Die meisten Besucher kommen im Herbst nach Kanada. Dabei hat es auch im Winter viel zu bieten - den größten Winterkarneval Nordamerikas.

Québec - Jean-Pierre geht dieser Tage am Stock. Nicht, weil ihm das Laufen schwerfiele; er steht gut im Saft. Nein, hier und heute dient die Spazierhilfe ganz anderen Zwecken. Alle paar Minuten nämlich schraubt er den Knauf ab, führt das Gerät zum Mund und nimmt einen kräftigen Schluck aus der seltsamen Pulle. Im Laufe des Abends wird er dabei immer lustiger. Und weil er ein guter Kumpel ist, lässt er den Gast aus Berlin regelmäßig teilhaben an seinem Gute-Laune-Spender und verführt ihn später sogar zum Erwerb eines eigenen Spazierstocks. Diese originellen Abfüllapparate kommen jedes Jahr von Ende Januar bis Mitte Februar massiv zum Einsatz.

 

Denn dann tobt bei klirrender Kälte in Québec-City der größte und schönste Winterkarneval Nordamerikas. Rund um das historische Hotel Chateau Frontenac - das weithin sichtbare Wahrzeichen Québecs hoch über dem St.-Lorenz-Strom - verwandeln sich dann die Straßen und Gassen der verschneiten Altstadt in festliche Bühnen für Paraden und Wettkämpfe, für Musikkapellen und Schlittschuh-Artisten, für Schnee-Künstler und Eis-Skulpteure. Letztere haben schon Tage zuvor ihr Bestes gegeben. Überall begegnet man ihren fantasievollen Gebilden: der riesige Indianer vor der Kunstgalerie, ein gallischer Hahn neben der Büste von Louis XIV. auf der Place Royale; monströse Halloween-Kürbisse und Harlekinköpfe, teils überlebensgroße Märchenfiguren und Zauberwesen - alles allerliebst aus Eis gefräst und gehobelt für das fröhliche Fest.

14 Tage lang regiert „Bonhomme Carnaval“

Chef über das närrische Treiben ist ein zwei Meter großer Schneemann mit roter Zipfelmütze, wie sie Holzfäller und Bauern in Ostkanadas größter Provinz traditionell tragen. 14 Tage lang regiert „Bonhomme Carnaval“ über Québec-City und residiert in einem Schloss aus Eis, das für die Tage des Festes gegenüber dem Parlament der Provinz errichtet wird. Und überall, wo sich das Riesenmaskottchen sehen lässt, bilden sich Trauben von Menschen, die dem „General Hiver“ gewaltig einheizen und ihm eine Nase drehen wollen.

Denn die Winter in Québec haben es in sich. Von Anfang Dezember bis Ende April herrscht Väterchen Frost mit eisigem Zepter. Temperaturen von minus 25 bis minus 30 Grad sind die Regel. Der Dauerfrost verzuckert die Wälder und versiegelt die Seen. Er zaubert flauschige Schneekappen auf Dächer und Monstereiszapfen an Wasserfälle und Regenrinnen. Doch im Februar haben die Menschen hier die Nase voll davon. Das Ende des Winters naht und will gebührend gefeiert werden. Und so wie bei den Cariocas in Rio oder beim Mardi Gras in New Orleans geht dann die Post richtig ab - nur eben mit bis zu 70 Grad weniger auf den Thermometer-Skalen. Den kälteerprobten Québecois scheint das nichts auszumachen.

Stundenlang verharren sie draußen und absolvieren das umfangreiche Festivalpensum mit unbändiger Feierfreude - sowie unter enormem Verbrauch von „Caribou“. So nämlich heißt der heiße Zaubertrank aus den Spazierstöcken, den man an vielen Ständen einfach nachtanken kann. Ein hochprozentiges Elixier aus Brandy, Wodka, Sherry und Portwein - wow!, das die Gesichter zum Glühen und die Beine zum Wackeln bringt. „Nimm noch einen Schluck“, sagt Jean-Pierre und grinst, „der Abend wird noch lang.“ Doch daran kann sich der Gast aus Berlin nur noch lückenhaft erinnern - die Nachtparade soll sehr schön gewesen sein. Der folgende Morgen. Das typische kanadische Holzfällerfrühstück mit Pfannkuchen, Speck und Ahornsirup gibt Kraft und Energie für die nächsten Stunden Aufenthalt im Freien - auf dem Plan steht das wohl größte Spektakel des Karnevals.

20 Teams stürzen sich ins irrsinnige Abenteuer

Und so ist am zweiten Sonntagnachmittag auch ganz Québec auf den Beinen, um sich das Finale des legendären Kanurennens auf dem St.-Lorenz-Strom anzuschauen. Punkt 1.30 Uhr: „Bonhomme Carnaval“ gibt das Startsignal, und gut 20 Teams stürzen sich ins irrsinnige Abenteuer, den knapp einen Kilometer breiten Strom zwischen Québec-City und der gegenüberliegenden Stadt Lévis so schnell wie möglich zu überqueren. Mit herkömmlichem Kanufahren allerdings hat das Ganze nun überhaupt nichts zu tun. Der Strom steckt voll tückischem Treibeis. An den Ufern erzeugen die Gezeiten einen Gegenstrom und pressen die Eisschollen an den Hafenmauern entlang. Diese Bedingungen machen den Teilnehmern in den leichten Fiberglasbooten das Leben enorm schwer. Wer hier durch und gewinnen will, braucht starke Arme, schnelle Beine und gute Augen. Ganz zu schweigen von einer gehörigen Portion Glück.

Wo immer sich ein freies Fleckchen Wasser zeigt, wird gerudert. Blockiert eine Eisscholle den Weg, heißt es abspringen und das Boot bis zum nächsten Wasserloch zerren. Rein und raus, wieder und wieder. So manches Team bleibt völlig erschöpft im Treibeis sitzen, bis es von Eisbrechern irgendwann erlöst wird. Jean-Pierre strahlt. Sein Cousin in Boot Nummer fünf ist Dritter geworden. Das muss gebührend gefeiert werden. Und so ziehen alle wieder los ins Karneval-Getümmel mit einem langen und kalten Abend vor der Brust. Aber nur von außen. „Bonhomme Caribou“ sei Dank!

So wird das Wetter für die Weltreise

Infos zu Québec

Anreise
Von Stuttgart fliegt zum Beispiel Air France via Paris und Montreal, ab 500 Euro, www.airfrance.de. Mietwagen gibt es bei allen großen Verleihern. Nationaler Führerschein genügt. Achtung: Nebenstraßen werden im Winter nur notdürftig geräumt.

Unterkunft
Für die Karneval-Wochenenden unbedingt längerfristig vorbuchen. Chateau Frontenac, DZ ab 190 Euro, www.fairmont.de/frontenac-quebec/ ;

Chateau Laurier, DZ ab 118 Euro, http://hotelchateaulaurier.com/en/ ; Hotel Jardin Ste-Anne, DZ ab 83 Euro.

Karneval
Der Winterkarneval findet vom 31. Januar bis zum 16. Februar statt. Vor allem an den Wochenenden zahlreiche Veranstaltungen. Infos und Programme: www.bonjour-quebec.com/de (dort können auch Broschüren runtergeladen oder bestellt werden). Außerdem: www.carnaval.qc.ca

Allgemeine Informationen
Währung ist der Kanadische Dollar (aktuell 0,77 Euro). Wie in den USA ist in Kanada die Zahlung mit Kreditkarten sehr gebräuchlich. In Québec wird generell Französisch gesprochen.

Fan werden auf Facebook: https://www.facebook.com/fernwehaktuell