Manchmal huscht eine Ratte durchs Bild, den Männern am Monitor entgeht das nicht. Sie überprüfen regelmäßig das Stuttgarter Kanalnetz, jedes Rohr muss mindestens alle zehn Jahre kontrolliert werden. Momentan ist die SES in Weilimdorf an der Arbeit.

Weilimdorf - Nur kurz huscht die Ratte durch das Bild, dann ist sie auch schon wieder verschwunden. Gerhard Lechner hat das Nagetier trotzdem bemerkt. Ihm entgeht fast nichts, was auf den vier Monitoren erscheint, auf die er konzentriert blickt. Auf dem größten davon kann er sehen, was gerade im Abwasserkanal passiert, der unterhalb des Lengefeldwegs in Weilimdorf verläuft. Auf den anderen Bildschirmen erscheinen diverse Zahlenkolonnen und Symbole mit Daten aus der Stuttgarter Unterwelt. Die kennt Lechner schon seit 20 Jahren.

 

Zu Beginn seiner Dienstzeit mussten Lechner und seine damaligen Kollegen noch auf allen Vieren durch die Kanäle kriechen, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Dank hochmoderner Technik geht eine Kanalinspektion heute relativ sauber und reibungslos über die Bühne. Die Stadtentwässerung Stuttgart (SES) setzt dabei Zwei-Mann-Teams ein, die mit einem 350 000 Euro teuren Spezialfahrzeug unterwegs sind. Hauptarbeitsgerät ist eine Kamera, die auf einem rund 75 Zentimeter langen, elektrisch betriebenen vierrädrigen Wagen montiert ist. Dieser rollt durch den Kanal und schickt seine Bilder per Datenleitung in Echtzeit auf die Monitore. Gesteuert wird das Gefährt von Lechner, sein Kollege Pretrag Zupetic steht am offenen Schachtdeckel, um die dort anfallenden Arbeiten zu erledigen. Bis zu 450 Meter weit kann die Kamera fahren, im Lengefeldweg freilich muss sie das gar nicht, der dortige Kanal ist nur 180 Meter lang. Er stammt aus dem Jahr 1937 und ist, wie fast alle Kanäle in Stuttgart, ein Mischkanal. Das bedeutet, dass Regen- und Schmutzwasser zusammen darin fließen.

Kanal wird vorher durchgespült

Damit der Wagen unterwegs nicht stecken bleibt, sollte der Weg frei von Hindernissen sein. Nicht nur deshalb wird der Kanal vorher durchgespült. Er muss auch sauber sein, damit Risse oder andere Beschädigungen besser erkannt werden können. Für die Spülung ist eine andere Mannschaft mit eigenem Spezialfahrzeug zuständig. Da die Kanäle aus verschiedenen Materialien bestehen (Beton, Keramik, PVC KG) und verschiedene Durchmesser haben (befahrbar sind diejenigen von 20 Zentimeter bis zwei Meter Durchmesser), gibt es verschiedene Reifen, die auf den rund 30 Kilogramm schweren Kamerawagen montiert werden können.

Im Jahr 1874 hat man in Stuttgart damit begonnen, ein unterirdisches Kanalsystem anzulegen. Mittlerweile hat es eine Länge von 1740 Kilometern. Rund 60 000 Schächte sorgen für Zugang. Die Rohre, das erläutert Robert Hertler, der Leiter Kanalbetrieb bei der SES, sind meistens so alt wie die Häuser, die an der Straße stehen. „Die ältesten sind nicht die schlechtesten“, beschreibt er die Qualität der Rohre. Vor allem in den 1960er und 1970er Jahren sei weniger Wert auf die unterirdische Infrastruktur gelegt worden, damals habe der Schwerpunkt vor allem auf dem Wohnungsbau gelegen. Mittlerweile habe man aber wieder erkannt, dass das Abwassernetz einen finanziellen Wert darstelle, der erhalten werden müsse.

Rohre müssen alle zehn Jahre kontrolliert werden

Mindestens alle zehn Jahre muss jedes Rohr kontrolliert werden. Da die SES diese Mammutaufgabe allein nicht bewältigen kann, beauftragt sie auch Fremdfirmen mit den Inspektionen. Zu Sondereinsätzen, also wenn beispielsweise irgendwo ein Rohr aus Versehen angebohrt wird oder sonst etwas passiert, rücken normalerweise nur SES-Mitarbeiter an, da die Schäden genau dokumentiert werden müssen. Im Jahr 2009, das erzählt Jens Sporbert, Bereichsleiter Kanalinspektion bei der SES, ist in Stuttgart die DIN 13508 eingeführt worden. Bei diesem Codiersystem, dass europaweit im Einsatz ist, werden alle Kanaldaten digital erfasst und in einer Datenbank gespeichert.

„Manchmal werden unsere Inspekteure übel angegangen“, berichtet Sporbert. Wenn ein Fahrzeug der SES für kurze Zeit eine Zufahrt oder einen Teil der Straße blockiere, reiße manchen Zeitgenossen der Geduldsfaden. Es geht aber auch anders: Bei den Arbeiten in Weilimdorf bringt ein freundlicher Herr den SES-Mitarbeitern eine Tasse Kaffee.