Mit seinen Kinofilmen auf DVD ist der Unterhaltungskonzern Walt Disney in jedem Kinderzimmer präsent. Überraschenderweise macht ihn das aber nicht zum Marktführer im deutschen Kinderfernsehen. Hier punkten der öffentlich-rechtliche Kinderkanal und Super RTL – mit Stallgeruch.

Erfurt - Die Fernsehmärkte auf der ganzen Welt zersplittern. Durch die Gründung immer neuer Sender und die zunehmende Nutzung von Streaming-Diensten verlieren die etablierten Programme kontinuierlich Zuschauer. Eine Sparte aber entzieht sich diesem Trend: das deutsche Kinderfernsehen.

 

Hierzulande hat sich eine klare Zwei-Klassen-Gesellschaft etabliert. Michael Stumpf, seit 1. Januar neuer Leiter der ZDF- Hauptredaktion Kinder und Jugend und seit zwanzig Jahren im Geschäft, kennt das gar nicht anders: „Der Kinderkanal und Super RTL führen das Feld Kopf an Kopf an, Disney und Nickelodeon kommen nicht über die Zehn-Prozent-Hürde.“

Stumpf, zuvor Kika-Programmchef, ist überzeugt, dass sich daran so bald nichts ändern wird: „Das deutsche TV-Publikum ist sehr traditionsorientiert, das Medienverhalten entsprechend konservativ. Gerade im Kinderfernsehen vollziehen sich Veränderungen sehr langsam. Eltern bevorzugen zudem einen gewissen Stallgeruch und empfehlen ihren Kindern Marken, die sie aus ihrer eigenen Kindheit kennen.“

Ein Wettbewerbsnachteil für Weltkonzerne

Auch Super-RTL-Chef Claude Schmit sieht die Gründe für diese Zweiteilung in der „ganz anderen Programmphilosophie“ der beiden US-Ableger: „Disney ist ein Weltkonzern mit herausragenden Formaten. Aber die werden in erster Linie für den amerikanischen Markt produziert und dann in die ganze Welt exportiert. Die Zentrale in den USA kümmert sich kaum um die Wünsche der deutschen Zuschauer. Bei Nickelodeon ist das ähnlich. Aber wenn ich nicht weiß, was die Kinder in Deutschland sehen wollen, habe ich automatisch einen Wettbewerbsnachteil.“

Disneys Senderchef Thorsten Braun räumt zwar ein, dass die Erwartungen „insgesamt natürlich etwas höher“ gewesen seien, trotzdem sieht er vor allem positive Aspekte, immerhin habe man „sehr schnell den zweiten Platz im privaten Kinder-TV-Markt übernommen.“ Er schwärmt vom Markenkern seines Mutterkonzerns: Disney stehe für „einzigartige Geschichten, Helden und Optimismus“, das soll in Zukunft noch stärker in den Mittelpunkt rücken. Ziel sei „gesundes, nachhaltiges Wachstum“ signifikant über der 10-Prozent-Marke.

Steffen Kottkamp, Chef von Nickelodeon, räumt dagegen unumwunden ein, dass sein Sender das Potenzial „momentan sicher nicht voll ausschöpft.“ Man lasse sich „von zwischenzeitlichen Schwankungen jedoch nicht irritieren. Unser Fokus liegt darauf, Marke und Performance langfristig zu stärken und aufzubauen.“ Kottkamp war Stumpfs Vorgänger beim Kika und weiß natürlich, was auf dem deutschen Markt funktioniert, weshalb Nick „mehr denn je“ in lokale Produktionen investiere, die sich nah an der Realität der Zielgruppe orientierten. Die Strategie sehe vor, den Produktionen von Nickelodeon ein deutsches Gesicht zu geben. Der neue Claim „Nick – Voll mit Toll“ soll Kindern und Eltern signalisieren, wofür das Programm stehe: „Unterhaltsame und kindgerechte Inhalte; und vor allem jede Menge Spaß.“

Das Internet als Chance

Obwohl Youtube, Amazon und Netflix den etablierten Programmen Teens und Twens abspenstig machten, betrachten die Chefs der Kindersender das Internet vor allem als Chance. Für den Kika werde Video on Demand „ein ganz wichtiger Baustein“, sagt Stumpf und kündigt für Mitte des Jahres den Start einer neuen Mediathek an. Seit 2017 ist der Kika auf Facebook vertreten, außerdem wurde eine eigene Youtube-Plattform gestartet.

Super RTL ist bereits deutlich weiter. Der Sender bietet mit Toggo plus seit Juni 2016 sein Programm um eine Stunde zeitversetzt an und hat vor knapp drei Jahren das abobasierte Videoportal Kividoo gegründet. Das finanzielle Niveau, so Schmit, „ist nicht mit dem klassischen Fernsehen zu vergleichen, wird aber in Zukunft ein immer größeres Thema.“

Raus aus dem Korsett des Linearen

Braun und Kottkamp betonen zwar, dass das Fernsehen in der Mediennutzung der deutschen Kinder nach wie vor mit Abstand die Nummer eins sei. Allerdings habe die nonlineare Nutzung laut Kottkamp zuletzt deutlich zugelegt: Fast 70 Prozent der 6- bis 13-Jährigen und somit 10 Prozent mehr als 2014 nutzten vermehrt andere Plattformen. Disney setze daher laut Braun schon seit dem Senderstart im Januar 2014 auf „eine klare crossmediale Strategie.“ Alle sind sich einig, dass man sich, wie es Stumpf formuliert, „aus dem Korsett des linearen Programms befreien“ müsse. Oberstes Kika-Ziel bleibe jedoch die Qualitätsmarktführerschaft.

Schmit wiederum hält die Streamingdienste für eine größere Konkurrenz als den Kika, schließlich leben die beiden seit zwanzig Jahren in friedlicher Koexistenz: Super RTL werde in Zukunft „wesentlich mehr Live-Ereignisse veranstalten; so etwas wird es bei Amazon und Netflix auf absehbare Zeit zumindest im Kinderbereich nicht geben.“ Der ohnehin stets zuversichtliche Luxemburger blickt gelassen in die Zukunft: „Wir haben es geschafft, den jungen Zuschauern in der alten Medienwelt ihr Lieblingsprogramm zu zeigen. Ich wüsste nicht, warum uns das in der neuen Medienwelt nicht auch gelingen sollte.“