Die Mafia-Organisation ist heute die gefährlichste der Welt. Die italienischen Ermittler sind ihr auf den Fersen. Doch die Mafia könnte nicht existieren ohne Beziehungen zu den Mächtigen.

Rom - „Die einzigen, die in Europa wirklich integriert sind, das sind die Mafias“. Das sagt der italienische Staatsanwalt und Mafia-Experte Nicola Gratteri. Die ’Ndrangheta operiere heute durchaus nicht mehr nur in Italien. „Die ’Ndrangheta ist eine internationale und global operierende Organisation. Sie ist die einzige Mafia-Organisation, die auf allen Kontinenten der Erde präsent ist.“

 

In Europa ist die ’Ndrangheta heute tief verwurzelt, hat stabile lokale Strukturen in allen europäischen Staaten. Vor allem in Osteuropa hat sich die Organisation in den vergangenen Jahren ausgebreitet, aber auch in Deutschland wird sie immer präsenter.

In etwa 160 so genannten Clans sollen rund 6000 Mitglieder aktiv sein

Die Mafia-Organisation mit dem für viele unaussprechlichen Namen ist heute die mächtigste der Welt, bestätigt auch Antonio Nicaso, Experte für organisierte Kriminalität und Dozent an der Queen’s University im kanadischen Kingston. Der weltweite Umsatz der Organisation liegt Schätzungen zufolge zwischen 50 und 100 Milliarden Euro, in etwa 160 so genannten Clans sollen rund 6000 Mitglieder aktiv sein.

Ihre Ursprünge hat die ’Ndrangheta Mitte des 19. Jahrhunderts in der süditalienischen Region Kalabrien. Sie dominiert vor allem den internationalen Drogenhandel, wobei die Mafiosi den Stoff nicht selbst auf der Straße verkaufen. „Die ’Ndrangheta kauft das Kokain zentral in Südamerika ein und verkauft es weiter an andere Organisationen, die nigerianische oder die albanische Mafia“, sagt Nicaso. Aber das ist lange nicht das einzige Feld, auf dem die ’Ndrangheta aktiv ist.

Auch im Müllsektor ist die ’Ndrangheta aktiv

„Nicht nur der Drogenhandel, beispielsweise auch der Müllsektor, die Landwirtschaft und zunehmend auch der Wirtschaftszweig erneuerbare Energien sind sehr interessant für diese Mafia“, sagt Nicaso. Vor allem in Osteuropa hätte es die Organisation in diesen Bereichen auch auf europäische Fördergelder abgesehen. In Sachen Geldwäsche hat die Organisation in den vergangenen Jahren einen großen Schritt gemacht. „Mit ihrem Geld kauft die ’Ndrangheta alles, was zum Verkauf angeboten wird – Hotels oder Restaurants zum Beispiel. Und das ist ja kein sichtbares Verbrechen“, sagt Gratteri.

Nur neun Prozent des Drogengeldes, das in Südamerika erwirtschaftet wird, bleibt in den Ländern Südamerikas. Die ’Ndrangheta investiert weltweit und bringt ihr Geld in den Umlauf. „Und „Gutes Geld“ – das wird weltweit von allen gerne genommen“, erklärt Staatsanwalt Gratteri.

Das Geld aus dem Kokainhandel wird in vielen Bereichen investiert und damit quasi legalisiert, auch in Deutschland. „Dort wächst die Präsenz der Mafia seit Jahren, weil es kein Bewusstsein für ihre Gegenwart gibt“, kritisiert der italienische Staatsanwalt. Erst die spektakulären Mafia-Morde von Duisburg, bei denen 2007 sechs Menschen vor einer Pizzeria erschossen wurden, hätten die Behörden etwas aufgerüttelt. Spätestens seit den Festnahmen Anfang dieses Jahres weiß man auch in Baden-Württemberg: Das Netz ist weit gesponnen.

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Behörden hat sich verbessert

Auch wenn die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Behörden sich anscheinend verbessert hat, müssten die Gesetzgebungen der einzelnen Länder noch genauer aufeinander abgestimmt werden, fordert Gratteri. „Das System braucht mehr Organisation.“ Im Vergleich zu Italien seien die anderen Staaten was die Anti-Mafia-Gesetzgebung angeht, quasi noch bei Null. „In Spanien braucht es 20 Tage, um die Genehmigung zu bekommen, ein Telefon abzuhören. In Italien dauert das 15 Minuten“, sagt der Staatsanwalt.

„Die Anfragen an die Kollegen in anderen Ländern dauern ewig: Aber wenn ich in einer Ermittlung stecke, brauche ich sofort Antworten.“ Schwierigkeiten gebe es auch immer wieder, wenn es um Konfiszierungen im Ausland gehe. Statt Steuerparadiesen für Kriminelle gebe es heute Gesetzesparadiese. Im Gegensatz zu den Behörden sind die Mafias aber nahezu perfekt global vernetzt.

Der Kampf gegen Terrorismus verdrängt den Kampf gegen die Mafia

Laut dem Kriminalitäts-Experten Nicaso besteht ein Problem auch darin, dass man sich in Europa mit aller Kraft dem Kampf gegen den Terrorismus widmet und so kaum Ressourcen für den Kampf gegen die Mafia bereitstünden. Anders als der internationale Terrorismus sind die Umtriebe der Mafia in der öffentlichen Wahrnehmung aber nicht präsent. „Der Terrorismus braucht die Bühne, die Medien, um den Terror noch zu verstärken“, sagt Nicaso. Die Mafia arbeitet im Verborgenen.

Das aber führe zum wichtigsten Punkt: Die Mafias können nicht existieren ohne ihre Beziehungen zu den Mächtigen. Um die Komplexität der organisierten Kriminalität zu erklären, greift Nicaso auf einen Vergleich mit der chemischen Formel für Wasser zurück: „Die zwei Atome Wasserstoff, das ist die Gewalt, die die Mafia mitunter an den Tag legt. Aber das Atom Sauerstoff, das für das Wasser essenziell ist, steht für die Verbindung mit den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft.“