Ein Mann spricht eine Frau auf der Straße an und lädt sie zu einem Kaffee ein. Flirt oder Belästigung? Darüber diskutiert man in Ägypten, nachdem die Frau ein Video der Begegnung online gestellt hat.

Kairo - Eine Frau, die in Ägypten auf den Bus wartet, fühlt sich von einem Mann belästigt. Sie filmt ihn. Das Video postet sie bei Facebook und löst damit eine gesellschaftliche Debatte aus.

 

Die Filmsequenz zeigt, wie ein junger Mann in einem Vorort von Kairo auf die Frau hinter der Kamera zugeht und sie einlädt, mit ihm einen Kaffee in einem nahegelegenen Laden zu trinken. Sie lehnt höflich ab, er entschuldigt sich und geht weg.

Menna Gubran, die Ägypterin, die sich von dem Mann namens Mahmud Soliman bedrängt fühlte, schildert in einem anderen Video und in Fernsehinterviews den Vorfall aus ihrer Sicht: Demnach fuhr Soliman drei Mal mit seinem Auto an ihr vorbei, während sie an der Haltestelle wartete. Er habe Dinge gesagt, die ihr unangenehm gewesen seien. Zwischendurch sei sie in einen Supermarkt gegangen, in der Hoffnung, dass er verschwinde. Als sie wieder herausgekommen sei, sei er aus dem Auto ausgestiegen - das war der Moment, in dem Gubran ihr Smartphone zückte und zu filmen begann.

Soliman, der ebenfalls verschiedene Fernsehinterviews gab, beteuert hingegen, er habe nichts Unrechtes getan. Er bestreitet, die Frau mit dem Auto umkreist zu haben: „Ich habe sie nur auf einen Kaffee eingeladen, ich habe sie nicht belästigt. Als sie sagte, ich würde sie belästigen, habe ich mich entschuldigt und bin gegangen.“

Seit 2014 ist sexuelle Belästigung in Ägypten eine Straftat

Die Kommentare zu dem Video sind zwiespältig. Während sich die einen auf Gubrans Seite stellen, werfen die anderen ihr vor, sie habe überreagiert. „Der Mann hat sie sehr höflich und respektvoll angesprochen und sie redet von Belästigung“, schreibt ein Nutzer auf Twitter. Manche fragen, wie Gubran, die auf dem Video nicht zu sehen ist, gekleidet gewesen sei - und verweisen auf Fotos, die sie aus ihren Social-Media-Accounts gefischt haben. Wieder andere ziehen den Vorfall ins Lächerliche.

Die Reaktionen spiegeln eine Debatte wider, die nicht neu ist: Was ist sexuelle Belästigung? Und wer ist im Unrecht?

Für Maha Ahmed, Anwältin der ägyptischen Menschenrechtsorganisation ECRF, ist der Fall klar: „Das war Belästigung, die Privatsphäre des Mädchens wurde verletzt“, sagt sie. „Leider gibt es in Ägypten Missverständnisse hinsichtlich der Frage, was Belästigung ist, das ist der Grund für die Kontroverse.“

Seit 2014 ist in Ägypten ein Gesetz in Kraft, wonach sexuelle Belästigung als Straftatbestand mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden kann. Ein Schritt in die richtige Richtung, findet die Frauenrechtsaktivistin Mosn Hassan - allerdings mit Mängeln: Es sei nicht niedergeschrieben, welche Formen der sexuellen Belästigung es gibt. „Der Staat sollte eine eindeutige Definition liefern“, sagte Hassan der Tageszeitung „Al Schuruk“.

Je nach Kleidung seien Frauen bei Belästigung selbst schuld

Die Thomson Reuters Foundation hat Kairo nach einer Umfrage im vergangenen Jahr zur weltweit gefährlichsten Megastadt für Frauen erklärt. Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi stellte das Ergebnis in Frage, räumte aber im November vergangenen Jahres ein: „Es gibt sexuelle Belästigung in Ägypten. Es gibt einen großen Prozentsatz, aber das heißt nicht, dass es hier am schlimmsten ist.“

Eine andere Studie ergab: Fast 60 Prozent der ägyptischen Frauen wurden nach eigenen Angaben schon einmal sexuell belästigt, und 65 Prozent der ägyptischen Männer räumen ein, sich Frauen gegenüber nicht immer korrekt zu verhalten - die meisten davon sagen, sie hätten schon einmal eine Frau angestarrt. An der Umfrage der UN-Organisation UN Women und der Frauenrechtsorganisation Promundo im vergangenen Jahr nahmen 1380 Männer und 1402 Frauen teil.

Der überwiegende Teil davon - 74 Prozent der Männer und sogar 84 Prozent der Frauen - vertrat die Ansicht, Frauen, die sich „aufreizend“ kleiden, seien an entsprechenden Reaktionen selbst schuld. Jeder dritte Mann ist demnach der Meinung, dass die Frauen die Aufmerksamkeit genießen. Nur jede fünfte Frau sagte, das treffe auf sie zu.