Für die Knochen braucht der Körper Kalzium – das ist klar. Doch ebenso ist Vitamin D nötig, damit der Körper das Kalzium auch aufnehmen kann. Ein schwieriger Punkt, denn viele Menschen verfügen nicht über genügend Vitamin D.

Stuttgart - Rund acht Millionen Menschen in Deutschland schlucken regelmäßig Magensäureblocker gegen Sodbrennen. Dazu gehören rezeptfrei erhältliche Antazida sowie Protonenpumpeninhibitoren (PPI). Was kaum jemand weiß: „Die Langzeiteinnahme dieser Präparate, insbesondere der PPI, kann das Risiko für Osteoporose und damit das Knochenbruchrisiko signifikant erhöhen“, warnt Michael Amling, Direktor des Institutes für Osteologie und Biomechanik (IOBM) des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf.

 

Ohne Magensäure kann der Körper nämlich schlechter Kalzium aus der Nahrung aufnehmen. Die meisten Kalziumverbindungen sind Karbonatverbindungen. „Und um das Kalzium aus dieser Verbindung herauszulösen, ist Magensäure nötig“, erläutert Amling. Wer Magensäureblocker braucht, sollte deshalb zusätzlich magensäureunabhängig aufnehmbare Kalziumpräparate wie Kalziumglukonat und Kalziumzitrat verwenden. Doch die Einnahme darf man auch nicht übertreiben: Mehr als 1200 Milligramm Kalzium am Tag sollte man nicht zu sich nehmen, weil zu viel Kalzium dem Herzen schadet – und in diese Menge muss auch das Kalzium eingerechnet werden, das man über die Nahrung aufnimmt.

Magensäure ist jedoch nur einer von zwei Faktoren, die der Körper für die Knochengesundheit braucht. Der zweite Faktor ist das Vitamin D, das nötig ist, um Kalzium über den Darm aufzunehmen. Und Vitamin D-Mangel ist hierzulande verbreiteter als gedacht. Laut Erhebungen des Robert-Koch-Instituts in Berlin fehlt etwa 60 Prozent der Erwachsenen Vitamin D. In der Altersgruppe der 3- bis 17- Jährigen sind es 87 Prozent. Bei einer Studie von Frauen ab 40 Jahren, die zur Mammografie ins Klinikum rechts der Isar kamen, war das Ergebnis desaströs. „Etwa 96 Prozent der Frauen über 40 Jahren litten an einem Vitamin-D-Mangel“, sagt die dort arbeitende Osteoporosespezialistin Vanadin Seifert-Klauss.

Ohne Vitamin D altert der Knochen

Eine kürzlich im Wissenschaftsmagazin „Science Translational Medicine“ erschienene Studie kam zu dem Ergebnis, dass ein Mangel an Vitamin D nicht nur zu einer verringerten Knochenmasse führt, sondern auch Teile der Knochen altern lässt. Schon länger wundern sich Experten, dass bei Vitamin D-Mangel gehäuft Knochenbrüche auftreten, die nicht allein durch eine verringerte Knochenmasse erklärbar sind. „Bei so manchem Bruchpatienten war die Knochendichte noch nicht so kritisch verringert, dass deshalb ein Bruch zu erwarten gewesen wäre“, sagt Amling.

Der Bioingenieur Björn Busse hat nun eine Erklärung hierfür gefunden. Er untersuchte mit Kollegen am Lawrence Berkeley National Laboratory im kalifornischen Berkeley die Mikrostruktur des Knochengewebes. Das Team analysierte vor allem die Struktur der äußeren Knochenschale, auch als Knochenrinde bekannt, mit verschiedenen Methoden.

Normalerweise wird Knochen immer wieder von knochenabbauenden Zellen, den Osteoklasten, und knochenaufbauenden Zellen, den Osteoblasten, umgebaut und erneuert. Damit dieser Prozess ablaufen kann, muss eine mineralisierte Schicht die Knochenrinde überziehen. „Nimmt ein Mensch genug Kalzium auf und hat ausreichend Vitamin D, dann ist die Oberfläche der Knochenrinde durchgängig mineralisiert. Das ist wichtig, denn nur dann können sich die Osteoklasten anheften und den Umbauvorgang in der Knochenrinde starten“, erläutert Amling. Besteht nun aber ein Vitamin D-Mangel, mineralisiert ein Teil der Oberfläche nicht. Der unter diesen „nackten“ Stellen liegende Knochen wird folglich nicht umgebaut, sondern altert und lagert erhöhte Mengen Mineralien ein.

Womöglich lässt sich die Alterung rückgängig machen

Der Knochen wird beim Altern spröde, Haarrisse innerhalb der kleinsten Baueinheiten entstehen. „Im Vergleich zu gesundem Knochen ist der alte Knochen um bis zu einem Drittel weniger widerstandsfähig gegen Brüche“, sagt Busse. Knochendichtemessungen allein können deshalb das tatsächlich bestehende Bruchrisiko nicht immer korrekt angeben. „Sie sind nur sinnvoll, um quasi einen Trend zu möglichen Frakturen zu erkennen“, sagt Seifert-Klauss. Die Alterungsprozesse entstehen nicht von heute auf morgen. „Es ist anzunehmen, dass ein Mangel bereits mehrere Jahre besteht, bevor Alterungsprozesse festzustellen sind“, sagt Amling. Vieles deute darauf hin, dass es möglich ist, die Alterungsprozesse durch Vitamin D-Einnahme rückgängig zu machen.

Durch eine ausreichende Vitamin D-Versorgung – sei es durch Supplemente wie Tabletten von täglich 800 bis 1000 Einheiten Vitamin D, durch täglichen Konsum von Lachs oder anderen Vitamin D-reichen Nahrungsmittel – wären die Alterungsprozesse nach Aussage von Amling vermeidbar. Ebenso durch regelmäßige Aufenthalte im Freien. „Jeden Tag 30 Minuten im Sonnenschein reichen zumindest im Sommer oftmals für eine ausreichende Vitamin D-Produktion.“ Der Körper stellt mit der UV-Strahlung im Sonnenlicht eine Vorstufe des Vitamins in der Haut her. „Doch ab einem Lichtschutzfaktor von 15 wird kein Vitamin D mehr in der Haut gebildet“, warnt Amling. „Außerdem nimmt die Fähigkeit der Haut zu Bildung der Vitamin-D-Vorstufe mit dem Alter ab.“ Auch viele Tagescremes blockieren das UV-Licht.

Wer zusätzlich Vitamin D in Mengen zwischen 1000 und 4000 Einheiten täglich einnimmt, muss Amling zufolge keine Angst vor Nebenwirkungen haben. Die Niere, die zusammen mit der Leber aus der eingenommenen Vorstufe erst das biologisch aktive Vitamin D produziert, hat einen eingebauten Kontrollmechanismus. Es wird normalerweise nur so viel Vitamin D verstoffwechselt, wie der Körper auch benötigt. Allerdings gibt es einige Erkrankungen, bei denen diese Kontrolle scheitert. Deshalb ist es ratsam, die Vitamin D-Einnahme vorab mit dem Arzt zu besprechen.

Vitamin D ist nicht nur für den Knochenaufbau und den Erhalt der Knochenmasse wichtig, sondern auch für das Immunsystem, die Nervenzellen, die Muskelfunktion, und es spielt eine Rolle bei Krebserkrankungen sowie Typ 2-Diabetes.

Mit Medikamenten gegen zu wenig Knochenmasse

Studie
Laut der Bone Evaluation Study (BEST) litten in Deutschland im Jahr 2009 6,3 Millionen Menschen an Osteoporose. Die meisten Patienten sind über 60 Jahre. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Das traurige Ergebnis von BEST: Nur die Hälfte der Patienten mit Osteoporose-bedingtem Knochenbruch wird medikamentös richtig therapiert.

Medikamente
Bisphosphonate, SERMs (selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren), Teriparatid und Strontiumranelat sind seit vielen Jahren im Einsatz. Die Medikamente hemmen den Knochenabbau, fördern den Knochenanbau oder auch beides. Doch nicht jeder Patient verträgt sie gut: Etwa 50 Prozent der Patienten, die Bisphosphonate einnehmen, beenden wegen Magen-Darm-Problemen nach einem Jahr die Therapie.

Alternativen
Östrogen kann vor allem bei schlanken, jungen Frauen das Frakturrisiko senken, sagen Experten. Seit 2010 gibt es für Frauen nach den Wechseljahren und Männer mit Testosteronmangel nach einer Prostatakrebs-Operation eine Alternative: ein Antikörper namens Denosumab. Er ist einem körpereigenen Schutzmolekül für die Knochen nachempfunden und hat nach derzeitigem Kenntnisstand kaum Nebenwirkungen. Das Medikament wird alle sechs Monate unter die Oberarmhaut gespritzt.