es ist, wenn die Medien Jagd auf Prominente machen, hat der Schauspieler am eigenen Leib erfahren.

Stuttgart - Am Ende, als die Journalisten auch noch wissen wollen, wer seinem Sohn das Bobbycar geschenkt hat, als sie sein Privatleben bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet haben, sieht man, wie sein Gesicht versteinert. Christian Wulff, gespielt von Kai Wiesinger, steht da wie ein Schatten seiner selbst, ein Phantom, eine leere Hülle. Es ist der 16. Februar 2012, die Staatsanwaltschaft hat die Aufhebung seiner Immunität beantragt, so tief hat sich der Bundespräsident in Widersprüche verstrickt. Jetzt kann ihn nur noch ein Wunder retten. Doch er ahnt wohl selber, dass er aus dieser Nummer nicht heil herauskommt.

 

Kai Wiesinger spielt den Ex-Bundespräsidenten im Dokudrama „Der Rücktritt“ , das am Samstag ausgestrahlt wird, mit einer Zurückgenommenheit, die beinahe gespenstisch wirkt. Der echte Wulff hat bis zu seinem Rücktritt Optimismus verbreitet und den Anschein erweckt, alles sei ein tragisches Missverständnis, die Sache mit seinem Hauskredit, der Drohanruf beim „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, die Spesenabrechnungen. Alles sauber, alles korrekt, aber von den Medien aus dem Zusammenhang gerissen und zu einer einzigen Lüge verwurstet. Von einem „Stahlgewitter“ sprach der Politiker.

Ein Wort wie eine Panzergranate. Wenn der Wulff-Darsteller Kai Wiesinger es ausspricht, dann klingt das aber nicht wütend, sondern resigniert. Das liegt in der Natur seiner Figur. Mit dem echten Wulff verbindet sie kaum mehr als die blonde Perücke und die randlose Brille. Das zeigen Original-TV-Aufnahmen, die zwischendurch eingeblendet werden.

Abonniert auf Rollen als Romeo oder Rechtsanwalt

Wiesinger sagt, „Der Rücktritt“, das sei eben keine Doku im klassischen Sinne. Thomas Schadt, vielen schon bekannt als Drehbuchautor und Regisseur des Dokudramas über den Altkanzler Helmut Kohl („Der Mann aus der Pfalz“) hat die letzten Wochen im Amt des Bundespräsidenten als Introspektive inszeniert, als klassisches Eingeschlossenen-Drama. Der Film spielt mit der Frage, was dieser Druck mit den Menschen im Zirkel um Wulff macht, was also passiert, wenn sich Macht plötzlich in ihr Gegenteil verkehrt. An der Seite von Anja Kling als Bettina Wulff gibt Wiesinger den Präsidenten als einen Parvenü, der irgendwann einen Fehler macht und dann zum Spielball der Medien wird. Er sagt, das sei die Herausforderung gewesen. Den Menschen hinter dem Panzer aus Floskeln zu zeigen, ohne ihn zu verurteilen. Der Figur eine emotionale Tiefe zu verleihen, ohne handwerklich alle Register ausschöpfen zu können. Eine Herausforderung.

Dieser begegnet Kai Wiesinger mit Fingerspitzengefühl und angemessener Empathie. Er spielt den Präsidenten als Mann, als Wulff im Schafpelz. Wer Wiesingers Biografie kennt, versteht seine Nähe zu der Figur.

Kai Wiesinger galt lange als der Gentleman-Darsteller unter den deutschen Schauspielern. Abonniert auf Rollen als Romeo oder Rechtsanwalt. Als solcher hat er schon zweimal den Bayerischen Fernsehpreis gewonnen, 1997 als ein zynisch-arroganter, aber zu Unrecht inhaftierter Staranwalt in dem Thriller „14 Tage lebenslänglich“ und zwei Jahre später als Verteidiger des KZ-Arztes Josef Mengele in dem Spielfilm „Nichts als die Wahrheit“.

Mischung aus Arroganz und Verletzlichkeit

Vielleicht liegt es an dieser Mischung aus Arroganz und Verletzlichkeit, die er ausstrahlt, 1,80 Meter groß, durchtrainiert, stahlblaue Augen, ein Mann, der sich seiner Wirkung auf Frauen bewusst ist. Vielleicht aber auch daran, dass ihn als Mensch, so sagt er, etwas Ähnliches antreibe wie diese Figuren: die Suche nach Wahrhaftigkeit.

Klassenkameraden von früher, die mit ihm die Waldorfschule in seiner Geburtsstadt Hannover besucht haben, meinen jedenfalls, „den Kai“ in all seinen Rollen wiederzuerkennen, egal, ob er in Sönke Wortmanns Komödie „Kleine Haie“ (1992) einen Schauspielstudenten spielte oder einen Schatzsucher in dem Abenteuerfilm „Die Jagd nach dem Bernsteinzimmer“ (2012). Das spricht nicht für seine Wandlungsfähigkeit, und Wiesinger reagiert entsprechend verschnupft, wenn man ihn darauf anspricht. Er sagt, privat könne er sich überhaupt nicht verstellen. „Ich bin ein unglaublich ehrlicher Mensch.“

Doch im Fall Wulff hat er von dieser Authentizität sogar profitiert. Wiesinger sagt, er wisse, was es bedeutet, wenn man „Autos mit Teleobjektiven um sich herum hat und vor dem Haus Journalisten warten“. Im Juli 2013 schockierte die Nachricht vom plötzlichen Tod seiner Ehefrau die Öffentlichkeit. Das ehemalige Vorzeigepaar, das zwei gemeinsame Töchter im Teenager-Alter hat, lebte da schon seit anderthalb Jahren getrennt. Schon damals gab es Gerüchte, Kai Wiesinger sei mit seiner Kollegin Bettina Zimmermann liiert. In einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ hatte er Anfang 2012 erklärt, er habe auf einmal Hunger nach einem anderen Leben gehabt.

Die Paparazzi campierten vor seiner Haustür

Heute bereue er es, dass er die Boulevardpresse in sein Privatleben hereingelassen habe, sagt er mit Blick auf die Paparazzi, die nach dem Tod seiner Frau vor seiner Haustür campierten. Er murmelt etwas von Erpressung.

Am Morgen nach der Filmpremiere sitzt er in einem stylishen Hotel in Berlin-Mitte, ein Hipster-Vollbart im Gesicht und ein Handy griffbereit für den Fall, dass seine Töchter anrufen. Er sagt, dass sie ihn jederzeit erreichen könnten, sei wichtiger als jedes Interview.

Kai Wiesinger lebt jetzt an der Spree, nicht allein. Zur Berlinale hat er jetzt öffentlich gemacht, was die Klatschpresse schon lange wusste: Ja, er und Bettina Zimmermann seien ein Paar. Er sagt, er hoffe, dass die Medien seine Privatsphäre jetzt respektieren. Es ist ein Satz, der auch von Christian Wulff stammen könnte. Jenem Mann, der sich jetzt auf einen Freispruch einrichten kann. Es scheint, als ginge der Albtraum langsam vorbei.

Bühne, Film und Fernsehen

Hannover: Kai Wiesinger, geboren 1966 in Hannover, nahm bereits als Schüler Schauspielunterricht und begann seine Karriere am Bayerischen Staatsschauspiel. 1992 hatte er sein Filmdebüt in Sönke Worthmanns „Kleine Haie“, es folgten unter anderem „Der bewegte Mann“ und „Stadtgespräch“. In „Comedian Harmonists“ verkörperte er den Pianisten Erwin Bootz. Für das Fernsehen spielte er unter anderem in „Dresden“ und „Die Gustloff“. Er erhielt mehrfach den Bayerischen Filmpreis.

TV-Termin:
„Der Rücktritt“ über den Skandal um Christian Wulff ist am 25. Februar um 20.15 Uhr auf Sat 1 zu sehen.