Im Wahlkreis Stuttgart II trifft SPD-Kandidat Michael Jantzer auf eine Abgeordnete, die seit acht Jahren im Bundestag sitzt. Der „Boschler“ muss aufholen und setzt auf Bildung und Innovationen.

Stuttgart - r begegnet sich wieder mal selbst. Als Michael Jantzer in Wangen um die Ecke biegt, schaut er sich in die Augen. Die Mainzelmännchen der SPD waren fleißig, am Marktplatz hängen etliche Plakate mit Jantzers Konterfei. Nun kommt das Original. Jantzer schafft beim Bosch, ist seit 35 Jahren in der SPD, hielt den Laden etwa als Kreisvorstand am Laufen, drängelte sich des Berufes und der Familie wegen nie in die erste Reihe. Nun ist er mit 58 Jahren auf der „Zielgeraden der beruflichen Karriere“, die beiden Töchter erwachsen. Jetzt fühlt er sich gerüstet für den Bundestag.

 

Und wie ist das ganz vorne im Wind, wenn man sich dauernd selbst begegnet? „Am Anfang ist es komisch, wenn man die eigenen Plakate sieht“, sagt er. Im März war er in Berlin. Da haben sie alle Kandidaten abgelichtet. Anderthalb Stunden war Zeit. „Was für ein Aufwand“ , dachte er zunächst. Mittlerweile schätzt er die Arbeit der Profis, „ich komme doch ganz gut rüber“, sagt er und lacht. Jantzer leitet die zentrale Entwicklung beim Bosch, das Internet ist kein Neuland für ihn, er bedient Twitter, Facebook und Co., aber er braucht auch den Wahlkampf nach alter Väter Sitte.

Jantzer muss viel Boden gut machen

Knapp 17 Prozent lag die SPD im Wahlkreis hinter der CDU. Er muss sich bekannt machen. Die Zeit ist knapp: Kaum sind die Ferien rum, wird gewählt. Also steht er an Haltestellen, schüttelt Hände, verteilt Prospekte, zeigt sich selbst und sein Gesicht. Heute putzt er Klinken in Wangen. Es öffnen ihre Türen: die alte Frau mit dem Teppichklopfer als Krücke; die Nachbarin, beinahe taub; der barbusige Kroate, dessen imposante Goldkette in einem noch imposanteren Brustpelz versinkt, der Italiener, der „Schulz kennt, weil der Berlusconi eine mitgegeben hat“; der Rentner, der sagt, man könne nicht die Überbevölkerung Afrikas hier lösen“; eine Frau, von drinnen brüllt der Gatte: „Sag Ade!“; das Großmaul, das bellt: „Wir beten den Teufel an, nicht die SPD!“

Warum tut Jantzer sich das an? Die Antwort gibt er einer Frau Anfang 50, die schimpft: „Um Arme kümmert sich keiner.“ Jantzer: „Wir sollten alle das gleiche Recht haben, ob wir arm sind oder Geld haben. Deshalb mache ich das seit 35 Jahren. Aber ich weiß, dass wir das noch nicht erreicht haben.“ In seinem Studium in Atlanta stellte er fest: „In so einer ungerechten Gesellschaft möchte ich nicht leben.“ Also ging er zur SPD. Man merkt ihm an, dass es ihn mitnimmt, wenn eine Frau nach 50 Jahren Arbeit als Pflegerin vor ihm steht und erzählt, dass sie nach einer Sanierung ihrer Wohnung die höhere Miete nicht mehr zahlen kann. „Das zerreißt unsere Gesellschaft, das dürfen wir nicht zulassen.“ Als Bezirksbeirat kennt er solche Geschichten, wir müssen mehr ausgeben für „Wohnungen, Nahverkehr, Dinge, die wir alle brauchen“. Mehr Gerechtigkeit also.

Redet da ein Linker? Oder ein SPDler?

Aber das wollen doch alle, oder nicht? Es soll mehr Wohnungen geben, die Mieten sollen sinken, der Wohlstand steigen, der Verkehr weniger zum Himmel stinken, mehr Polizisten braucht man. Lauscht man solchen Diskussionen und schließt die Augen, lässt sich schwer sagen: Redet da der Linke? Oder der Sozialdemokrat? Vielleicht die Frau von den Grünen? Oder die von der Union? Gar der Mann von der AfD? Was sich nicht auf einen Satz verdichten lässt, wird nicht gehört. Das ist kein Vorteil für den, der aufholen muss. Da geht es ihm wie Martin Schulz. „Rückenwind aus dem Bund“ braucht er, will er gewinnen. Doch welches Thema zieht? Seines ist die Industriepolitik. „Wir dürfen die Grundlage unseres Wohlstandes nicht verlieren.“ Klar, um den Diesel geht es. Für einige seiner Wähler ein Stinker, andere nährt er. Man müsse endlich Zielwerte für Abgasemissionen vorgeben, verbindlich. Eine Frist setzen. Erfüllt ein Auto die Vorgaben, darf es fahren. Ansonsten nicht. Kein Betrug mehr. „Das regt Innovationen an, und die Automobilindustrie bleibt wettbewerbsfähig.“

Innovationen, davon reden auch alle. Doch wenige haben damit in ihrem Beruf zu tun. Jantzer reist um die Welt, sucht Ideen, die sich umsetzen und vermarkten lassen. So wie der Geistesblitz junger Spanier, die ESP-Sensoren aus Autos nahmen, damit den Druck in den Blättern von Olivenbäumen messen und so über eine App die Bewässerung steuern. Das spart ziemlich viel Wasser. „Wir haben das Potenzial, auch hier weiter erfolgreich zu sein“, sagt er, „die Leute sind fleißig und findig.“ Bildung sei der Schlüssel, nicht nur Schule und Uni, auch die Kita soll kostenlos sein. Man könne sich nicht immer mit „‚Weiter so‘ durchwursteln“, sagt er: „Wir müssen uns der Zukunft stellen, entscheiden, was wir wollen und wie wir es erreichen.“ Dafür macht er Wahlkampf – und begegnet sich immer wieder selbst.