Die Konkurrenz auf der Straße jagt dem Schienenriesen viel mehr Kunden ab als bisher bekannt. Nun will der Staatskonzern die eigene Billigflotte ausbauen. Bisher schrumpft der Marktanteil der Bahn-Busse.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Die Deutsche Bahn (DB) befürchtet viel höhere Umsatzverluste bei ihren Fernzügen durch konkurrierende Fernbusse als bisher zugegeben. Bis zum Jahr 2020 kalkuliert der Staatskonzern mit Erlöseinbußen von 300 bis 350 Millionen Euro pro Jahr. Das Risiko sei in der neuen Mittelfristplanung bereits enthalten, heißt es in vertraulichen Unterlagen der DB Fernverkehr, die der Stuttgarter Zeitung vorliegen.

 

Als die Bundesregierung den Fernbus-Markt liberalisierte und Anfang 2013 die ersten Anbieter starteten, hatten die meisten Politiker, Experten und Manager noch bestritten, dass der Schienenverkehr unter der neuen Konkurrenz auf der Straße leiden könnte. Tatsächlich aber machen die Fernbusse der DB nun massiv zu schaffen, wie eine interne Untersuchung des Konzerns jetzt erstmals schwarz auf weiß belegt.

Jeder zweite Fernbus-Kunde hätte ein Bahn-Ticket gekauft

Das Ergebnis des Forsa-Kundenmonitors ist eindeutig: Jeder zweite befragte Fernbus-Reisende, der zwischen Januar und August unterwegs war, hätte ein Bahnticket gekauft, wenn es die neuen öffentlichen Verkehrsangebote auf der Straße nicht geben würde. Nur 23 Prozent wären mit dem Auto gereist, knapp 14 Prozent per Mitfahrgelegenheit und rund sieben Prozent mit dem Flugzeug. Gerade einmal jeder Zwanzigste hätte ohne Fernbus auf die Reise verzichtet. Die Fernbusse bekommen also die mit Abstand meisten Kunden von der Schiene.

Wie die internen Papiere der DB-Spitze auch zeigen, ist die sogenannte „Kannibalisierungsquote“ bis August im Vergleich zum ersten Quartal sogar noch um 2,4 Prozentpunkte gestiegen. Auch die Detailbetrachtung ist aufschlussreich: Fast 39 Prozent der Fernbus-Kunden verzichteten in den ersten acht Monaten auf den Kauf einer Fahrkarte für die ICE-, IC- und EC-Züge im Fernverkehr. Weitere zwölf Prozent zogen den Fernbus einem Regionalzug vor, auch der von den Bundesländern bestellte Nahverkehr bis 50 Kilometer leidet also unter den Fernbussen. Im Schnitt gehe der DB pro Kunde ein Nettoumsatz von 35 Euro im Fernverkehr und von 23 Euro im Regionalverkehr verloren, heißt es.

Siegeszug der Fernbusse könnte noch eine Weile anhalten

Die Bahnspitze erwartet, dass sich der Siegeszug der Fernbusse noch einige Jahre fortsetzt. Allein dieses Jahr werde die Zahl der Fahrgäste um fast 50 Prozent auf 24 Millionen wachsen, 2016 dann auf 29 Millionen und bis 2020 auf 32 Millionen. Der Umsatz aller Anbieter werde brutto in diesem Jahr um 140 Millionen auf 390 Millionen Euro steigen, 2016 auf 470 Millionen und bis 2020 sogar auf 620 Millionen Euro. Damit würde die Branche ihren Erlös seit der Liberalisierung 2013 mehr als verfünffachen und fast ein Sechstel des heutigen DB-Umsatzes im Fernverkehr erreichen.

Das starke Marktwachstum und die Tiefpreise der Fernbusse setzen nicht nur dem Schienenverkehr der DB zu. Der Konzern kann auch mit seinen eigenen Busunternehmen IC Bus und Berlin Linienbus (BLB) bisher nicht wie erhofft profitieren. Der Marktanteil sinke trotz Ausweitung der Angebote, heißt es in den Unterlagen. Nach dem klaren Marktführer Mein Fernbus, Flixbus und dem Postbus rangieren demnach die DB-Busse mit neun Prozent Marktanteil nur noch auf Platz 3.

Das Angebot von Berlin Linienbus soll vervierfacht werden

Das soll sich ändern. Besonders für die bis jetzt verlustreiche BLB plant die Bahn den Unterlagen zufolge starkes Wachstum und eine Vervierfachung des Angebots. Die DB-Tochter soll dabei weitgehend unabhängig vom Konzern und im „Niedrigpreissegment“ agieren, mit Schwerpunkt auf den innerdeutschen Verkehr und eventuell auch mit Partnern. Der Umsatz der BLB soll sich schon bis 2017 auf 37 Millionen Euro mehr als verdreifachen und bis 2020 auf 43 Millionen klettern.

Der IC Bus soll sich parallel dazu auf Netzergänzungen zum DB Fernverkehr und grenzüberschreitende Verbindungen konzentrieren. Bis 2020 ist ein moderates Umsatzplus von 14 Millionen auf 34 Millionen Euro geplant. Wie beim BLB soll im Jahr 2018 zumindest im operativen Geschäft vor Steuern und Zinsen (Ebit) die Gewinnzone erreicht werden, bei dann zusammen 69 Millionen Euro Umsatz. Zum Vergleich: in diesem Jahr erwarten die beiden DB-Busbetriebe gemeinsam 32 Millionen Euro Umsatz und einen Verlust von acht Millionen Euro. Im Fernverkehr auf der Schiene dagegen rechnet die DB dieses Jahr mit 130 Millionen Passagieren, rund 3,9 Milliarden Euro Umsatz und einem Gewinn von 138 Millionen Euro – ein Drittel weniger als noch 2014.