Die EU wurde in den vergangenen Monaten von mehreren Anschlägen erschüttert. Häufig verbreiten Terroristen ihre Propaganda im Netz - und rekrutieren so Nachwuchs. Künftig werden Dienste wie Facebook deshalb zu schnellem Handeln verpflichtet.

Brüssel - Terrorpropaganda im Internet muss in der EU künftig binnen einer Stunde gelöscht werden. Diese Frist für Dienste wie Facebook oder Youtube soll gelten, nachdem die zuständige Stelle eines EU-Staats zum Löschen aufgefordert hat. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson begrüßte die vorläufige Einigung von EU-Staaten und Europaparlament vom Donnerstag: „Terroristen benutzen Videos - und in manchen Fällen sogar Livestreams - ihrer Anschläge als Rekrutierungswerkzeug.“ Terrorpropaganda schnell zu unterbinden sei ein Schlüsselelement gegen Radikalisierung.

 

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte: „Die Verbreitung von Terror wird nicht von der Meinungsfreiheit geschützt, und das Internet ist kein rechtsfreier Raum.“ Nun sorge man dafür, dass kein Internet-Unternehmen sich seiner Verantwortung entziehen könne.

Linke sehen grenzüberschreitende Wirkung „mit großer Sorge“

Die neuen Regeln, die formell noch von beiden Seiten bestätigt werden müssen, sehen für systematische Verstöße Strafen von bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes vor. Die Anordnung zum Löschen soll auch aus einem anderen EU-Land kommen können als dem, in dem die jeweilige Seite ihren Sitz hat.

Der Piraten-Europaabgeordnete Patrick Breyer befürchtet deshalb, dass die „Meinungsfreiheit nach unten harmonisiert“ werden könnte. „Dass (der ungarische Ministerpräsident) Viktor Orban künftig in Deutschland direkt Internetseiten löschen lassen kann, öffnet politisch motivierter Internetzensur Tür und Tor.“ Immerhin könne im Land der Veröffentlichung gegen ausländische Anordnungen geklagt werden. Auch die Linken-Abgeordnete Cornelia Ernst sieht die grenzüberschreitende Wirkung „mit großer Sorge“. Sie erwarte deshalb „katastrophale Auswirkungen“.

Vorschlag der EU-Kommission von 2018

Für kleinere und nicht-kommerzielle Anbieter sind Ausnahmen von der Ein-Stunden-Regel vorgesehen. Dies sei ein „wichtiger Teilerfolg“, sagte Breyer. Er begrüßte zudem, dass auch journalistische oder künstlerische Inhalte ausdrücklich von den Regeln ausgenommen und Uploadfilter, die aus Sicht von Kritikern fehleranfällig sind und mitunter zu viel blockieren, für die Seiten nicht verpflichtend werden.

Die Einigung beruht auf einem Vorschlag der EU-Kommission von 2018. Eine Stunde sei „das entscheidende Zeitfenster, während dessen Öffnung größter Schaden angerichtet werden kann“, sagte der ehemalige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker damals. Nach den jüngsten Anschlägen in Wien, Dresden, Nizza und bei Paris hatten Kanzlerin Angela Merkel und andere Spitzenpolitiker darauf gedrungen, dass die Verhandlungen zwischen Parlament und EU-Staaten schnell abgeschlossen werden.

Firmen wie Facebook oder Googles Videoplattform Youtube betonen stets, dass sie Terrorinhalte inzwischen in vielen Fällen binnen weniger Minuten löschen - noch bevor irgendjemand sie sieht.

Verbreitung terroristischer Inhalte „wie ein Waldbrand“

Der Terrorexperte Nicolas Stockhammer von der Universität Wien geht dennoch davon aus, dass die neuen Regeln bei Seiten wie Facebook und Youtube die größte Wirkung erzielen. „Da sehe ich einen unmittelbaren Effekt“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Regeln verhinderten am ehesten den Erstkontakt mit Terrorpropaganda.

Allerdings sei im rechtsextremen oder dschihadistischen Spektrum zu beobachten, dass die Plattformen schnell gewechselt würden. Neben Seiten wie Facebook gebe es viele Möglichkeiten, in Kontakt mit potenziellem Nachwuchs zu treten - etwa Videoplattformen, verschlüsselte Messenger-Dienste und auch das Darknet.

Die Ein-Stunden-Pflicht hält Stockhammer für hilfreich. Vielfach würden die Inhalte nach dem Upload heruntergeladen und dann auf anderen Plattformen weiterverbreitet. Deshalb sei es wichtig, schnell zu handeln. Die Verbreitung terroristischer Inhalte sei „wie ein Waldbrand“. Die nun vorgesehenen Regeln könnten dazu beitragen, die Ausbreitung zu verhindern. Man solle sich jedoch nicht der Illusion hingeben, dass sie die Antwort auf alle Probleme seien.