Fünf Kammern im Südwesten wählen neue Vollversammlungen. Dabei gibt es deutlich mehr Bewerber als Sitze. Auch bei der IHK Stuttgart stehen Wahlen an.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - D as ist ein Novum“, sagt Herbert Müller. „Es gibt diesmal deutlich mehr Kandidaten als Plätze.“ Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Stuttgart findet denn auch die Wahl zur Vollversammlung zwischen dem fünften und dem 20. September „spannender, als sie früher war“. Bei fünf der zwölf Kammern in Baden-Württemberg werden in diesem Herbst die Vollversammlungen neu gewählt, im Frühjahr folgen dann Ulm und die IHK Bodensee-Oberschwaben in Weingarten. Das Bild ist überall ähnlich: Es gibt mehr Bewerber als Plätze. Besonders gilt dies für Stuttgart, doch das gesamte Kammerwesen im Südwesten steht vor einem Herbst der Kampfkandidaturen.

 

Auch Müller muss sich gegen zahlreiche Wettbewerber durchsetzen, will er wieder in die neue Vollversammlung einrücken – eine Voraussetzung dafür, dass er auch wieder als Präsident der wichtigsten Kammer im Südwesten gewählt werden kann. Gewählt wird nach einem komplizierten Verfahren, das die Stärke verschiedener Berufsgruppen ebenso berücksichtigen muss wie die regionale Ausgewogenheit, haben doch auch die Bezirkskammern rund um Stuttgart Anspruch auf einen Sitz in der Vollversammlung. Zudem kann die Vollversammlung weitere Mitglieder kooptieren, etwa dann, wenn sich ein Manager eines wichtigen Großbetriebes nicht in der Wahl durchsetzen kann. Auch die wirtschaftliche Gewichtung der Branchen ist zu berücksichtigen. Eine Kammer, die nur aus freien Handelsvertretern bestünde, wäre nicht repräsentativ für die Wirtschaft der Region.

21 Kandidaten für neun Sitze

Müller muss als besonders bestellter Bevollmächtigter bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young berufsbedingt in der Gruppe „sonstige Dienstleistungen“ antreten. Diese wird von vielen zwar weit weniger ernst genommen als etwa die Gruppe „produzierendes Gewerbe“ mit Firmenschwergewichten wie Daimler, Bosch oder Porsche. Verlockend erscheint eine Kandidatur in diesem Sammelsurium von Berufen aber offenbar dennoch: Für die neun Sitze im Wahlbezirk Stuttgart haben sich nicht weniger als 21 Kandidaten beworben – auf Platz 13 der alphabetischen Rangliste steht Müller. „Ich bin optimistisch, dass ich durchkomme“, meint der amtierende Kammerpräsident. Zugleich räumt er aber ein, dass es Unwägbarkeiten gibt: „Sagt einer, ich mache meine Kreuzchen von oben runter, werde ich nicht gewählt.“

Ein Ausscheiden Müllers ist zwar kaum denkbar, es gibt aber eine ganze Reihe von Unwägbarkeiten. So etwa eine geringe Wahlbeteiligung, die besonders eifrigen Gruppierungen nützen könnte. Die Beteiligung an den Wahlen ist schon deswegen nicht hoch, weil viele kleine Firmen kein Interesse daran haben und auch nicht alle der rund 160 000 Unternehmen eine ganze Wahlperiode lang bestehen. Dazu kommt: jedes Unternehmen, also etwa jede Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), hat eine Stimme. Doch noch lange nicht jeder, der verschiedene GmbHs hat, nutzt dies aus – so mancher meint offenbar, er dürfte nur einmal, also für seine Person, abstimmen.

Wird Müller wieder in die Vollversammlung gewählt, ist er im sicheren Hafen. Dass er dann auch wieder als IHK-Präsident gekürt wird, ist nur noch Formsache. Das größere Interesse an den Wahlen indes freut ihn, auch wenn er in einer schwierigen Gruppe antreten muss. Vielen sei eben erst durch die jüngsten Auseinandersetzungen – etwa über das Bahnprojekt Stuttgart 21 – klar geworden, dass es sich lohne zu kandidieren. Auch Kammergegner, so weiß Müller, seien wohl mit von der Partie. Ihren Wahlkampf, so es denn einen geben sollte, haben sie zwar noch nicht eingeläutet, aber nach Meinung Müllers sind sie „nicht gegen die Kammern, sondern nur gegen die Zwangsmitgliedschaft“.

Andreas Richter jedenfalls, der Hauptgeschäftsführer in Stuttgart, fühlt sich schon mal gefordert zu sagen, dass, wer auch immer gewählt werde, „sich nach Recht und Gesetz“ verhalten müsse. Fragt man Kammergranden , ob nicht der eine oder andere vor allem aus persönlicher Eitelkeit und zwecks Eigenwerbung kandidiere, so winden sie sich naturgemäß etwas, räumen aber ein, auch so etwas könne geschehen. Richter, um deutliche Worte selten verlegen, meint, des Öfteren handele es sich bei den Bewerbern keineswegs um richtige Unternehmen, sondern eher um „Bürger mit Gewerbeschein.“ So mancher käme auch aus dem esoterischen Bereich – „Handauflegen, Steine besprechen“ (Richter) –, was natürlich nicht per se verwerflich sei, sagt Richter über solche Kandidaten. Diese dürften aber gegen Müller keine Chance haben.

Kampf der alten Herren in Heilbronn

Einen neuen Präsidenten wird es dagegen in Heilbronn geben. Der 70 Jahre alte Thomas Philippiak wäre wohl gerne nochmals angetreten, sein Amt hat ihm zu einer tiefen Zufriedenheit mit sich und der Welt verholfen – auch weil er damit in die Fußstapfen seines früheren Schwiegervaters treten konnte. Doch die IHK-Satzung hat zur Folge, dass er sich nun eher seinen Oldtimern widmen muss. Und obwohl sich Philippiak nach allem, was man hört, eher mit angezogener Bremse um die Suche nach Nachfolgern gekümmert hat, gibt es für die Präsidentschaft der IHK Heilbronn gleich zwei ernst zu nehmende Kandidaten. Der eine ist Manfred Wittenstein, geschäftsführender Gesellschafter der Wittenstein AG in Igersheim bei Bad Mergentheim, bisher einer der Vizepräsidenten von Philippiak und früher auch Präsident des Maschinenbauverbands VDMA. Als Kontrahent tritt wohl Harald Unkelbach an, bei der Künzelsauer Würth-Gruppe früher operativ und heute im Bereich der Stiftungen tätig. Wittenstein wäre mit 70 Jahren ebenso alt wie sein Vorgänger Philippiak, Unkelbach hat 65 Lenze auf dem Buckel.

Während es in Heilbronn zu einem Kampf der alten Herren kommen dürfte, hat der öffentlichkeitsbewusste Peter Kulitz in Ulm ganz andere Pläne. Auch ihm verbietet die Kammersatzung eine weitere Amtsperiode. Kulitz übt sein Amt ebenfalls recht gerne aus, hat sich aber dennoch auf die Suche nach Nachfolgern begeben. Zwar gibt es für die Ulmer Vollversammlung ebenfalls mehr Kandidaten als Plätze, aber keiner der drei Vizepräsidenten hat offenbar so richtig Lust, in Kulitz’ Fußstapfen zu treten. Und aus diesem Grund wird an der Donau auch schon eifrig an einer Satzungsänderung gefeilt, durch die der bisherige Präsident weiter an der Spitze der Kammer stehen könnte. Die Lösung könnte so aussehen: Wenn der Ulmer Präsident ein landesweites Ehrenamt innehat, so wie Kulitz als Präsident des Baden- Württembergischen IHK-Tags, darf er länger amtieren – zum Nutzen auch für die Heimatregion.

Würde jede Kammer Anspruch auf das Präsidentenamt im Südwesten erheben, so wäre Ulm erst in 44 Jahren wieder an der Reihe, sorgt sich Kulitz. Und da scheint es ihm doch besser, an der Donau noch ein Weilchen weitermachen zu dürfen – dann kann er nämlich im November auch nochmals als baden-württembergischer IHK-Präsident antreten.