Christian Lange (SPD), Staatssekretär im Bundesjustizministerium, kritisiert den Umgang der Landesregierung mit dem Missbrauchsfall von Staufen. Die angekündigte Aufarbeitung reiche nicht aus – und notfalls brauche man einen Untersuchungsausschuss.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Im Kampf gegen Kinderpornografie fordern Ermittler mehr Möglichkeiten. Diese rechtsstaatlich zu verankern, ist nicht einfach, erklärt der Justizpolitiker Christian Lange (SPD).

 

Herr Lange, im Missbrauchsfall von Staufen haben Behörden und Justiz ein desaströses Bild abgegeben. Was kann die Justiz dafür tun, dass so etwas nicht noch einmal geschieht?

Meine allererste Erwartung ist es, dass vor der eigenen Haustüre gekehrt wird. Das bedeutet, dass das skandalöse Versagen der Behörden auf kommunaler und auf Landesebene in Baden Württemberg aufgearbeitet wird.

Es gibt eine Arbeitsgruppe....

Eine interministerielle Arbeitsgruppe trägt nur bedingt zur Aufklärung bei. Es braucht Expertise von außen. Daher ist es gut, dass sich die SPD im Land vorbehält, einen Untersuchungsausschuss zu fordern.

Die Aufklärung vor Ort ist das eine, die Diskussion um die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung das andere. Die Tatsache, dass diese derzeit ausgesetzt ist, hat laut dem Bundeskriminalamt dazu geführt, dass allein im vergangenen Jahr 8400 mutmaßliche Kinderporno-Fälle nicht verfolgt werden konnten.

So schrecklich der Missbrauchsfall von Staufen auch ist, ich wehre mich dagegen, dass immer wieder reflexartig nach Rechtsverschärfungen gerufen wird. Die Speicherverpflichtung des geltenden Rechts wurde durch die Verwaltungsgerichte ausgesetzt, weil sie nach deren Auffassung gegen Europarecht verstößt. Die letztinstanzliche Klärung dieser Frage muss jetzt einfach abgewartet werden. Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung liegt zudem derzeit beim Bundesverfassungsgericht. Es ist nicht auszuschließen, dass die Verwaltungsgerichte oder auch Karlsruhe die Entscheidung dem EuGH vorlegen.

Sie stehen hinter dem Gesetz?

Ich glaube, dass wir mit unserem Vorschlag für eine zeitlich begrenzte Datenspeicherung eine europaweit beachtete grundrechtschonende und zugleich praktikable Regelung geschaffen haben. Wie das die Gerichte sehen werden, wissen wir nicht.

Ermittler wünschen sich eine Erweiterung ihrer Aufklärungskompetenzen wie etwa die Möglichkeit, computergeneriertes Kinderpornografie-Material einsetzen zu dürfen, um sich damit Zutritt zum Darknet zu verschaffen. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?

Das ist eine rechtspolitische Diskussion, der wir uns stellen müssen. Es gibt einen Auftrag der Justizministerkonferenz an uns zu prüfen, inwieweit das mit deutschem und europäischem Recht vereinbar ist. Diese Prüfung dauert noch an.

Welche Probleme gibt es dabei?

Die Schwierigkeit liegt darin, dass wir nicht gegen unsere eigenen Gesetze verstoßen dürfen. Das Herstellen und Verbreiten von Kinderpornografie haben wir bewusst unter Strafe gestellt. Die Gründe dafür entfallen nicht einfach, wenn verdeckte Ermittler diese Handlungen begehen. Wir haben auch das europäische Recht zu beachten und die so genannte Lanzarote-Konvention, ein Übereinkommen des Europarates zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung. Gegen all diese Normen dürfen wir natürlich nicht selbst verstoßen. Und dann gibt es die Grundsatzfrage, in wieweit strafbares Handeln für verdeckte Ermittler legalisiert werden darf oder nicht.

Das klingt, als seien Lockvogelangebote gar nicht möglich?

Wir haben die effektive Strafverfolgung fest im Auge und wollen alles tun, um diese zu ermöglichen. Aber die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Und wir müssen beachten, dass auch die einschlägigen Kreise genau beobachten, was wir tun. Wenn sich herumspricht, dass die Polizei selbst Material am Computer generiert, um Eintritt zu solchen Foren zu bekommen, dann wird es künftig noch schwieriger dort Zugang zu erhalten, weil dort die Eintrittsschwelle womöglich erhöht wird. Das muss man auch bedenken.

Wie könnten die Ermittler sonst ins Darknet hineinleuchten?

Wir haben über die Probleme gesprochen, aber es wäre falsch, daraus zu schließen, dass man machtlos wäre oder den Ermittlern nicht die bestmöglichen Mittel an die Hand geben will. Ermittlungen im Darknet sind bereits heute möglich und werden auch durchgeführt, ohne dass dabei Straftaten begangen werden. Wenn Gesetze geändert werden, müssen die Änderungen mit der Verfassung in Einklang stehen und Bestand haben. Wenn wir Maximalforderungen stellen, ist damit nichts gewonnen. Sonst geht es uns wie schon einmal mit der Vorratsdatenspeicherung. Wir machen ein Gesetz, und die Gerichte kassieren es.

Frau Barley möchte die Kinderrechte im Grundgesetz verankern.

Ja, die SPD hat sich dafür schon sehr lange eingesetzt. Gut, dass wir dieses Thema im Koalitionsvertrag durchgesetzt haben.

Wird das etwas bringen?

Unbedingt. Wir weisen damit noch einmal auf die besondere Verletzlichkeit von Kindern hin und auf die besondere Fürsorge, die ihnen gegenüber erbracht werden muss. Das Kindeswohl muss im Mittelpunkt stehen. Wenn das auch ausdrücklich im Grundgesetz steht, dann wird das das Handeln von Behörden und Gerichten positiv beeinflussen.

Sollen auch die Familiengerichte stärker in die Pflicht genommen werden?

Das Bundesjustizministerium befürwortet schon seit langem mehr Fortbildungen für Richterinnen und Richter, insbesondere an Familiengerichten. Sämtliche Richtergesetze der Länder bestimmen bereits eine Verpflichtung, sich regelmäßig fortzubilden. Wir prüfen derzeit, wie wir die Vereinbarung im Koalitionsvertrag zur Schaffung von verbindlichen Fortbildungsregelungen in Abstimmung mit den Ländern umsetzen können. Dabei liegt der Fokus nicht allein auf gesetzgeberischen Maßnahmen, sondern eher auf praktischen Erwägungen, wie etwa die Entwicklung eines strukturierten Fortbildungskonzepts. Bei den Gutachtern haben wir eingeführt, dass nur die mit familienrechtlicher Qualifikation eingesetzt werden dürfen.

Verträgt sich eine Fortbildungspflicht mit der richterlichen Unabhängigkeit?

Ich denke, eine gesetzliche Pflicht ist möglich, zumal wir den Inhalt der Fortbildung ja nicht beeinflussen.