Ein Mann aus Québec zieht als Ritter verkleidet mit seinem Pferd Löwenherz durch die Weiten Kanadas – und will damit Werte wie Respekt, Demut und Frömmigkeit verbreiten. 700 Kilometer hat er schon zurückgelegt.
Ottawa - Der blank geputzte, im Sonnenlicht funkelnde Helm ist schon von Weitem zu sehen. Durch die Blätter der Bäume und Büsche auf dem Reiterhof in Ottawa leuchtet die rot-weiße Tunika, die sich der Ritter Vincent Gabriel Kirouac umgehängt hat. Sein Pferd Coeur-de-Lion (Löwenherz) wartet auf das Signal, dass es nach einem Tag Pause weitergeht. Ein weiter Weg liegt vor Reiter und Ross. Das Ziel ist Tausende von Kilometern entfernt: Kanadas Westküste am Pazifischen Ozean.
Ein Ritter auf seinem Weg durch das große Land. Das ist die Geschichte des 22-jährigen Vincent Kirouac aus Québec City. Sein ritterlicher Name lautet Vincent Gabriel I. de Beauport Kirouac. Er versteht sich als Ritter der Moderne (Chevalier des Temps modernes), als Ritter auf Weltreise, der ritterliche Tugenden preisen will. Am 1. April begann seine Reise in St. Pacome bei Riviere-du-Loup am St.-Lorenz-Strom. 700 Kilometer hat er schon zurückgelegt und die Hauptstadt Ottawa erreicht.
„Ich habe als Kind und Jugendlicher davon geträumt Ritter zu sein“, erzählt er. Coeur-de-Lion, die neunjährige braune Stute mit dem markanten weißen Fleck auf der Stirn, steht ruhig neben ihm. Rittertum und Rittergeschichten faszinierten Vincent schon sehr früh, aber die richtige Begeisterung kam vor etwa acht Jahren, ausgelöst durch die Verfilmung des Tolkien-Romans „Der Herr der Ringe“. „Die Gefährten kämpften zusammen, standen füreinander ein, gewannen gegen ihre Feinde“, sagt der junge Mann mit dem Bart und den wehenden braunen Haaren. Seinen mit der Quebecer Lilie verzierten Helm, der die Stirn und Nase bedeckt, hat er abgenommen. Nach Schulabschluss in Québec City ging er an das „Institut de technologie agroalimentaire“ in La Pocatiere bei Riviere-du-Loup, das einen Studiengang für Pferdehaltung anbietet. Drei Jahre lang studierte er, arbeitete als Pferdetrainer, bis er genug Geld hatte, sich ein Pferd zu kaufen.
Kirouac verwirklicht seinen Traum
Er ist glücklich und lächelt. Er verwirklicht seinen Traum: „Ich will Menschen treffen und mit ihnen ins Gespräch kommen.“ Vincent weiß, dass ihn viele zunächst als Sonderling ansehen. „Aber dann stellen sie interessiert Fragen, und wenn sie mir zuhören, ändert sich das“, sagt er. Der bekennende Katholik spricht von „ritterlichen Tugenden“, die er propagiert: „Freundschaft und Ehre, Respekt, Demut, Aufrichtigkeit, Glaube und Frömmigkeit. Es sind die kleinen Dinge wie Mitgefühl und ein Lächeln, die das Leben verändern.“ Man müsse kein Ritter sein und zu Pferd durch Kanada ziehen, um für diese Werte einzutreten. Aber das sei der Weg, den er gewählt habe. Er sei nicht streng religiös erzogen worden, „aber ich ging in die Kirche und mein Glauben wurde sehr stark“.
Kritik musste er sich anhören, dass er sein Pferd überfordere. Tatsächlich bildeten sich nach wenigen Tagen bei dem Tier Druckstellen durch die Belastung. Er kaufte einen synthetischen Sattel, der nur einen Bruchteil des Gewichts der Ledervariante hat. Zwei Tage lief er neben dem Pferd her. Erst als die Stute wieder gesund war, ritt Kirouac weiter. Wegen des Gewichts verzichtete er darauf, Brust- und Beinpanzer mitzunehmen. Aber er hat Medikamente und Salben für sein Pferd dabei, um es bei Bedarf so zu pflegen, wie er es in seiner Ausbildung gelernt hat. Einen Tag in der Woche wählt er als Ruhetag. Wenn er, wie jetzt auf dem National Equestrian Park von Ottawa-Nepean, Station macht, sieht der Hufschmied nach, ob die Beine des Pferdes gesund sind.
Seine Reise finanziert er mit dem Ersparten. Die Religiosität gibt ihm die Zuversicht, stets Menschen zu begegnen, die ihm helfen. Er will es nicht umsonst haben. Auf Farmen arbeitet Kirouac mit, kümmert sich um Tiere, repariert Zäune oder hilft bei der Feldarbeit und im Haus. „Wenn ich Freundschaften schließen kann, erfülle ich meine Mission“, sagt er und klingt wie ein Ritter auf einem Kreuzzug.
Das nächste Projekt: von Edinburgh nach Sizilien
Ob er es bis zum Herbst an den Pazifik bei Vancouver schafft, weiß er nicht. Vielleicht wird er irgendwo mit seinem Pferd überwintern, auf einer Farm arbeiten – und ein weiteres Projekt anschließen: „Ich würde gerne von Edinburgh bis Messina in Sizilien reiten, und dann vielleicht bis Jerusalem.“ Seine Verlobte Katrine Conelly, die er im Studium kennenlernte, unterstützt ihn, pflegt seine Website und leitet die E-Mails weiter. „Es ist eine großartige Reise. Ich hätte gerne mitgemacht, aber ich habe kein Pferd“, sagt sie.
Vincent Gabriel Kirouac und sein Pferd setzen sich in Bewegung. Dann stoppt Vincent, nestelt in seinem Umhang und holt sein bimmelndes Handy hervor. Auch ein GPS hat er zur Orientierung bei sich. Auf moderne Hilfsmittel will ein Ritter im 21. Jahrhundert nun doch nicht verzichten.