Das Ende einer langen Politkarriere: Die Grünen-Abgeordnete Birgitt Bender hat ganz knapp den Sprung in den Bundestag verpasst. Am Tag nach der Wahl fühlt sie sich „wie vom Bagger überfahren“. Nach dem Schock gilt es für sie, die Niederlage zur Chance zu machen.

Stuttgart - Niederlagen machen einsam. Das weiß seit Sonntagabend auch die Bundestagsabgeordnete Birgitt Bender, deren Landeslistenplatz elf nicht reichte, um zum vierten Mal nacheinander ins Parlament einzuziehen. Der Parteichef und Kandidatenkollege Cem Özdemir hatte sie am Wahltag – wohl in Kenntnis seiner miserablen Werte und denen der Partei – erst gar nicht ins Rathaus begleitet. Der Ratssaal hatte sich noch nicht zur Hälfte geleert, da war die lokale Parteiprominenz aus ihrem Umfeld entschwunden, und der Hausherr Fritz Kuhn fühlte sich aufgefordert, der zurückgelassenen früheren Weggefährtin in der schweren Stunde beizustehen, in der sich ihre ein Vierteljahrhundert währende Karriere pulverisierte. Es passt ins Bild, dass die Öffentlichkeit am Montag vergeblich auf eine Meldung mit ein paar Worten des Bedauerns über das Scheitern der Kandidatin wartete.

 

Nach einer Nacht mit wenig Schlaf fühlt sich Birgitt Bender „wie vom Bagger überfahren“. Es wird, es muss weitergehen, natürlich, denn sie ist ja nicht die erste, die für die Demokratie einen persönlichen Preis bezahlt. Aber einen Plan B vermag sie aktuell noch nicht vorzuweisen. „Es gibt ja ein Übergangsgeld“, sagt sie. Details kenne sie aber nicht. Oder gleich in Rente nach immerhin zwölf Jahren Bundestag? „Mit 56? Das ist ja wohl noch ein bisschen früh“, meint sie. Dann aber doch einen viel besser bezahlten Job in der Pharmabranche? Als gesundheitspolitische Sprecherin war sie schließlich eine kompetente Gesprächspartnerin der Gesundheitslobby. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich auf dieser Seite wohlfühlen würde“, sagt Bender.

Erneute Kandidatur völlig unklar

Jetzt gehe sie erst einmal in die Beratungen ihrer Partei, die sich schließlich neu aufstellen müsse. Nach dem Schock gelte es, die Niederlage als Chance zu begreifen. Dem Stuttgarter Kreisverband bleibe sie natürlich erhalten – „hier bin ich schließlich groß geworden“. Ob sie sich in vier Jahren erneut für ihren Wahlkreis bewerben werde, sei völlig unklar. Bei Cem Özdemir sind die Grünen wohl schon einen Schritt weiter: Das komme nun überhaupt nicht mehr in Frage, hieß es mehrfach.

Birgitt Bender ist ein politisches Urgestein. Sie gehörte von 1988 bis 2001 dem baden-württembergischen Landtag an, von 1988 bis 1990 war sie Fraktionschefin, danach bis 2000 Vize. 2002 schaffte sie erstmals den Sprung in den Bundestag, wo sie seitdem Sprecherin der Grünen für Gesundheitspolitik ist. In ihrem Wahlkreis war sie im Kampf ums Direktmandat chancenlos. Darum streiten seit jeher SPD und CDU. Auch diesmal landete Bender auf Rang drei. 13,9 Prozent Erststimmen sind vor dem Hintergrund der Absprache mit der SPD für sie ein Erfolg. Dennoch hieß es auch diesmal wieder, mehr Präsenz wäre sinnvoll gewesen. Und mehr Attacke? Ihre Konkurrentin Karin Maag hat sie im Wahlkampf nur einmal abgewatscht, weil die CDU-Abgeordnete im Beirat der privaten Krankenversicherung Bardenia sitzt, die ihre Mitglieder per Brief gegen die Bürgerversicherung aufzubringen versuchte.

Kein eigenständiges Profil mehr

Die Juristin war stets auf eine gute Platzierung auf der Landesliste angewiesen. Bei der Aufstellung reichte man sie zwar im Laufe der Jahre nach hinten durch, was den Eindruck vermittelte, Netze zu spinnen sei nicht gerade ihre Stärke. Bei der letzten Nominierung in Böblingen war für die Realpolitikerin Platz elf drin – immerhin muss man sagen, wenn man bedenkt, wie stark die Partei-Linke mittlerweile im Landesverband ist. „Ich fand das damals gar kein schlechtes Ergebnis“, konstatiert Bender. Zu diesem Zeitpunkt gingen die Grünen noch davon aus, ihr Ergebnis von der Landtagswahl halten und in Berlin 16 oder noch mehr Abgeordnete platzieren zu können. In den letzten Tagen vor der Wahl war ihr dann aber mulmig geworden. Sie registrierte, dass wegen der Steuerpläne „auf einmal alle Selbstständigen gegen uns sind“ und kein eigenständiges Profil mehr erkennbar gewesen sei. Und die Bürgerversicherung? Das sei in der Tat ihr Thema gewesen. Aber in diesem Zusammenhang noch die Beitragsbemessungsgrenze anheben zu wollen und damit mehrere Belastungen auf einmal anzudrohen, das sei nun wirklich nicht ihre Idee gewesen. Am Ende habe man gar nicht mehr unterscheiden können zwischen den Steuererhöhungsangeboten von SPD, Linken und Grünen. Besser wäre es gewesen, „unser gutes Standing bei der Unternehmerschaft in Sachen Ökologie“ zu betonen.

Birgitt Bender hat am Wahlsonntag die Facebook-Community auf den Ernst der Lage aufmerksam gemacht: „Jetzt gilt es. Nur mit einem starken Zweitstimmenergebnis werde ich auch in der nächsten Legislaturperiode wieder im Bundestag sitzen und die Stuttgarter Interessen vertreten können. Deswegen meine Bitte an euch: macht von eurem Wahlrecht Gebrauch. Schwarz-Gelb abwählen, Zweitstimme Grün!“ Geholfen hat es bekanntlich nicht. Am Montag postete Birgitt Bender: „Mich hat’s rausgehauen – Demokratie kann ganz schön schmerzhaft sein!“